Was es braucht in der Nacht

Laurent Petitmangin

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller

dtv, 16.03.2022

160 Seiten, € 20,00

 

 

 

Der 1965 in Lothringen geborene und heute im Umland von Paris lebende Laurent Petitmangin hatte mit seinem Debütroman „Was es braucht in der Nacht“ einen großen Erfolg in Frankreich. Der Roman wurde mit über 20 Literatur- und Lesepreisen ausgezeichnet und in zwölf Sprachen übersetzt, eine Verfilmung ist geplant.

Der Autor verortet seinen Roman in seine Heimat Lothringen und lässt in der Ich-Perspektive den Vater erzählen. Nach der langen, quälenden Krebserkrankung seiner Frau und ihren frühen Tod kümmert er sich liebevoll um seine beiden Söhne, den älteren Fréderic, genannt Fus, und den jüngeren Gillou. Von ihnen tatkräftig unterstützt, ist er sehr stolz auf seine beiden Jungs, für die er neben seiner Arbeit als Monteur bei der französischen Bahn nicht viel Zeit hat, aber so oft es geht, gemeinsam etwas unternimmt. Als Vater möchte er, dass sie eine bessere Ausbildung und berufliche Möglichkeiten bekommen als er es hatte. Die beiden Brüder haben trotz des Altersunterschiedes von sechs Jahren eine enge Beziehung und sind somit ein gut funktionierendes, harmonisches Trio. Politisch ist der Vater links engagiert und geht zu Parteitreffen, die aber immer seltener werden.

Im Laufe der Zeit verändert sich Fus, mit 22 Jahren hat er einen neuen Freundeskreis und wendet sich von seinem ehemals besten Freund ab. Seine Schulnoten wurden immer schlechter, dadurch entwickelt sich seine berufliche Zukunft anders als geplant. Durch einen Parteifreund erfährt der Vater, dass Fus mit seinen neuen rechtsradikalen Freunden Plakate für die Front Nationale klebt. Er fordert seinen Sohn zu einem Gespräch heraus, was aber in einem Streit mit lautem Gebrüll endet. Fus wirft seinem Vater sogar vor, dass er nur zum Kuchenessen zu den Parteitreffen geht und fragt ihn, wann er sich denn zuletzt wirklich politisch engagiert hat. Die beiden gehen sich so gut sie können aus dem Weg. Zu seinem Bruder Gillou hält Fus weiterhin Kontakt, obwohl er in Paris die Sekundarschule in Carnot besucht und nur noch am Wochenende nach Hause kommt.  Das Wochenende sind auch die einzigen Tage, an denen Fus mit seinem Vater zusammentrifft, ansonsten ist er mit den neuen radikalen Freunden unterwegs. Als Fus bei einem Zusammenprall mit radikalen Linken krankenhausreif verprügelt wird und mit sehr schweren Verletzungen und ebensolchen Folgeschäden ins Krankenhaus kommt, nimmt er später Rache und tötet einen jungen Mann aus der nicht weniger brutalen linken Szene.

Der Vater kann mit der Tat seines Sohnes nicht umgehen, er taumelt im Wechselbad der Gefühle voller Selbstmitleid, Wut, Verzweiflung und wendet sich von ihm ab, emotional wie verbal. Auch im Laufe des Prozesses vermag er ihn nicht zu unterstützen und geht auf Abstand zu ihm. Erst während der langjährigen Haftstrafe gelingt ihm langsam eine vorsichtige Annäherung. Fus überrascht seinen Vater und den Leser/die Leserin am Schluss mit einem bewegenden Brief.

Der Autor Petitmangin erzählt in einer schnörkellosen, recht einfachen Sprache seine Vater-Sohn Geschichte, in der der Vater sich sehr schwertut, außer Selbstmitleid andere Emotionen zu zeigen und ebenso kein Mann vieler Worte und Gespräche ist. Klar und einfach zeigt sich das Leben der Familie im Arbeitermilieu und in einem Landstrich, in dem es weder beruflich noch wirtschaftlich große Hoffnungen auf eine positive Entwicklung gibt. Man erkennt zwar, dass Fus plötzlich mit rechtsradikalen Freunden zusammen ist, den Grund oder die Gründe dafür bleiben aber mehr oder weniger offen.

Vielmehr geht es in der Geschichte um den Vater und seinen zerisssenen Gefühlen um seinen Sohn und den Fragen, warum sich ein einst so sympathischer, freundlicher und engagierter junger Mann Rechtsradikalen zuwendet, was der Vater versäumt hat, welche Schuld er und welche Schuld Fus an dieser Entwicklung tragen. Wie reagieren wir Eltern, wenn sich unser Kind radikal entwickeln und furchtbare Taten begeht? Ist es Schicksal oder Zufall, dass „manche zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind“ und andere nicht?

Auch wenn ich nicht die Begeisterungsstürme der französichen Literaturkritiker*innen teile, ist das schmale Buch in seiner unprätentiösen Sprache und der Vater-Sohn-Auseinandersetzung mit dem politischen, rechtsradikalen Hintergrund leider aktuell und macht nachdenklich.

Ein beeindruckendes wie auffallendes Cover bindet die Seiten ein.

Sabine Wagner

 

 

 

 

 

 

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