Die Assistentin

Caroline Wahl

Rowohlt, ET 28.08.2025

368 Seiten, € 24,00

 

 

 

 

Von dem 2023 im Dumont Verlag erschienen Debütroman „22 Bahnen“ (aktuell in den Kinos) der damals 28 Jahre alten Caroline Wahl war ich seinerzeit begeistert, der Fortsetzung, die ein Jahr später unter dem Titel „Windstärke 17“ ebenfalls im Dumont Verlag veröffentlicht wurde, sprach ich keine Empfehlung aus, da weder die Figuren noch der Inhalt mich überzeugten. Wieder ein Jahr später, nun im Rowohlt Verlag, erscheint der aktuelle Roman der jungen Autorin mit dem Titel „Die Assistentin“.

Caroline Wahl hat nach eigenen Angaben selber, bevor sie begann Bücher zu schreiben, als Verlagsassistentin gearbeitet, wobei diese Stelle keine gute Zeit für sie war und man kann vermuten, dass sie mit ihrer abgrenzenden Erzählstimme und der Protagonistin Charlotte eigene Erlebnisse und Erfahrungen aus ihrer Zeit auf dieser Position mit einbringt und damit abrechnet.

Charlotte aus Köln will eigentlich lieber Musik machen, aber sie kann sich dem Diktat ihrer Eltern nicht beugen, die ihre Tochter lieber in einem klassischen Beruf sehen wollen, in dem sie ein gutes und regelmäßiges Einkommen hat. Beim Bewerbungscasting eines großen Münchener Verlages wird sie die zweite, administrative Assistentin der Verlegers, die Stelle der ersten Assistentin ist mit Ivana belegt, die bessere Referenzen vorzuweisen hat. In der Praxis ist davon nichts zu sehen, dafür überzeugt Ivana mit einem unendlichen Redefluss. Von Sommer bis zum darauffolgenden Frühling begleitet man Charlotte bei ihrer Arbeit mit dem Verleger, einem dem Alkohol mehr als zugeneigten, despotischen, grenzüberschreitenden, ungerechten Narzissten mit einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung. Es sind quälende Monate, in denen Charlotte mit fluktuierenden weiteren Assistentinnen versucht den Herausforderungen des unkalkulierbaren, herrischen Verlegers gerecht zu werden, was bei einem derartigen Narzissten nicht gelingen kann. Eine neu hinzugekommene Kollegin erfasst das schnell und zieht rechtzeitig ihre Konsequenzen. Bis zum physischen und psychischen Zusammenbruch hält Charlotte durch, erst dann zieht auch sie die Reißleine und macht das, was sie ursprünglich machen wollte: Musik – und das auch mit Erfolg.

Quälend waren für Charlotte die Monate der Zusammenarbeit mit ihrem Verleger und quälend war für mich das Buch zu lesen. Bereits auf Seite 28 habe ich mich gefragt, warum ich fast zwei einhalb Seiten einen herabsetzenden und für die Story völlig unwichtigen Abriss über die Influencerin Cathy Hummels lesen muss, „die Berge von Pilzen und Salat serviert bekommt und selbstverständlich immer so Plastiktuben mit ihren eigenen Soßen dabei hat.“ (Seite 29)
Die Sprache der Story bleibt umgangssprachlich platt mit zahlreichen „und so/oder so“ und unzähligen Beschreibungen, was alles „kacke“ (oder scheiße) ist. Da gibt es „Kackzeiten“, einen „Kackjob“, ja sogar der Begriff „toxisch“ empfindet Charlotte als inflationär und ersetzt es mit „kacke“, (Seite 270) muss aber später zugeben, dass diese Bezeichnung für die Zusammenarbeit mit dem Verleger nicht ausreicht.

So sehr zu Beginn die erste Assistentin Ivana Charlotte mit ihrem unentwegten Redeschwall zuballert und nervt, so verschwafelt wird die Handlung aufgesetzt. Da bemüht sich die Autorin mit der Erzählstimme zwar mittels deutlich ausgesprochener Raffung als Stilmittel um Verdichtung, was sich allerdings durch etliche nervende Wiederholungen auflöst. An anderen Stellen bemüht sie sich um einen Spannungsaufbau mit Attributen „der Reihe nach“ oder „aber dazu später mehr…“, was aber für mich nicht gelingt, zu sehr mäandert die Story mit Nichtigkeiten, Träumen, Illusionen dahin.
Die Storyline erinnerte mich schnell an den Film „Der Teufel trägt Prada“, was Caroline Wahl mit ihrer Erzählstimme auch bereits auf Seite 36 bestätigt, allerdings mit der Besonderheit, dass Charlotte in eine auf ZDFneo oder ARTE ausgestrahlte Indie-Variante des Films geraten war. Und weil der geneigte Leser/die Leserin das vielleicht übersieht oder nicht versteht, wird diese Besonderheit noch dreimal wiederholt. (Seite 38, 211, 269).
Dass Caroline Wahl mit ihrer Bewertung (durch Charlotte), dass eine Assistentin (der Geschäftsleitung) einen „unkreativen, das heteronormative System unterstützenden Job“ (Seite 204) darstellt, eine schallende Ohrfeige an alle auf dieser Position souverän arbeitenden Menschen verteilt, ist von Arroganz und Überheblichkeit nicht zu übertreffen. Gleiches gilt für die Aussage, dass „Jugendliche, die einen Debatierwettbewerb gewinnen, wohl meistens einen Vaterkomplex haben.“ (Seite 116)
Völlig schräg-bizarr fand ich dann die Erkenntnis der Erzählerin, dass man „ohne Diagnostik weiß, dass man Depressionen hat, wenn man Depressionen hat.“ (Seite 307 ff.) Wunderbar, dann haben jetzt viele Psychologen und Psychotherapeuten nichts mehr zu tun, wenn das so einfach ist.
Von einer unreifen und mit herzlich wenig Selbstbewusstsein ausgestatteten Protagonistin und unrealistisch zeigen die zahlreichen Stellen, an denen Charlotte ihrer Mutter SMS oder Mails an den Verleger Korrektur lesen lässt (Seite 108, 118) oder ihr Screenshots von Mails schickt, in der sie vom Verleger gelobt wird. (Seite 167, 319).
Bis zum Ende des Buches habe ich zu der Figur Charlotte (und zur Erzählstimme) keine Beziehung und schon gar keine Sympathie entwickelt. Da machten auch nicht die larmoyanten Ausführungen über die Eigentümlichkeiten als Außenseiterin und das Einzelgängerdasein von Charlotte, die mit sich und anderen Mitmenschen ihre Schwierigkeiten hat, sie für mich nicht zugänglicher.

Was bleibt?
Eine vorhersehbare, kopierte flache Story in einer platt-derben Umgangssprache und einer unreifen Protagonistin, zu der ich keine Beziehung aufbauen konnte. Da, wo die Figur in der Tiefe hätte ausgearbeitet werden müssen (z.B. die Beziehung zu den Eltern, ihre Beziehungsstörungen…), blieb sie flach. Das ist umso trauriger, denn die Tragik und Problematik der Zusammenarbeit mit Assistentinnen/Assistenten (der Geschäftsleitung in allen Unternehmensbereichen) mit Vorgesetzten mit einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung (männlich wie weiblich), die gibt es. Das kann ich aus eigener langjähriger Berufserfahrung als Assistentin bestätigen und das einzig Richtige, was man bei der Erkenntnis tun kann, ist zu gehen und dafür nicht zu lange zu warten. Nur wird diese Tragik erst im letzten Drittel des Buches präsent und damit ist die oberflächliche Story mehr als knapp am Inhalt vorbei.

Caroline Wahl hat in einem Interview mit Matze Hielscher (Podcast Hotel Matze) gesagt:
„Ich möchte eine der bekanntesten Autorinnen in Deutschland sein. Ich möchte krass-krass erfolgreich sein.“
Das ist heute dank Social Media schnell umsetzbar, erst recht, wenn der Kontext egal ist. Das setzt aber nicht gleich, eine Schriftstellerin zu sein, die mit einer literarisch feinen Sprache, tiefgründig ausgearbeiteten, überzeugenden Figuren und einer klugen Handlung überzeugt – und damit eine Berechtigung zur Nominierung eines Buchpreises erhält. Dafür braucht es mehr.
Von daher wünsche ich Caroline Wahl die nötige Zeit und Muße, die es braucht, um ihre Schreibarbeiten dahingehend reifen zu lassen. Die nächste Publikation muss nicht wieder ein Roman sein, sie kann dann auch gerne eine Novelle werden. Die verkaufen sich auch gut, wenn sie nicht „scheiße“ sind. (Seite 110)

Das Cover fällt ins Auge und ist gut gewählt.

Eigentlich schreibe ich keine negative Rezensionen, weil ich die Zeit lieber in Bücher investiere, die ich für empfehlenswert erachte. Da ich jedoch das Berufsbild der „Assistentin“ langjährig kenne, war dies der besondere Grund, das Buch bis zum Schluss zu lesen. Weil ich mich aber über diesen Roman wie beschrieben derart geärgert habe, ist diese Nicht-Empfehlung zumindest für mich begründet.

Sabine Wagner

 

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