Interview mit Sabine Ludwig zu „Schwarze Häuser“

Frau Ludwig, das Buch „Schwarze Häuser“ ist Ihr persönlichstes, weil auch Sie als Kind in ein Kinderheim verschickt wurden.

Wenn Sie heute ans Meer fahren, mit welchen Gefühlen stehen Sie dann dort?

Sabine Ludwig:

Mit sehr positiven. Als ich vor 50 Jahren in das Kinderheim nach Borkum kam, kannte ich die Nordsee nicht und war unglaublich beeindruckt von dem Wechsel der Gezeiten, dem Licht, dem ständigen Wind. Wir mussten bei jedem Wetter raus und das war das Beste an den ansonsten schrecklichen sechs Wochen. Einen Kloß im Hals bekomme ich viel eher bei bestimmten Gerüchen, denen nach saurer Milch oder gekochten Nieren.

Diese Kindheitserinnerungen liegen nun schon eine Weile zurück. Gab es einen besonderen Grund, ein besonderes Erlebnis, das diese Erinnerungen so lebhaft gemacht haben, dass ein Buch daraus entstand?

Sabine Ludwig:

Nein, es gab keinen besonderen Anlass. Dass ich dieses Buch schreiben wollte, stand für mich schon lange fest. Und dann hab ich eines Tages einfach angefangen. Ich bin dann auch letzten November nach Borkum gefahren, habe sogar in meinem alten Kinderheim gewohnt, das jetzt ein superschickes Apartmenthaus ist, und genau wie damals wanderte jede Nacht der Strahl des Leuchtturms über mein Bett.

Was hat Sie in Ihrer Zeit im Kinderheim gerettet, wie haben Sie diese bedrückenden Zustände ausgehalten?

Sabine Ludwig:

Gerettet hat mich meine Fantasie. Genau wie Fritze in dem Buch hab ich mir Geschichten ausgedacht und sie den anderen Mädchen erzählt. Wir fühlten uns von bösen Hexen gefangen und gequält und haben versucht, uns mit unseren Mitteln dagegen zu behaupten. Da wir während des Mittagschlafes nicht miteinander sprechen durften, haben wir uns Briefchen geschrieben. Und die ungenießbare Milchsuppe haben wir eines Morgens ausgekippt.

Glauben Sie, dass heute auch noch Kinder/Jugendliche unter ähnlichen Umständen zu einem solchen Zusammenhalt finden?

Sabine Ludwig:

Glücklicherweise existieren solche Zustände, wie sie damals in vielen Kinderheimen herrschten, heute nicht mehr. Aber es gibt andere Situationen, unter denen Kinder leiden. In der Schule zum Beispiel. Schreckliche Lehrer können auch sowas wie Gemeinschaft unter den Kindern stiften.

Fritze hat in dem Buch eine raffinierte Geheimsprache mit ihren Eltern, in der sie unverfänglich mitteilen kann, ob es ihr gut geht: Zeichnet sie schwarze Häuser, geht es ihr nicht gut, zeichnet sie bunte Häuser, ist alles in Ordnung.

Ist  das eine Idee für diese Geschichte oder war es tatsächlich auch Ihre Geheimsprache mit den Eltern?

Sabine Ludwig:

Ja, das hatte ich so mit meinen Eltern vereinbart. Die Briefe mit all den schwarzen Häusern darauf habe ich aufgehoben. Meine Eltern haben mich auf diese Botschaft hin aber leider nicht zurückgeholt, sondern nur gefragt, wann ich ihnen denn endlich ein buntes Haus zeichnen würde. Es hat mich sehr gekränkt, dass sie meinen Kummer nicht ernst genommen haben.

Die Betreuung der beiden Schwestern sind geradezu niederträchtig. Unfassbar auch die Qualität der Mahlzeiten. Die Kinder haben ja mehr ab- als zugenommen, was ja auch den Eltern auffallen mussten, die gutes Geld für einen Kurheimaufenthalt ausgegeben haben.

Die Kinder waren ihrer Betreuung ohnmächtig ausgesetzt, wenn sogar die Post zensiert wurde. All diese Zustände waren keine Seltenheit, wie die Kinder in dem Buch untereinander austauschen.

Warum haben sich die Eltern nie beschwert und alles so hingenommen?

Sabine Ludwig:

Für die meisten Eltern hat dieser „Kuraufenthalt“ nicht soviel gekostet, das wurde vom Staat übernommen. Aber natürlich gab es auch die, die tief in die Tasche greifen mussten, wenn sie wollten, dass ihre Kinder sechs Wochen untergebracht wurden. Gründe dafür gab es viele, die Geburt eines weiteren Kindes zum Beispiel, eine Trennung, manche Eltern wollten auch einfach Urlaub ohne ihre Kinder machen.

Man darf nicht vergessen, dass die Eltern vor 50 Jahren andere waren als die Eltern von heute, die ihre Kinder mit Argusaugen überwachen und bei der kleinsten Kleinigkeit nach dem Anwalt rufen. Für uns Kinder war das einerseits gut, weil man unendliche Freiheit genoss, andererseits aber auch nicht, weil vieles einfach als gegeben hingenommen wurde und Autoritäten nicht in Frage gestellt wurden, das kam erst mit der 68er-Generation. In meinem Fall haben sich allerdings meine Eltern mit anderen Eltern zusammen beim Amt beschwert, weil wir alle total abgemagert von dieser „Kur“ zurück kamen. Was aus dieser Beschwerde wurde, weiß ich nicht.

Interview führte Sabine Hoß

 

 

 

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