Interview mit Daniel Speck

Daniel Speck – Foto (c) Nell Killius

Sie lassen ihre Figur Lucy (Seite 85) sagen, dass sie mehr „an Yoga glaubt als an Psychotherapie“ mit der Begründung „Psychotherapie analysiert Deine Person, Yoga ist die direkte Verbindung mit dem Leben“.                            Dieser Satz lässt die Vermutung nahe, dass Sie die Psychotherapie kritisch betrachten und ihr mit dieser Aussage auch ihre selbst-heilende Wirkung absprechen. Wie kommen Sie auf diese Meinung?

Die Aussagen einer Figur sind nicht die Aussagen des Autors. Lucy Faerber ist nicht Daniel Speck. Sie hat ihre eigene Erfahrungswelt, aus der heraus ich ihre Szenen schreibe. Ich halte es für problematisch, ein literarisches Ich mit dem Ich des Autors gleichzusetzen. Jeder Autor, der einen Krimi schreibt, müsste eigentlich ein Mörder sein. Und alle Figuren seines Romans hätten dasselbe Geschlecht, denselben kulturellen Hintergrund, dieselbe Biografie, und es gäbe keine Spannung innerhalb einer Geschichte. Ich persönlich habe ein positiveres Bild von Psychotherapie als Lucy, die sich für den yogischen Weg entschieden hat und in der Szene, als sie der Therapeutin ihrer Mutter begegnet, eifersüchtig darauf ist, dass ihre Mutter der Therapeutin mehr erzählt hat als der eigenen Tochter.

Lucy erlebt eine übersinnliche Situation „ekstatischer Freude“, die sie vergleicht, dass sie „Liebe mit einem anderen Leben“ gemacht hat. Sie beschreibt es nicht als etwas Übernatürliches, es war auch keine Nahtoderfahrung und ihr Leben ist ihr auch nicht als Film vorbeigezogen, Drogen hatte sie mutmaßlich auch keine genommen.                                      Hatten Sie selbst auch schon einmal ein derartiges Erlebnis?                                Wenn nicht, wie sind Sie zu diesen lebhaften Beschreibungen gekommen?

Man muss als Autor nicht alles erlebt haben, was eine Figur erlebt; man braucht einfach Empathie und Vorstellungsvermögen. Ich hatte selbst noch keine Out-Of-Body-Erfahrung, aber zusammen mit Lucy habe ich sie jetzt intensiv durchlebt – zumindest fühlt es sich so an. So wie man auch als Leser Erfahrungen durchleben kann, die man in der eigenen Biografie nie hatte. Das macht Literatur so wertvoll – als virtuellen Erfahrungsraum, der uns die Möglichkeit gibt, die Welt durch andere Augen zu betrachten.

1968 haben die Menschen unter Anleitung eines Gurus und mit Unterstützung von Yoga, Meditation und spirituellen Übungen die Grenzen ihres Bewusstseins versucht zu erweitern bzw. zu überschreiten.                     Die Suche nach Identität und die Lebens-Sinnfrage bleiben auch heute nach wie vor ein wichtiges Thema. Die einen suchen verbissen und bleiben ohne Antwort, andere nehmen das Leben leicht, auf sich selbst fokussiert.            Was bedeutet „Identitätssuche“ und die Lebenssinnfrage für Sie persönlich und wie gehen Sie damit um?

Ich suche meine Identität nicht mehr; ich habe sie gefunden und empfinde jetzt Freude daran, mich beim Schreiben in andere Identitäten einzufühlen. Dabei entfernt man sich erst vom eigenen Ich… um dann an einem Punkt universeller Erfahrungen zu kommen, an dem man die tiefsten eigenen Empfindungen in einem Menschen in einem anderen Menschen wiederfindet. Auch Meditation dient ja dazu, die Grenzen des eigenen Egos zu transzendieren und einen Raum des reinen, universellen Da-Seins zu betreten.

Wie schwierig war es für Sie, die Hippiezeit, das Leben und Regelwerk in Maharishis Ashram zugewandt aber auch durchaus kritisch zu beschreiben; was war hier für Sie die größte Herausforderung?

Wenn ich eine Zeitmaschine hätte, würde ich mich gern ins Jahr 1968 zurückbeamen, zu den Beatles in Indien. Weil ich leider keine habe, konnte ich nur nach Rishikesh reisen, wo der „Beatles Ashram“ heute ein faszinierender „Lost Place“ im Urwald ist. Dort versuchte ich mir vorzustellen, was damals passiert war. Zum Glück fand ich auch detaillierte Erfahrungsberichte von Teilnehmern des Meditationskurses, an dem die Beatles teilgenommen haben. Die Herausforderung bestand darin, aus den teils übereinstimmenden, teils unterschiedlichen Sichtweisen der verschiedenen Teilnehmer eine gemeinsame „Wahrheit“ herauszufiltern, die mir als Erzählhintergrund dienen konnte. Zwar stimmten die chronologischen Daten weitgehend überein (George Harrisons Geburtstagsfest, das Feuerwerk, der Hubschraubertrip, der Sexskandal und die Abreise der Beatles), aber was den Maharishi angeht, fand ich recht unterschiedliche Einschätzungen seiner Person, die von „Scharlatan“ bis „Heiliger Mann“ reichten. Die Stärke eines Romans liegt in der subjektiven Erzählperspektive, weshalb er nicht den Objektivitätsanspruch eines Sachbuchs hat. Mir ist es dennoch wichtig, die Wirklichkeit nicht zu verfälschen, Respekt gegenüber allen realen Figuren zu wahren… und bei aller Empathie eine gesunde Distanz. Ich möchte nicht urteilen, sondern beschreiben. Ich bin kein Richter, sondern Erzähler. Die Leser mögen sich ihr eigenes Urteil bilden – bei dem mein Buch eine Perspektive unter vielen ist.

 Ich bin Jahrgang 1967 und es ist wohl kein Geheimnis, dass die Generation unserer Eltern bei vielen gegenüber uns Kindern recht konservativ, dominant und verschlossen war.                                                                                                  Glauben Sie, dass unsere Generation als Eltern daraus gelernt haben und unseren Kindern mehr Freiheit, Offenheit aber auch mehr Stabilität mitgegeben haben, die ihre eigene Identitätsfindung leichter macht? 

Eine konservative Erziehung kann den Kindern durchaus Stabilität vermitteln. Die Hippie-Generation hat ihren Kindern wohl eher Freiheit als Stabilität mitgegeben. Und auch das hat seinen Preis. So wie die Schattenseite von Stabilität Unflexibilität ist, ist die Schattenseite von Freiheit Einsamkeit. Was Lucy von ihren Eltern mitbekommen hat, ist der Spirit des Immer-Unterwegs-Seins. Auf gewisse Weise sind Lou und Corinna nie vom Hippie-Trail zurückgekehrt, sondern blieben einem Aufbruch ohne Ende verhaftet. Und so ist auch Lucy eine Lebensnomadin in der Berliner Yogaszene: Nie ankommen… und das als Lebensphilosophie verklären. „Life Long Learning“. Auf ihrer Reise nach Indien versteht Lucy schließlich, dass ihre vererbte innere Unruhe tatsächlich eine Flucht vor dem Familiengeheimnis ihrer Eltern war. Indem sie es gegen den Widerstand ihres Vaters aufdeckt, kann sie inneren Frieden finden. Als sie bei sich selbst ankommt, kann sie sich auch wieder dem Leben und der Liebe öffnen.

Sie sind gerade auf einer ausgedehnten Lesereise in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs.                                                                                            Mich würde interessieren, welches Alter Ihr Publikum bei „Yoga Town“ hat? Ist es eher die Generation der „Alt-Hippies“, sind es eher jüngere Leser/ Leserinnen oder ist der Altersbogen von Alt bis Jung? Mehr Frauen oder mehr Männer?

Definitiv mehr Frauen. Frauen lesen grundsätzlich mehr Romane als Männer, und meine Bücher sind Familiengeschichten. Bei meinen Mittelmeer-Romanen „Bella Germania“ „Piccola Sicilia“ und „Jaffa Road“ war das Publikum etwas älter; mit „Yoga Town“, das ja auch eine Coming Of Age Geschichte von jungen Sinnsuchern ist, wird das Publikum etwas jünger. Und es kamen ältere Herrschaften an den Signiertisch, die mir sagten: „Sie haben das nur beschrieben. Aber ich war dabei. Und es war eine geile Zeit!“

Die Möglichkeiten und Auswirkungen von künstlicher Intelligenz ist ein viel diskutiertes Thema. Befürchten auch Sie, dass die KI in den nächsten 5-10 Jahren die geistigen literarischen Arbeiten von Schriftsteller*innen, Drehbuchautor*innen in großen Teilen übernimmt oder sehen Sie dieser Entwicklung eher entspannt entgegen?

Ich verdränge das bisher noch erfolgreich. Weil ich immer noch überzeugt davon, dass Autorinnen und Autoren etwas besitzen, das keine KI hat: Empathie, Gefühle, Ambivalenz, Fantasie. Eine KI bezieht sich nur auf Erfahrungswerte der Vergangenheit. Kreativität ist aber ein innovativer Akt: Etwas erschaffen, das noch nie da war.

Und am Ende auch für Sie die drei typischen „Bücher leben!“-Fragen: 

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)

Morgens, mittags, abends, nachts.

Wie schreiben Sie? (PC, per Hand, Laptop)

Am Laptop, durch die Wohnung wandernd.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Es gibt keinen Winkel meiner Wohnung, in dem ich noch nicht geschrieben habe. Selbst die Badewanne ist davor nicht sicher. Am liebsten aber schreibe ich auf Reisen; da ist mein Geist am freiesten.

Interview Sabine Wagner

Die Besprechuung zu „Yoga Town“ liest man hier.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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