Interview mit Anna Kuschnarowa

In Würzburg geboren studierte Anna Kuschnarowa Ägyptologie, Germanistik und Prähistorische Archäologie in Leipzig, Halle/Saale und Bremen und unterrichtete zehn Jahren an mehreren deutschen Hochschulen. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeiten arbeitet Anna Kuschnarowa als Fotografin und gründete 2011 die Seschat Fernschule für Ägyptologie. Wenn sie nicht schreibt oder fotografiert verreist sie,  wann immer es geht, rund um den Globus.

Bei Gulliver/Beltz & Gelberg sind von der Autorin die Jugendbücher „Spielverderber“ (2008), „Schattensommer“ (2010), „Junkgirl“ (2011) und ganz aktuell „Djihad Paradise“ (September 2013) erschienen. Außerdem verschiedene Texte in den drei Anthologien „Gothic-Dark Lyrics“ (2009-2010), ebenfalls Gulliver/Beltz & Gelberg.

Für „Kinshasa Dreams“ (Gulliver/Beltz & Gelberg, 2012) erhält Anna Kuschnarowa im Dezember den Gustav-Heinemann-Friedenspreis. (einen Artikel hierzu findet Ihr auf dieser Seite.)

Ein schöner Grund, um mit der interessanten Autorin ein Interview zu führen.

Anna Kuschnarowa (Foto (c) Robert Carol)

Anna Kuschnarowa (Foto (c) Robert Carol)

Frau Kuschnarowa, wie kommt man von der wissenschaftlichen Arbeit der Ägyptologie und Prähistorischen Archäologie zu der völlig anderen, künstlerischen Arbeit der Schriftstellerei?

Anna Kuschnarowa:

Eine gute Frage. Dazu kann ich nur sagen: Zwei völlig unterschiedliche Interessenslagen, die aber beide schon immer vorhanden waren. Eigentlich wollte ich schon immer Autorin werden, aber dieser Berufswunsch erschien mir so unrealistisch, dass ich die ersten dreißig Jahre meines Lebens eben nur für die Schublade geschrieben habe.

„Kinshasa Dreams“ erzählt beeindruckend und aufwühlend die Geschichte von Jengo, der aus Kinshasa flüchtet, da sein Leben dort gefährdet ist. Sie lassen Jengo als Ich-Erzähler von seinen Erlebnissen berichten und man vergisst manchmal beim Lesen, dass es keine autobiographisches Buch ist.

Woher haben Sie diesen vielen Detailkenntnisse?

Wie lange haben Sie recherchiert und liegt vielleicht eine wahre Geschichte eines Afrikaners zugrunde?

Anna Kuschnarowa:

Ich fange einmal von hinten an: „Kinshasa Dreams“ ist im eigentlichen Sinn kein biographischer Roman, aber ich war lange mit einem Kongolesen zusammen, der immer wieder zu mir gesagt hat: „Du musst unbedingt einmal einen Roman über Flüchtlinge schreiben.“ Und ich muss gestehen, dass ich mich lange um dieses Thema herumgewunden habe. Nicht, weil es mich nicht interessiert hat, im Gegenteil – es ist so eine Art Familienthema bei mir, denn mein russisch-ukrainischer Großvater floh nach dem Ersten Weltkrieg aus der Sowjetunion und musste viele Jahrzehnte in Deutschland mit dem Status der „Staatenlosigkeit“ klarkommen. Trotzdem fand ich es ein wenig vermessen, aus der Perspektive eines anderen kulturellen Hintergrunds zu schreiben. Aber je tiefer ich mich eingelesen und je mehr ich auch von meinem Freund gehört habe, desto empörter war ich und dann musste ich das Buch einfach schreiben. Vermessenheit hin oder her. Von der Idee bis zur Umsetzung hat es dann etwa drei Jahre gedauert. Ich habe versucht, möglichst viele unterschiedlich Quellen heranzuziehen und aus all dem, was ich recherchiert habe, ein exemplarisches Schicksal zu amalgamieren. Die Gemeinsamkeiten mit meinem damaligen Freund beschränken sich aber in erster Linie darauf, dass er Kongolese und Boxer ist und mir sehr plastisch vom Kongo und den „Hexenkinder“ berichtet hat. Aber seine Odyssee war tatsächlich noch viel verwickelter als Jengos Geschichte. Zum Glück hat er inzwischen einen Berufsabschluss, einen unbefristeten Aufenthaltstitel und eine süße kleine Tochter …

Die Beschreibungen des Flüchtling-Auffanglagers in Lampedusa sind aufwühlend und beschämend. Unbeschreiblich, wie dort mit den  Menschen umgegangen wird und wie sie gehalten werden.

Wird Italien, das ohnehin mehr als genug ungelöste politische und wirtschaftliche Probleme im eigenen Land hat, mit dieser problematischen Situation allein gelassen?

Anna Kuschnarowa:

Sicher. Ein Land schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu und die Mittelmeerstaaten sind natürlich noch viel stärker von der Flüchtlingsproblematik betroffen als die Binnenstaaten oder die Länder, die an Nord- und Ostsee grenzen. Insgesamt ist es ein sehr komplexes Problem. Eine langfristige Lösung kann eigentlich nur durch Hilfsmaßnahmen in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge stammen, erreicht werden. Die Erfindung von Frontex ist jedenfalls keine Lösung. Und zynisch, bigott und beschämend für die EU, die sonst so gerne Demokratie und Menschenrechte in alle Welt tragen möchte, aber an der eigenen Festung scheitert.

Waren Sie selbst vor Ort und haben sich die Zustände angeschaut?

Anna Kuschnarowa:

Nein. Man bekommt ja auch als Nicht-Flüchtling keinen Zutritt. Aber ich habe mit Flüchtlingen gesprochen und zahlreiche Dokumentationen von NGOs zu diesem Thema gelesen. Sehr aufschlussreich war auch das Buch „Bilal – Als Illegaler auf dem Weg nach Europa“ von Fabrizio Gatti, der sich in Günter-Wallraff-Manier als Illegaler ausgab, sich in Lampedusa internieren ließ und anschließend seine Erlebnisse, die er dort hatte, veröffentlicht hat.

Was denken Sie, wie könnte man den Flüchtlingen aus Afrika einfach und sinnvoll helfen – Wäre eine Unterstützung auf verschiedenen Gebieten in ihrem eigenen Land nicht sinnvoll(er)?

Anna Kuschnarowa:

Natürlich wäre es sinnvoller, das Übel an der Wurzel zu packen und den afrikanischen Ländern vor Ort mehr Unterstützung zukommen zu lassen. Immerhin stehen wir als Europäer in einer gewissen Verantwortung, denn ein Teil der Probleme, mit denen viele afrikanische Länder heute zu kämpfen haben, sind Folgen des europäischen Kolonialismus. Und vieles, was heute unter dem Deckmäntelchen der Entwicklungspolitik (Entwicklungshilfe) läuft, dient eher der Erschließung neuer Absatzmärkte in Afrika und schadet oft mehr als dass es hilft. So schottet sich beispielsweise der US- und EU-Agrarmarkt weitgehend von Agrarprodukten aus afrikanischen Ländern ab. Gleichzeitig werden viele Länder gezwungen, ihre Märkte für die subventionierten Agrarprodukte des Westens zu öffnen. Folge: Die einheimischen afrikanischen Märkte werden zerstört. Hinzu kommt, dass Afrika ein bevorzugtes Ziel für Land-Grabbing ist. Dies bedeutet, dass fremde Länder sich in Afrika Agrarflächen kaufen, damit die Versorgung der eigenen Bevölkerung zuhause gesichert ist. Solange der Westen und China von solch einem neokolonialen Verhalten nicht Abstand nehmen, wird sich die Lage in Afrika in den nächsten Jahren noch verschlimmern. Aber dies ist die „große“ Politik, die wir lediglich mit unserem Kreuzchen bei der Wahl beeinflussen können.

Was aber wirklich jeder tun kann, ist, seinem Umfeld einfach etwas aufmerksamer zu begegnen, eigene Vorurteile abzubauen, vielleicht auch ein wenig toleranter zu werden und ein bisschen Zivilcourage zu zeigen, beispielsweise wenn in der eigenen Straße oder Stadt Fremde angepöbelt werden und als kleines Rädchen, das wir alle nun mal nur sind, einfach ein wenig Willkommenskultur zu etablieren. Es ist vollkommen kontraproduktiv die Augen davor zu verschließen – Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland.

Und wer darüber hinaus noch etwas tun möchte, kann zum Beispiel auch Amnesty International, Pro Asyl oder andere NGOs unterstützen.

Trotz unserer Vergangenheit und in einem aufgeklärten, demokratischen Land gibt es hierzulande immer auffälligere und zum Teil auch gewalttätige  Gegenwehr, wenn Asylanten verschiedener Kulturen in der Nachbarschaft untergebracht werden.

Warum denken Sie, ist das so?

Anna Kuschnarowa:

Ich denke, dass das unterschiedliche Gründe hat. Der Mensch neigt nun einmal zur Xenophobie, zur Angst vor dem Fremden. Die größte Angst hat man ja immer vor dem, was man nicht kennt.

Denkbar unglücklich ist aber auch die Praxis, Asylanten die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit zu verbieten und sie in Asylantenwohnheimen zu ghettoisieren, anstatt sie in ganz normalen Wohnungen unterzubringen. Wie soll auf diese Weise Integration gelingen?

Hinzu kommt aber sicherlich auch noch der Umstand, dass der Sozialstaat zunehmend erodiert wird und die Abstiegsängste in der Bevölkerung immens sind. Es ist ja leider eine Tatsache, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. Diese durchaus verständliche und berechtigte Verunsicherung greifen vor allem rechte Parteien auf, die die Zuwanderer zum Sündenbock der sozialen Misere machen und so leider immer wieder Zündstoff für einen pöbelnden Mob wie zuletzt in Berlin-Hellersdorf liefern.

Wenn Sie mit diesem Buch auf Lesungen bei Jugendlichen zu Gast sind, welche Reaktionen erfahren sie da?

Anna Kuschnarowa:

Das ist sehr unterschiedlich. Die meisten Jugendlichen, mit denen ich bisher gesprochen habe, stehen dem Thema sehr offen und interessiert gegenüber, aber es gibt natürlich auch einige, die – wie viele Erwachsene ja auch – Angst vor „Überfremdung“ haben. Leider ist diese Haltung längst wieder in der Mitte der Bevölkerung angekommen, ohne dass sich diese in irgendeiner Form als „rechts“ betrachtet. Trotzdem gibt es aber auch bei diesen Jugendlichen, die der Einwanderung kritisch gegenüberstehen, auch immer wieder welche, die dann nach der Lesung scheinbar doch ein wenig ins Grübeln kommen und noch einmal nachfragen, ob es Einwanderer denn wirklich so schwer haben.

Sie sind eine vielseitig interessierte Frau, reisen gern und auch Ihre Bücher setzen sich immer wieder mit neuen Themen auseinander.

Sind sie eine disziplinierte Schreiberin mit fester Tagesstruktur oder lassen Sie sich eher lieber treiben?

Anna Kuschnarowa:

Nein, Disziplin und Askese sind mir leider überhaupt nicht in die Wiege gelegt worden. Und zum Glück ist mein Leben sehr abwechslungsreich, aber dadurch auch immer ein wenig chaotisch. Deswegen schreibe ich mir jeden Abend ellenlange To-Do-Listen, damit ich nichts Wichtiges vergesse –  und wenn ich am nächsten Abend die Hälfte von dem umgesetzt habe, was auf meinen tollen Listen steht, war es ein guter Tag. Sich-treiben-lassen ist aber übrigens auch sehr schön und sehr inspirierend, ist aber bedauerlicherweise bei der Fülle der Aufgaben nur begrenzt möglich. Sagen wir es so: Die Intensität meiner Disziplin verhält sich direkt proportional zum Näherrücken des Abgabetermins … 😉

Was lesen Sie persönlich gerne?

Anna Kuschnarowa:

Uff. Einfacher wäre es zu sagen, was ich nicht gerne lese. Klatsch- und Tratschzeitschriften und eskapistische Groschenromane á la „Bergdoktor“ zum Beispiel. Ansonsten lese ich fast alles, zum Beispiel Zeitungen wie den „Freitag“, dazwischen perverserweise gerne auch mal das ein oder andere wissenschaftliche Werk und meine Lieblingsautoren sind Chuck Palahniuk, Philippe Djian und James Joyce.

Sie haben 2011 gemeinsam mit einer Kollegin die Seschat Fernschule für Ägyptologie gegründet. Erzählen Sie bitte mal ein wenig darüber. Was muss ich mir als Laie darunter vorstellen – und – gibt es viele interessierte Schüler/-innen?

Anna Kuschnarowa:

Die Ägyptologie beschäftigt sich in erster Linie mit der altägyptischen Kultur und den klassischen altägyptischen Sprachen. Ich habe ja lange an der Uni gearbeitet und gesehen, dass es überraschend viele Laien gibt, die sich sehr für dieses Fach interessieren. Allerdings sind die Institute personell chronisch unterbesetzt. Von daher wird die Betreuung von Seniorstudierenden oft etwas stiefmütterlich behandelt. Gleichzeitig genieren sich viele ältere Ägypteninteressierte, den Studierenden den knapp bemessenen Raum in den Hörsälen wegzunehmen oder sie stehen mitten im Berufsleben und sind zeitlich gar nicht in der Lage, an den Seminaren und Vorlesungen teilzunehmen. Diese Beobachtung und der Umstand, dass ich gerne meine eigene Chefin bin, waren es schließlich, die meine Kollegin Katharina Stegbauer und mich auf die Idee gebracht haben, unsere Fernschule zu gründen und interessierten Laien vor allem die altägyptischen Sprachen und die Hieroglyphenschrift in Form von Fernkursen näherzubringen. Darüber hinaus bieten wir aber auch Kurse zu allen anderen Themenbereichen der Ägyptologie wie etwa „Geschichte des pharaonischen Ägypten“, „Kunst und Architektur“, „Religion und Götterwelt“ sowie Studienreisen nach Ägypten und zu Sonderausstellungen an und erfreulicherweise stößt unser Angebot auf große Resonanz.

Viele Ägypten-Kenner haben nicht damit gerechnet, dass die Lage dort so brutal eskaliert.

Wurden auch Sie davon überrascht und wie schätzen Sie die Situation und Entwicklung ein?

Anna Kuschnarowa:

Nein, ehrlich gesagt hat es mich nicht überrascht, dass die Lage in Ägypten eskaliert ist. Das Land befand sich schon seit langem in einer sehr schwierigen innenpolitischen Lage, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und wachsende Armut und noch immer eine sehr hohe Analphabetenrate, dazu die vom Militär getragene autokratische Herrschaft Mubaraks mit seiner korrupten Günstlingswirtschaft und der nach außen getragenen Pseudodemokratie.  Die Unzufriedenheit der meisten Ägypter und ihre Revolution gegen das Regime Mubaraks im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ ist da nur zu verständlich, aber die hochgesteckten Erwartungen des Westens an diese Erhebung allerdings nicht. Ägypten ist ein zutiefst gespaltenes Land. Einerseits gibt es die liberalen Kräfte, aber andererseits haben – nicht zuletzt durch den großen Einfluss Saudi-Arabiens, das wahhabistische Strömungen weltweit pusht –  ultrakonservative Kräfte schon unter Mubarak großen Zulauf gehabt. Die Revolution wurde von unterschiedlichen Kräften getragen, deren gemeinsames Ziel es war, Mubarak zu stürzen, aber nun, wo er weg ist, differenzieren sich die Interessen in unterschiedliche Richtungen aus. Die islamistische Muslimbruderschaft wurde zwar demokratisch gewählt, aber es ist geradezu naiv, von Vertretern einer ultraorthodoxen religiösen Strömung den Aufbau einer pluralistischen Demokratie zu erwarten. Nun hat das Militär Präsident Mursi abgesetzt, der Status quo ist wiederhergestellt. Es wird wohl leider unruhig bleiben. Aber demokratische Strukturen wachsen eben langsam.

Und last but not least auch für Sie die letzten drei Bücher leben! – Fragen:

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)

Anna Kuschnarowa:

Nachts.

Wie schreiben Sie? (Laptop, per Hand, PC)

Anna Kuschnarowa:

Die Recherchenotizen mache ich neuerdings wieder handschriftlich, obwohl ich viel schneller tippen als schreiben kann. Aber ich habe den Eindruck, dass ich mir viel besser merken kann, was ich mir notiert habe, wenn ich es mit der Hand geschrieben habe. Vielleicht ist das Einbildung, vielleicht aber auch ein Fall für die Hirnforschung.

Die Romane selbst hacke ich aber sofort in die Tastatur.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Anna Kuschnarowa:

Ehrlich gesagt meistens im Bett. Am liebsten würde ich ja in der Badewanne schreiben, aber ich habe immer Angst um mein Netbook. Und wenn ich wirklich Reizentzug brauche und manchmal brauche ich den dringend (siehe Disziplin), dann fliehe ich in eine einsame Jagdhütte in Thüringen. Dort zwischen lauter Bäumen, Plumpsklo und den vermilbten und schon ein wenig kahl gewordenen Jagdtrophäen des Urgroßvaters meines Freundes lenkt mich nichts ab außer der Frage, warum mich das ausgestopfte Eichhorn eigentlich ständig so pikiert anstarrt.

Sabine Hoß

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 [AKA1]Könnte hier evtl. noch „Djihad Paradise“ erwähnt werden? Kommt am 09.09. raus ;). Falls es nicht möglich ist, ist es aber auch nicht so schlimm ;).

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