Interview mit Lara Schützsack

Lara Schützsack, 1981 in Hamburg geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften sowie amerikanische Literatur und Kultur an der Universität Potsdam. Danach absolvierte sie ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Ihr erster Film „Draußen ist Sommer“ lief 2013 in den deutschen Kinos. Lara Schützsack lebt und arbeitet als Autorin und Musikberaterin in Berlin.

„Und auch so bitterkalt“ ist ihr erster Roman, zu der ich die junge Autorin interviewt habe.

Lara Schützsack (Foto (c) Christiane Wöhle

Lara Schützsack (Foto (c) Christiane Wöhle

 

Frau Schützsack, auch wenn die Frage ziemlich unkreativ ist, was hat Sie gereizt, das Thema Magersucht zu thematisieren?

Lara Schützsack:

Ich habe mich nicht hingesetzt und gedacht: So, jetzt schreibe ich ein Buch über Magersucht. Viel eher war es so, dass die Figur Lucinda dieses Thema mit sich gebracht hat. Lucinda tauchte als Figur in meinen Gedanken auf und war von Anfang an eine Grenzgängerin. Sie hat das Leben zugleich an sich gerissen und abgelehnt. In einem der ersten Bilder, die ich von ihr hatte, sah ich sie von hinten auf einem Stuhl sitzen. Sie war unglaublich schmal und wirkte vollkommen abwesend. Dann wieder sah ich eine junge Frau vor mir, die vor Energie zu zerbersten drohte. Lucinda bewegt sich ununterbrochen in diesem Spannungsfeld und dann passiert es immer mehr, dass die Energie nicht nach außen sondern nach innen geht, sich gegen sie selbst richtet. Bis die Energie irgendwann in ihr implodiert. Zwei andere entscheidende Wesenszüge sind ihre Lust am Spiel und ihr Bedürfnis nach Kontrolle. Auch hier ist es so, dass ihr Bedürfnis, Kontrolle über ihre Umwelt zu haben, sich immer mehr gegen sie selbst und ihren eigenen Körper richtet. Was am Anfang noch spielerisch ist, wird mit der Zeit immer substanzieller.

Es gibt einen Song von Arcade Fire, der beschreibt ganz gut, was ich im Bezug auf sie gefühlt habe.

My body is a cage that keeps me
From dancing with the one I love
But my mind holds the key

Das sind also alles die Eigenschaften, die diese Figur mit sich gebracht hat. Mehr oder weniger haben mich diese Charakterzüge zum Thema hingeführt. Und dann ist es natürlich auch so, dass diese Thematik bei Mädchen in dem Alter nicht ungewöhnlich ist. Ich kenne eine Menge Mädchen, die in Lucindas Alter mit verschiedenen Formen der Essstörungen zu kämpfen hatten. Es war also auch ein Thema, zu dem ich einen Bezug hatte. Dennoch ist die Geschichte für mich nie nur eine Geschichte über Magersucht gewesen. Es geht viel mehr um den Schmerz und das Unvermögen, erwachsen zu werden.

Beim Lesen habe ich mich an den verschiedenen Figuren gerieben, was nicht negativ zu bewerten ist, ganz im Gegenteil. Haben Sie diese Ambivalenz bewusst so herausgearbeitet?

Lara Schützsack:

Lucinda ist sicherlich eine Figur, die ambivalente Gefühle hervorruft. Genau das macht sie für mich aber auch zu einer Protagonistin. Mit ihrer widersprüchlichen Energie bringt sie auch die anderen Figuren in Bewegung, treibt sie an ihre Grenzen.

Auch hier ist es so, dass ich nicht bewusst diese ambivalenten Figuren entwickelt habe. Sie haben sich aus Lucindas Verhalten ergeben. Erst durch Lucinda lernen wir die “dunklen“ Seiten der anderen Figuren kennen. Sie provoziert sie durch ihr Verhalten. Im Rückblick würde ich sagen, dass Lucindas Figur mich durch die Geschichte geleitet hat. Die Eltern, Isa und Frieder, sind für mich Figuren, welche die meiste Zeit „antworten“ auf Lucindas Verhalten und in dieser Extremsituation wenig Platz haben, uns ihre entspannten Seiten zu zeigen. Das ist bestimmt auch einer der Gründe, warum die Leser sich an ihnen reiben könnten. Ich bin weniger jemand, der bewusst schreibt. Viel eher lasse ich mich von meinen Figuren oft intuitiv  führen und gelange so zu Bildern und neuen Situationen.

War der Schreibprozess für Sie auch „aufreibend“ oder war es eher ein locker fließender Prozess?

Lara Schützsack:

Es wäre gelogen wenn ich sagen würde, dass der Schreibprozess immer einfach war. Aufreibend war er aber auch nicht wirklich. Es war schon ein fließender Prozess. Ich musste wenig darüber nachdenken, was als nächstes passiert, die Dinge geschahen einfach. Trotzdem saß ich an vielen Tagen einfach nur da und habe nichts geschrieben. Nur Musik gehört und gewartet. Im Nachhinein denke ich, dass das ein wichtiger Teil der Arbeit an diesem Buch war.

„Und auch so bitterkalt“ ist Ihr erster Roman.

Was fasziniert Sie bei dieser Schreibarbeit im Vergleich zum Drehbuch?

Lara Schützsack:

Prosa schreiben ist einsamer. Hier gibt es keine monatlichen Besprechungen mit Produktion oder Redaktion. Keine Co-Autorenschaft mit der Regie. Während ich schreibe, kann ich mich ganz und gar in mich zurückziehen. Das kann von Vorteil sein weil man keine Kompromisse eingehen muss, aber auch von Nachteil, weil man keine Verantwortung abgeben kann. Beim Schreiben von Drehbüchern schreibt man ja häufig im Team und das verleitet mich bisweilen eher dazu, albern zu werden und auch mal in eine ganz absurde Richtung zu denken. Kleine Ausflüge, die häufig ohne Ziel sind, aber dazu führen, dass der Schreibprozess eine gewisse Leichtigkeit bekommt. Wenn ich alleine schreibe, bin ich viel strenger mit mir. Alles wiegt schwerer. Alleine kann ich nur in völliger Ruhe an meinem Schreibtisch arbeiten. Kaum jemand darf meine Texte lesen, weil mich zu viele Anmerkungen von außen eher nervös machen als das sie hilfreich sind.

Ein weiterer Unterschied ist, dass man sich beim Drehbuchschreiben gerne kurz fasst. Das ist auch gewünscht. Das stundenlange Fabulieren hat hier keinen Raum. Man versucht also das, was man sagen möchte, knapp und in aussagekräftigen Bildern darzustellen. Anders beim Schreiben von Prosa. Hier habe ich die Möglichkeit eine Situation, eine Gefühlslage in vielen Worten darzulegen. Hier ist es erlaubt, ja sogar erwünscht, ganz einzutauchen in die Sprache. Während es beim Drehbuch oft „kürzen, kürzen, kürzen“ heißt, darf man hier Seite um Seite füllen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Ich kann die Seelenzustände meiner Protagonisten, ihre Gedanken in all ihren Schattierungen beschreiben. Ich kann all das in Worte fassen, wofür mir eventuell die Bilder fehlen.

Beim Drehbuchschreiben findet ein großer Teil des Schreibprozesses nie den Weg auf das Papier. Ich muss das Innenleben meiner Figuren kennen, darf es aber nicht einfach aufschreiben. Ich muss es in ein Bild übersetzen. Hier zählt nur das Sichtbare. Erschwert oder vereinfacht das den Schreibprozess? Ich weiß es nicht. Sicherlich aber schult das Schreiben von Drehbüchern das visuelle Denken und das kann nur von Vorteil sein für das Schreiben von Prosa.

Am Schreiben von Prosa fasziniert mich diese gewisse Weltabgewandtheit. Das In-sich-gehen und Bei-sich-sein. Es kann mich mit größtem Glück erfüllen, einen ganzen Tag lang in meinem Büro zu sitzen und über einen einzigen Satz nachzudenken. Ihn zu drehen, zu wenden, zu verwerfen, wieder zu retten. „Welch ein Luxus!“, denke ich an guten Tagen, an denen ich abends die Tür des Büros hinter mir schließe und noch halb im Text nach Hause stolpere. Welch ein Geschenk! Ja, vielleicht ist es das. Das Schreiben an einem Prosatext erscheint mir jeden Tag von neuem als ein Geschenk.

Welche dieser beiden Mädchen ist Ihnen von ihren persönlichen Eigenschaften näher, Lucinda, die mit sich und anderen kompromisslos, egoistisch und idealistisch umgeht oder die zaghafte, unsichere jüngere Schwester Malina?

Lara Schützsack:

Tatsächlich: Beide zu gleichen Teilen.

Obwohl die Mutter im Grunde, wie alle Mütter, nur das Beste für ihre Töchter will, verhält sie sich unglaublich herrschsüchtig und dominant. Lucinda ist sich ihrer Schönheit bewusst und spielt gerne mit den Gefühlen, übt also auch eine gewisse Macht über andere aus.

Ist das der oder zumindest ein Grund, der Mutter und Tochter sehr ähnlich werden lässt und sie deshalb auch nicht miteinander zurecht kommen?

Lara Schützsack:

Das ist interessant weil das Gefühl, die Mutter sei herrschsüchtig, häufig von Lesern formuliert wird. Ich selber das aber nicht so empfinde. Sie ist auf jeden Fall der dominantere Part der Eltern. Das liegt aber auch daran, dass der Frieder, ihr Mann, auf eine Art sehr passiv ist, und sie das Gefühl hat, dieses Vakuum füllen zu müssen. Das Übermaß an Verantwortung, das auf ihr lastet, lässt sie schnell “hochgehen“. Anders als der Vater stellt sie ihre Fähigkeiten als Mutter auf Grund von Lucindas Verhalten ständig in Frage und wird zunehmend unsicherer und deswegen auch ungehaltener.

Lucinda und ihre Mutter brennen beide auf sehr hoher Flamme, darin sind sie sich auf jeden Fall gleich. Sie sind sehr präsent und man kann ihre Anwesenheit nicht übersehen. Sie halten sich ungern in der Beobachterrolle auf, anders als die kleine Schwester und der Vater. Sicherlich ist dieses Brennen auf hoher Flamme auch ein Grund, der es Lucinda und ihrer Mutter schwierig macht, sich zeitglich in einem Raum, aufzuhalten.

Gibt es eine Möglichkeit, wie die beiden Töchter sich aus dem Matriarchat ihrer Mutter befreien können?

Lara Schützsack:

Nein. Die Familienstrukturen, in denen wir aufgewachsen sind, sind maßgebend in unserem Leben. Wir können sie zwar oberflächlich abwerfen. In unserem Inneren jedoch werden sie bestehen bleiben.

Was würden Sie sich wünschen, was soll dieses Buch beim Leser auslösen

Lara Schützsack:

Ich selber wünsche mir von einem Buch, dass es eine Welt erschafft, die nachhallt. Ich möchte die letzte Seite lesen, dass Buch zuklappen und kein anderes Buch zur Hand nehmen wollen weil ich die neu erschaffene Welt nicht gleich übermalen möchte.

Musik verbindet die beiden Schwestern und sogar den Vater, der sich ansonsten gerne zurückzieht. Bestimmte Lieder haben eine beruhigende Wirkung auf Lucinda, wirken wie eine Art Mantra. Da Sie auch als Musikberaterin in Berlin arbeiten, ist Musik für Sie sicher lebenswichtig.

Was muss ich mir unter der Arbeit einer Musikberaterin vorstellen?

Und: Welche Musik hören Sie gerne?

Lara Schützsack:

Meine Tätigkeit als Musikberaterin besteht darin, zu überlegen, an welchen Stellen im Film Musik eingesetzt werden sollte und welche Musik zu den ausgesuchten Szenen passen könnte. Wichtig ist, dass man immer wieder neue und unbekannte Musiker auftut.

Ich höre bei Musik stark auf den Text. Ich mag Stücke, die eine Geschichte erzählen. Epische Stücke, Hymnen. Gerne auch ein bisschen zuviel von allem. Oder aber ganz zurückgenommen, nur Stimme und Gitarre. Musik soll mich beruhigen, mir sagen, dass alles gut ist, wie es ist. Aber Musik kann für mich auch stark beunruhigend sein, aufwühlend. Das Dazwischen interessiert mich wenig.

Und beim Schreiben? Mit oder ohne Musik? (Falls „mit“, welche?)

Lara Schützsack:

Beim Sammeln von Ideen definitiv mit.

I am Kloot, The Cure, Pulp, Arcade Fire , Conor Oberst, Alex Turner

Beim Ausschreiben ohne.

Wird es noch weitere Bücher von Ihnen geben? Wenn ja, in welchem Genre?(Kinder-/Jugendbuch-/Erwachsenen-Buch)

Lara Schützsack:

Ich hoffe sehr, dass es noch weitere Bücher von mir auf den Buchmarkt schaffen werden.

Zurzeit arbeite ich an zwei Büchern. Eines davon ist definitiv ein Buch für Kinder.

Bei dem anderen bin ich nicht sicher, ob es eher für Jugendliche oder für Erwachsene ist. Das wird sich im Laufe der Arbeit herausstellen.

Und auch für Sie die letzten drei „Bücher leben!“-Fragen:

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)

Lara Schützsack:

Zu regulären Arbeiten. Also von neun bis fünf.

Wie schreiben Sie? (Laptop, per Hand, PC)

Lara Schützsack:

Laptop

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Lara Schützsack:

Ganz langweilig: in meinem Büro.

 

Sabine Hoß

 

 

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