Interview mit Kai Meyer

Kai Meyer, Jahrgang 1969, ist einer der großen deutschen Schriftsteller im Bereich der fantastischen Literatur, die er aber raffiniert mit anderen Genres zu kombinieren weiß. Er studierte Film und Theater, volontierte als Journalist bei einer Tageszeitung und war Redakteur für Kultur und Vermischtes, bevor er sich 1995 ganz auf das Schreiben von Büchern verlegte. Seitdem hat er über 50 Bücher veröffentlicht, darüber hinaus schreibt Kai Meyer auch Dreh- und Hörbücher. Seinen großen Durchbruch hatte der Autor 1994 mit „Die Geisterseher“, 1998 folgte der erste Bestseller „Die Alchmistin“, weitere Bestseller folgten mit den Trilogien „Die Wellenläufer“, „Die Fliessende Königin“ und zuletzt „Arkadien erwacht“. Seine Auflage beträgt weltweit mehrere Millionen Exemplare und die Bücher erscheinen in 30 Sprachen. Kai Meyers Bücher wurden mit diversen Preisen ausgezeichnet und standen auf zahlreichen Nominierungslisten. Einige seiner Bücher wurden verfilmt oder als Hörspiel und Comic adaptiert.

Sein aktuelles Buch „Asche und Phönix“ (Carlsen, Dezember 2012) feiert ebenfalls großen Erfolg. Ein schöner und guter Grund, mit dem Autor ein (Mail-)Interview zu führen.

Kai Meyer (Foto (c) Martin Steffen)

Kai Meyer (Foto (c) Martin Steffen)

 

Kai Meyer, Sie führen den Leser in Ihren Romanen oft an Handlungsorten im warmen, Süden Europas: Italien, Südfrankreich, im Gegensatz dazu zieht es sie aber auch ins kalte Russland.

Zieht es Sie persönlich eher in die südlichen Gefilde oder wählen Sie die Umgebung entsprechend Ihrer Plotplanung aus?

Kai Meyer:

Erst einmal muss der Schauplatz zur Geschichte passen. Zu „Frostfeuer“, einer Geschichte um die Schneekönigin, passte das verschneite Sankt Petersburg eindeutig besser als das heiße Sizilien der „Arkadien“-Romane. Aber ich bin da auch durchaus eigennützig: Während der Arbeit an einem Buch halte ich mich ja, jedenfalls im Kopf, an den Schauplätzen auf, und im Nachhinein fühlt es sich durchaus fast wie eine echte Reise an. Und da habe ich mir vor der dreijährigen Arbeit an den „Arkadien“-Büchern genau überlegt, dass ich lieber jahrelang am Mittelmeer bin als in, sagen wir, Sibirien.

Sie sind ein großer Schriftsteller in der phantastischen Literatur und lassen dabei mit Leichtigkeit verschiedene Genres ineinander gleiten. Kann man in der Phantastik-Literatur übertreiben und wenn ja, wo sehen Sie die größten Gefahren?

Kai Meyer:

Ich habe meine Phantastik immer in der realen Welt verankert. Das mag mal das Mittelalter oder das 19. Jahrhundert gewesen sein, aber es war immer unsere Erde, kein Fantasyland. Mittlerweile bin ich dazu übergangen, meine Romane zudem in der Gegenwart spielen zu lassen; ich habe die Figuren auch in meinen historischen Romanen immer sehr modern geführt, auch in den Dialogen, deshalb lag es nahe, in die Neuzeit wechseln. Ich mag den Kontrast aus Phantastik und Realität – ein gutes Beispiel ist die Szene in einem Ferienhotel voller Sukkubi in „Asche und Phönix“. Das ergibt manchmal eine ziemlich bizarre Mischung und wäre dann wohl Magischer Realismus, wenn es aus einem spanisch-sprachigen Land käme.

Sie schreiben auch Hör- und Filmdrehbücher. Haben Sie beim Schreiben mehr oder weniger unbewusst auch den Gedanken im Kopf, die Handlung filmgerecht festzuhalten oder ist das für Sie ein völlig anderer Arbeitsprozess?

Kai Meyer:

Ich denke bei einem Roman nie an eine Umsetzung in ein anderes Medium. Das sind völlig unterschiedliche Dinge, nicht nur in der Form, sondern auch inhaltlich. Bei meinen Hörspielmanuskripten habe ich mich z.B. sehr darum bemüht, mit akustischen Effekten zu arbeiten. Als Beispiel: Im Hörspiel „Der Brennende Schatten“ ist die Waffe, mit der eine riesige Meerhexe bezwungen werden kann, eine alte Kirchenglocke. Ein Gegenstand also, der Geräusche produziert. In einem Roman hätte das auch etwas ganz anderes sein können.

In der phantastischen Literatur werden Mythen, Symbole spannend und unterhaltsam aufbereitet. Doch auch in diesem Genre gibt es Qualitätsunterschiede. Was macht für Sie ein wirklich qualitativ anspruchsvoller und unterhaltsamer Fantasy-Roman aus?

Kai Meyer:

Gute Unterhaltung erkenne ich, wenn ich sie sehe. Das heißt: etwas, das mich gut unterhält. Das mag ja für andere todlangweilig sein und umgekehrt. Grundsätzlich mag ich eine dichte Atmosphäre, der Hintergrund sollte stimmen. Ich möchte, dass man mir originelle Ideen präsentiert und interessante Figuren. Im Idealfall hätte ich gern eine Stimulation meiner Vorstellungskraft. Und es darf ruhig ein bisschen poetisch und vor allem stilsicher sein. Auch schlechter Geschmack kann ein Stil sein, aber dann sollte er zumindest eine eigene Handschrift tragen.

Lesen Sie Bücher von Kollegen/Kolleginnen in diesem Bereich (zu Ende) und werden Sie noch von anderen Ideen und Umsetzungen überrascht??

Kai Meyer:

Immer seltener. Ich sehe wahnsinnig viele Filme und lese noch immer eine Menge Comics, aber die Zahl der Bücher, die ich bis zum Ende lese, ist ziemlich gesunken. Hörbücher höre ich dagegen öfter komplett, das zählt dann ja auch als beendetes Buch, oder? Mit High Fantasy kann ich leider nicht mehr viel anfangen, bei Game of Thrones bin ich im zweiten Buch ausgestiegen, finde aber die TV-Serie großartig. Manchmal nehme ich mir mal einen alten Sword-and-Sorcery-Roman vor oder eine Kurzgeschichte, das hat dann aber eher mit Nostalgie zu tun. Was neue Phantastik angeht, so lese ich wieder sehr viel mehr Horror oder auch Romane, die zumindest mit dem Unheimlichen arbeiten. Dazu gehört auch Mainstream, der in Wahrheit Genre ist, wie Carlos Ruis Zafón.

Schon oft hat man die Fantasy-Literatur totgesagt, doch sie bleibt lebendig und ist im Grunde nicht mehr wegzudenken. Die Tatsache, dass man dieses Genre immer wieder abschreiben will liegt vielleicht daran, dass bestimmte Strömungen und Trends (Vampire, Wehrwölfe, Engel) von den Verlagen dermaßen ausgeschlachtet werden, dass man nach einer Weile wirklich schon bei den Schlagworten nur noch weglaufen will.

Sehen Sie das ähnlich – und würden Sie sich hier eine Veränderung wünschen?

Kai Meyer:

Selbst wenn ich einen Einfluss darauf hätte, würde mir kein Patentrezept einfallen. Ich schreibe das, worauf ich Lust habe, und hoffe dann, dass es in eine Kategorie fällt, die sich verkaufen lässt. Was ist beispielsweise „Asche und Phönix“? Urban Fantasy? Wirklich „urban“ sind Dreiviertel des Romans ja nicht. Horror? So darf man das heute nicht mehr nennen, schon gar nicht im Jugendbuch, obwohl der Roman unheimliche Elemente hat. Fantasy? Finde ich sehr allgemein und wenig hilfreich, auch wenn das derzeit der Konsens-Begriff zu sein scheint. Romance? Nicht für mich, weil nicht jeder Roman mit einer Liebesgeschichte etwas für die klassische Romance-Leserin ist.

In „Asche und Phönix“ geht es (unter anderem) um Starruhm. Diese Suche danach erlebt man aktuell in den zahlreichen Casting-Shows zweifelhafter Talente. War das für Sie ein Auslöser, diese Thematik als Handlungsbasis zu nehmen?

Kai Meyer:

Nicht der Auslöser für den Roman, aber für einige Elemente darin. Auf jeden Fall. Aber mir geht es nie um Botschaften, nur um Themen.

Das aktuelle Buch ist ein in sich abgeschlossener Roman, was mir persönlich gut gefällt. Viele Ihrer Bücher sind in Reihen, Trilogien aufgebaut. Was liegt Ihnen mehr: Geschichten, die sich über mehrere Bände entwickeln können oder die Handlung innerhalb eines vorgegebenen Buchumfangs zu erfassen?

Kai Meyer:

Es ist schön, eine Geschichte nach 500 Manuskriptseiten beenden zu können und sich eine neue auszudenken. Auf der anderen Seite mag ich die epische Komplexität von Mehrteilern, auch die dramaturgischen Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn ich eine Geschichte in mehreren Episoden erzähle. Wäre etwa die „Arkadien“-Reihe ein einziges Buch, hätte der Inhalt ganz anders ausgesehen.

Und auch für Sie die letzten drei ??? am guten Schluss:

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)

Kai Meyer:

Früher vor allem morgens, mittlerweile zieht es sich oft bis zum Abend. Blödes Internet.

Wie schreiben Sie? (PC, per Hand, Laptop)

Kai Meyer:

Mit dem Laptop auf dem Schoß.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus)

Kai Meyer:

Meist in meiner Bibliothek, seltener im Arbeitszimmer. Mittlerweile habe ich noch ein kleines Nebenhaus ohne Telefon- und Internetanschluss, in dem ich vermehrt arbeite, weil ich dort meine Ruhe habe.

 

Sabine Hoß

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