Kurz-Interview mit Kirsten Boie zu „Der Junge, der Gedanken lesen konnte“

Vier Fragen an Kirsten Boie zu Ihrem neuen Kinderbuch „Der Junge, der Gedanken lesen konnte – Ein Friedhofskrimi“ Oetinger Verlag, März 2012, € 14,95

Kirsten Boie - Foto (c) Paula Markert

Kirsten Boie - Foto (c) Paula Markert

Die Themen Tod, Sterben und Abschied ziehen sich wie ein roter Faden durch dieses Buch. Themen, mit denen wir uns Erwachsene uns in der Regel schwer tun, erst recht, wenn Kinder neugierig darüber fragen. Haben Sie eine Idee, Anregung, wie wir mit diesem Thema, (nicht nur Kindern gegenüber), offener, ungehemmter umgehen können, ohne dabei mit abgegriffenen, rührseligen Vorstellungen zu antworten?

Kirsten Boie:

Nein, das wäre aber auch eine hohe Erwartung! Ein bisschen mehr Offenheit würde ich mir aber schon wünschen, gerade Kindern gegenüber. Dass wir uns in der Regel vor dem Tod, oft noch stärker vor dem Sterben fürchten, erscheint mir selbstverständlich, wie bei allem, von dem man nicht weiß, was kommt – und schon gerade, wenn wir das Leben mögen! Andererseits wissen wir aber auch, dass Angst durch Verdrängung nicht geringer wird. Und da das Sterben heute meistens außerhalb der eigenen Wohnung stattfindet, können wir uns umso leichter einreden, dass es mit uns nichts zu tun hat und vielleicht sogar – toi, toi, toi! – ganz an uns vorüber gehen wird. Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft und einer Zeit, in der Unterhaltung und Vergnügen einen hohen Stellenwert haben. Anderen ihr Vergnügen kaputt zu machen, gilt als geradezu moralisch verwerflich. Deshalb hat auch die Trauer in unserer Gesellschaft kaum noch einen angemessenen Platz. Mal eben kurz zu trauern ist zulässig, gehört sich vielleicht sogar, aber doch bitte nicht zu lange, bitte die anderen nicht damit belästigen! Das wäre dann ein Zeichen von mangelnder Selbstdisziplin, das gehört sich nicht. So verschwindet der Tod immer mehr aus unserer Wahrnehmung und unserem Bewusstsein, und Kinder bekommen keine Antwort auf ihre Fragen.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf einen Friedhof und treffen auf einer leeren Grabstätte eine illustre Gruppe auf Campingstühlen; zwischen ihnen ein buntes Picknick mit Kartoffelsalat, Frikadellen, Bier und Cola. Setzen Sie sich dazu oder ergreifen Sie die Flucht?

Kirsten Boie:

Grundsätzlich: Klar setze ich mich dazu! Aber nur, wenn mir die Leute sympathisch wären. Mit jedem esse ich meinen Kartoffelsalat nicht, auch nicht auf einem Friedhof!

Die Idee der Schilinskys ist so herrlich komisch wie skurril. Ist der Friedhof (als sogenannter „Ort der Stille“) für Sie manchmal zu still?

Kirsten Boie:

Ich mag Stille und ich mag die Stille auf Friedhöfen. Und für Menschen, die sich noch im intensiven Trauerprozess befinden, ist sie vielleicht sogar nötig. Andererseits bin ich immer wieder überrascht, wie wenigen Menschen man vor allem in den Großstädten auf Friedhöfen begegnet – obwohl das häufig wunderschöne Orte sind. Und dass Menschen, die in winzigen Wohnungen leben, sie viel mehr nutzen könnten, erschiene mir manchmal wirklich sinnvoll. Ich vermute, dass es weniger die Pietät ist, die uns daran hindert, Friedhöfe wie Parks zu besuchen, sondern viel mehr die Tabuisierung des Todes.

Valentin und Mesut klären mit Bravour alle Verbrechen auf. Trotzdem bleibt die Geschichte mit dem Brief, den Valentin von seinem Vater aus Kasachstan erhält, auf raffinierte Weise offen. Einige Vorableser haben die Frage gestellt, die ich hiermit weiterleite, ob die Phantasie des Lesers die Geschichte fortsetzen soll oder wird es eine weitere Geschichte mit Valentin und Mesut geben?

Kirsten Boie:

Nein! Das ist wirklich, wirklich, nicht geplant. Es ist einfach eine Geschichte mit einem offenen Ende. Oder eigentlich sogar nur mit einem halb-offenen. Denn was in dem Brief steht, kann man sich ja schon denken!

Vielen Dank, liebe Kirsten Boie für die Antworten – und Ihre Zeit. Ich wünsche Ihnen von Herzen noch viele wunderbare Bücher.

Sabine Hoß

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