Interview mit Jürgen Banscherus

Jürgen Banscherus (Foto (c) Gitta Pielmeyer-Banscherus)

Jürgen Banscherus (Foto (c) Gitta Pielmeyer-Banscherus)

 

Geboren ist Jürgen Banscherus am 13. März 1949 in Remscheid-Lennep. (Nur zur Info: Remscheid liegt  n i c h t  im Ruhrgebiet …) Nach dem Abitur studierte er zunächst Geistes- und Sozialwissenschaften in Münster und Bonn. Danach arbeitete er als Journalist bei einer Tageszeitung, war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschung und Lehrer in der Erwachsenenbildung sowie Verlagslektor. Seit 1983 veröffentlicht Jürgen Banscherus Lyrik. Rassistische Übergriffe gegen Türken in Dortmund gaben ihm den Impuls für sein erstes Kinderbuch „Keine Hosenträger für Oya“, das 1985 im Arena Verlag erschien, ein großer Erfolg und mehrfach ausgezeichnet wurde. Seit 1989 ist Banscherus freier Schriftsteller. Neben ausgezeichneten Büchern wie „Davids Versprechen“ (Arena 1993), „Die Stille zwischen den Sternen“ (Oetinger, 2001) oder „Novemberschnee“ (Arena 2002) wurde er weltweit bekannt durch seinen kleinen, cleveren Detektiv „Kwiatkowski“, der inzwischen in 16 Sprachen und in Blindenschrift übersetzt ist.

2010 erhielt der Autor zu seinen zahlreichen anderen Auszeichnungen den renommierten Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis. Neben seiner Autorentätigkeit ist Jürgen Banscherus Mitglied im PEN, Vorsitzender der Jury des bundesweiten Vorlesewettbewerbes und engagiert sich mit pädagogischen Abenden für Lehrer und Eltern zum Thema Leseförderung.

Für „Bücher leben!“ stand der sympathische Autor in einem Mail-Interview Rede und Antwort.

Herr Banscherus, Sie schreiben seit 27 Jahren Kinder- und Jugendliteratur und können auf eine Entwicklung des letzten Vierteljahrhunderts auf dem Buch- und Verlagsmarkt zurückblicken.

Was hat sich Ihrer Meinung nach zum Negativen verändert, was vielleicht auch zum Positiven?

Jürgen Banscherus:

Ich fange mit dem Positiven an: Als ich 1983 mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern begann, dominierten (ausgebildete oder selbsternannte) Pädagogen die Verlagsszene. Erwachsene definierten zu großen Teilen, was Kinder und Jugendliche zu lesen hatten. Das hat sich geändert. Kein Akteur auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt – vom Autor bis zum Buchhändler – kann es sich heute leisten, die Bedürfnisse der Leserinnen und Leser zu vernachlässigen. Und das ist gut so.

Negativ ist eine notgedrungen fast manische Orientierung an den Erfordernissen des globalisierten Marktes, an Umsatz und Rendite. Dadurch wird  sprachlich bzw. inhaltlich Innovatives oder gar Experimentelles in den Hintergrund gedrängt. Diese Ängstlichkeit verbunden mit dem Zu-Tode-reiten jeder Mainstream-Welle tun dem deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuch überhaupt nicht gut.

Die Szene behauptet von sich, dass sie sich derzeit „im Umbruch“ befindet.

Welche Veränderung würden Sie sich wünschen?

Jürgen Banscherus:

Solange ich dabei bin, behaupten die Protagonisten der Szene, dass sie sich im Umbruch befinde. Es wäre ja auch seltsam, wenn sie es nicht täten. Denn dann müssten sie den Stillstand, in dem die Kinder- und Jugendliteratur meiner Meinung nach seit Jahren steckt, eingestehen.

Außerdem: Was soll das für ein „Umbruch“ sein? Meint man damit nicht vor allem die Vernetzung des Buchs mit anderen Medien? Geht es nicht vorwiegend um technische Fragen?

Ich wünsche mir eine Kinder- und Jugendliteratur, die wieder mehr Risiken eingeht. Und ich wünsche mir Verleger, die ihre Türen und Herzen für solche Texte öffnen.

1985 erschien Ihr erstes Kinderbuch „Keine Hosenträger für Oya“, das bis heute erfolgreich auf dem Markt ist und immer wieder gerne als Schullektüre genommen wird.

Muss man heute dynamischer,  aggressiver, schreiben um Kinder / Jugendliche zu erreichen?

Jürgen Banscherus:

Ich glaube nicht, dass man heute in einer bestimmten Weise schreiben muss. Es gibt Kinder – und es wird die Mehrheit sein – , die mögen „schnelle“ Stories, die sind genervt, wenn sich eine Geschichte langsam entfaltet. Und es gibt andere, die sich auch heute noch mit großer Lust in den ruhigen Strom einer Erzählung fallen lassen können. Letztendlich kommt es auf die Qualität der Geschichte an: inhaltlich und formal.

Ihr Stil, Ihre Sprache geht sparsam mit ausschmückenden Beschreibungen um, aber trotzdem zeichnen Sie sehr genau ihre Charaktere und Situationen. Dadurch entsteht für den Leser viel Raum, die eigene Phantasie aufleben zu lassen.

Ist weniger für Sie mehr?

Jürgen Banscherus:

In jedem Fall. Das, was  n i c h t  in einem Buch steht, ist mir genauso wichtig wie das, was drin steht. Erst die Leerstellen machen den Leser/die Leserin zum Co-Autor, zum Verfasser seiner Geschichte in meiner Geschichte. Insofern ist Schreiben für mich nicht nur ein dialogischer, sondern auch ein zutiefst demokratischer Prozess. Überrolle ich den Leser mit einer Welle schmückender Attribute, schränke ich ihn in seiner Phantasiearbeit ein. Genau das will ich nicht.

 In Ihren Büchern gibt es oft eine feine Ironie, wie beispielsweise in „Jimmi Nightwalker/Katana“. Hier gibt es einen Buchclub, der geheim bleiben muss, weil vor allem der türkische Junge Murat sonst um seinen Ruf als starker Junge fürchtet.

Also verstehen Kinder, entgegen der landläufigen Meinung, durchaus ironische Umschreibungen?

Jürgen Banscherus:

Da bin ich mir nach meinen Erfahrungen bei unzähligen Lesungen sehr sicher.

Ich sammle einen Meinungsquerschnitt zum Thema Deutscher Jugendliteraturpreis, der  ja durchaus von Autoren kritisch und kontrovers diskutiert wird.

Haben Sie das Gefühl, dass dieser Preis heute noch die Wertigkeit wie vor 10, 15 Jahren hat – und falls nein, was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Veränderung?

Jürgen Banscherus:

Meinem Gefühl nach gab es schon immer Jahre, in denen der Preis im Fokus der Aufmerksamkeit stand (z.B. bei „Die Wolke“ oder „Rennschwein Rudi Rüssel“), und andere, in denen er so gut wie gar nicht beachtet wurde.

Fällt Ihnen eine besondere und entsprechende Präsentation des Preises in den Buchhandlungen auf?

Jürgen Banscherus:

Nein.

Wie ist Ihre Meinung zu der Diskussion, dass die für die Nominierungen eingereichten Bücher ausschließlich Werke deutscher Autoren sein sollten? (wie anderen internationalen Literaturpreisen, bei denen keine fremdsprachigen Autoren berücksichtigt werden.)

Jürgen Banscherus:

Ich finde es wunderbar, dass der Preis im Gegensatz zu den meisten anderen Literaturpreisen den globalisierten Kinder-/Jugendbuchmarkt widerspiegelt. Setzt sich dabei ein deutscher Autor gegen internationale Konkurrenz durch, hebt das den Wert der Auszeichnung – und das Ego des Urhebers …

Sie engagieren sich sehr für die Leseförderung, Lesemotivation.(insbesondere bei den Jungen)

Wenn das Elternhaus kein Vorbild ist, wie sollen Kinder an Bücher herangeführt werden?

Wo bestehen, Ihrer Erfahrung nach, die größten Erfolgschancen?

Jürgen Banscherus:

Natürlich bietet das Elternhaus die größten Chancen, ein Kind für das Lesen zu begeistern: durch frühes Vorlesen, durch die dauerhafte Präsenz von Büchern im Alltag. Nimmt das Elternhaus diese Aufgabe nicht wahr, ist die Schule gefordert. In vielen Grundschulen steht bei den Unterrichtszielen der Erwerb von Lesekompetenz an erster Stelle. Da wird tolle Arbeit geleistet. Leider gibt es oft einen Bruch beim Übergang in eine weiterführende Schule. Gerade in den Klassen 5 und 6 müsste – speziell für die Jungen – viel mehr getan werden. Fortbildungsangebote gibt es in diesem Bereich genug – und Fachliteratur auch. Man muss nur wollen!

Immer wieder hört man im Rahmen der gendersensiblen Förderung der Lesemotivation, dass Jungen nicht gerne lesen. Ich persönlich sehe es so, dass sie ab einem bestimmten Alter (ca. ab 10 Jahre) nicht unbedingt weniger, aber anders lesen als Mädchen. Oft hört man auch eine Unsicherheit bei Eltern, die fast verschämt sagen: „Mein Junge liest nur oder am liebsten Sachbücher“, was völlig in Ordnung ist.

Was raten Sie Müttern und Vätern, die ihren Sohn zum Lesen motivieren wollen?

Jürgen Banscherus:

Man muss vieles ausprobieren. Das reicht von Büchergutscheinen, mit denen sich der Junge in der Buchhandlung  s e i n  Buch kaufen kann, bis zur Lesenacht von Vater (Großvater, Patenonkel) und Sohn, in der man sich abwechselnd Bücher vorliest. Druck hilft gar nicht. Was ich trotz allem beruhigend finde: Viele Jungen/Männer entdecken nie die Lust am Lesen – und führen trotzdem ein erfülltes Leben.

Gibt es eine Standard-Frage, die Ihnen von Eltern immer wieder zum Thema Leseförderung  gestellt wird – und wie lautet Ihre Antwort?

Jürgen Banscherus:

Frage: Wir haben schon alles versucht, aber mein Kind liest nicht. Was sollen wir nur tun?

Gegenfrage: Lesen Sie selbst?

Antwort: Äh … mhm … also … Wir sind beruflich sehr eingespannt, wissen Sie …

Die Mädchen beginnen schon sehr früh, sich mit sozialkritischen Themen auseinander zu setzen. Für sie gibt es auch ausreichend Literatur, die meist von weiblichen Protagonisten besetzt sind und damit aus weiblicher Sichtweise geschrieben sind. Die Verlage wünschen das immer wieder, weil die angeblich größere Zielgruppe die weiblichen Leser sind.

Wo bleiben bei diesen Themen die Jungen, die sich natürlich auch dafür interessieren aber wegen oben genannter Umstände nur selten in den Büchern wiederfinden?

Jürgen Banscherus:

In Ihrer Frage steckt schon die Antwort: Es lesen mehr Mädchen als Jungen, und es kaufen viel mehr Frauen Bücher als Männer. Das hat zur Folge, dass  a l l e  Programme von Kinder- und Jugendbuchverlagen „mädchenlastig“ sind. Den Jungen traut man – neben Sachbüchern – allenfalls noch die Lektüre von Fußballbüchern, Krimis und Fantasyromanen zu. Ich finde das außerordentlich schade. Jungen haben oft Probleme mit ihrer Empathie. Wo kann man Mit-Leiden, Mit-Empfinden besser lernen als in Büchern, die ernsthaft mit Gefühlen umgehen?

Sie waren Lehrer in der Erwachsenenbildung und sind oft bei Lesungen in Schulen. Obwohl es tolle neue Jugendliteratur gibt, die sich für den Schulunterricht eignet, begegne ich immer wieder den „alten Schinken“ aus meiner eigenen Schulzeit.

Haben Sie eine Erklärung für diese Hemmschwelle der Lehrer, mit ihren Schülern aktuelle Bücher zu lesen?

Jürgen Banscherus:

Ich habe eine Erklärung, aber die werde ich hier nicht kundtun. Auf jeden Fall müssen sich alle Verlage für die nächsten Jahre etwas einfallen lassen, um aktuelle Bücher verstärkt in die Schulen zu bringen.

Glauben Sie, dass man heute in der Leseförderung iPad oder PC einsetzen sollte, um den Kindern auch damit einen Zugang zu Büchern zu  erleichtern?

Jürgen Banscherus:

Schnelle Medien als Hilfe bei der Entdeckung der Langsamkeit? Ich weiß nicht …

Nach so vielen Fragen, womit entspannen Sie sich und was lesen Sie gerne?

Jürgen Banscherus:

Ich höre Musik und spiele Klavier, jogge um unseren See, spiele Tennis und führe endlose Gespräche mit meiner Frau. Vor allem aber bin ich ein Bücher-Junkie. Man dürfte mir das Schreiben verbieten, aber niemals das Lesen.

Und zum guten Schluss die drei Schluss-Fragen auch für Sie:

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)

Jürgen Banscherus:

Am Morgen und am Nachmittag.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Jürgen Banscherus:

An meinem Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer.

Wie schreiben Sie? (PC, per Hand, Laptop)

Jürgen Banscherus:

Am PC.

Lieber Herr Banscherus, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit und den interessanten Antworten. Ich wünsche Ihnen viele tolle Ideen für neue Bücher und weiterhin viel Spaß bei Ihrem Engagement rund um das Thema Leseförderung!

Sabine Hoß

 

 

 

 

 

 

 

 

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