Interview mit Claudia Schreiber

Claudia Schreiber begeistert mit einer lebendigen Lesung von "Sultan und Kotzbrocken" kleine und große Zuhörer. (Foto (c) Sabine Hoß)

Claudia Schreiber begeistert mit einer lebendigen Lesung von „Sultan und Kotzbrocken“ kleine und große Zuhörer.
(Foto (c) Sabine Hoß)

Frau Schreiber, Sie haben viele Jahre als Reporterin, Moderatorin und Redakteurin bei verschiedenen Fernseh- und Hörfunksendern gearbeitet, außerdem waren Sie maßgeblich an dem Aufbau und Realisierung der bekannten Kinder-Nachrichtensendung „logo!“ (KiKa) beteiligt.

 Arbeiten Sie heute neben der schriftstellerischen Arbeit in diesem Bereich?

Claudia Schreiber:

Wenn ich Bücher entwickle, braucht es eine ähnliche Recherche wie im Journalismus. Aber ich arbeite kaum noch journalistisch. Es ist eine andere Denkweise. Im Journalismus muss man mit dem Text des Tages leben. Wenn man Autor ist, holt man die Texte, die man geschrieben hat, wieder hervor; sie dürfen reifen. Die Genauigkeit des Textes ist so faszinierend, dass man mit den journalistischen Texten kaum noch leben kann. Wenn ich journalistisch arbeite, erreiche ich das Hirn eines Rezipienten, wenn ich aber literarisch schreibe, erreiche ich dessen Herz und die Seele.

Was hat Sie zu dem Wechsel vom Journalismus zum literarischen Schreiben inspiriert?

Claudia Schreiber:

Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals ein Buch schreibe. Ich bin ein Bauernmädchen, und an meiner Wiege hat niemand gesungen, dass ich jemals Autorin werde. Ich war in den Neunzigern als Journalistin in Moskau, und habe u.a. für SWF 3 eine sehr ernste und zugleich heitere Kolumne aus Moskau gemacht. Daraus ist dann durch Zufall mein erstes Buch entstanden, auf das ich natürlich sehr stolz war. Da wurde ich infiziert! In Russland habe ich viele Menschen kennengelernt, die Literatur lieben und wertschätzen, was mich fasziniert hat. Bei uns im Westen wird man erst Schriftsteller, wenn man erfolgreich mit dieser Arbeit ist – aber jeder belächelt skeptisch, wenn man im Begriff ist, es zu werden! In Russland war derjenige ein  Autor, der schreibt. Fertig. Ob publiziert oder nicht, spielte keine Rolle. Das hat mir Mut gemacht, mehr zu wagen.

Worin besteht für Sie die besondere Faszination beim literarischen Schreiben im Vergleich zu den sachlich orientierten journalistischen Arbeiten?

Claudia Schreiber:

Im Journalismus spiegele ich Welten.  Als Autorin, ich sags jetzt mal ganz bescheiden (sie lacht): Bin ich Gott, ich erschaffe neue Welten. Da ist beileibe nicht bloß Faszination, sondern zu 90 Prozent Kummer und Zweifel. Es ist nicht leicht, so etwas durchzuziehen. Ich muss von einem Projekt vollkommen überzeugt sein, sonst schafft man das nicht. Und da rede ich von einem Zeitraum von ein, zwei oder gar drei Jahren. Und es ist immer ein finanzielles Risiko. Beim Journalismus wird man in kleinen Häppchen entlohnt, beim Buch mehr – oder nichts. Verlage lehnen nämlich auch Projekte ab.

Sie sind, wie die Protagonistin Annie in „Süß wie Schattenmorellen“ in einem kleinen Dorf in Nordhessen aufgewachsen.

Wenn Sie heute Schattenmorellen essen, ganz spontan, was fällt Ihnen dann ein?

Claudia Schreiber: (lachend 🙂 )

Ich freue mich! Das schmeckt nach Zuhause.

Das Buch lebt zum einen von einer erfrischenden, klaren, subtil-ironischen Sprache und herrlich schrägen Figuren.

Sind diese skurrilen Personen typisch für Ihre Heimat oder wie sind Sie sonst auf die Ansammlung besonderer Charaktere gekommen?

Claudia Schreiber:

Ich liebe verrückte Menschen. Ich mache sie mir natürlich auch. Ich kenne solche Menschen nicht, aber ich bin selbst mehrere – der Fundus in mir ist groß. Ich kenne keinen Galle, den habe ich mir gemacht, weil ich mir bestimmte Dinge vorstelle, was Leute machen, was eben andere Leute nicht machen. Es gibt immer Leute, die irgendwie auf einem Bein hinken. Es stimmt nie und trotzdem suchen sie ihr Glück. Und wenn man das ein klein wenig zuspitzt, halte ich das für komisch.

Sie haben in Göttingen, Mainz, Baden-Baden, Moskau und Brüssel Station gemacht. Heute leben Sie in Köln. Sie sind auf dem Land aufgewachsen und leben jetzt in einer Großstadt.

Was fasziniert Sie an dieser Stadt?

Claudia Schreiber:

Ich brauche die Stadt. Aufs Land gehe ich gerne mal hin, um „Guten Tag“ zu sagen, die Natur belebt mich, ist mir aber auf Dauer zu eintönig. Ich finde  Köln interessant, weil diese Menschen dort sehr gesprächig sind, und gechillt. Und sie können gut feiern. Für Kinder gibt aber es nichts Schöneres, als auf dem Land aufzuwachsen. Das schenkt Freiheit, wenig Kontrolle durch die schwer arbeitenden Eltern: Ich hatte eine Bande, Freunde und Feinde, wir bauten uns Strohhütten, lebten mit den Tieren und sahen unsere Eltern erst im Winter – kein schlechtes Leben.

In „Süß wie Schattenmorellen“ geht es am Beispiel der chaotischen Familie von Annie, ihrer Mutter und ihrem Großvater um die Frage nach den Werten in unserer Gesellschaft, um verlorene Kindheit und Verantwortungslosigkeit, Überforderung von Erwachsenen.

Was war für Sie besonders wichtig?

Claudia Schreiber:

Für mich war besonders die Beziehung zwischen Annie und ihrer Mutter wichtig. Das Buch wird ja gerade für die Verfilmung adaptiert, und im Film wird die Beziehung noch ein wenig mehr in den Fokus gestellt. Dieses Verhältnis, das die Annie sich wie eine Erwachsene verhalten muss und die Mutter sich wie ein Kind geriert, halte ich tatsächlich für ein gesellschaftliches Phänomen. Heute werden die Erwachsenen von ewiger Kindheit bzw. Jugend gedrängt, was aber natürlich nicht funktioniert und nach einer Weile einfach nur noch lächerlich und stillos ist. Eine ewige Jugend gibt es nicht. Kinder hingegen wird alles abverlangt, sie kommen nicht mal mehr zum freien Spiel, haben schon früh zu viele Sorgen. Schlimm.

Sie haben zwei augenzwinkernde Bestimmungsbücher jeweils für Männer und Frauen geschrieben.

Zwei Wesen, die ohne den anderen nicht auskommen aber gemeinsam eine höchst explosive Verbindung sind?

Claudia Schreiber:

Das war eigentlich nur Spaß, Satire. Wenn ich damit Lesungen gemacht habe, waren das immer sehr komische Abende. Es kamen hauptsächlich Frauen, ich erinnere mich, dass wir miteinander geheult haben vor Lachen.

Sind Sie eine disziplinierte Schreiberin, d.h. arbeiten Sie nach einer regelmäßigen Struktur?

Claudia Schreiber:

Ja, eigentlich schon. Ich habe einen ziemlich festen Plan, Zuerst stelle ich mir die Frage, was, warum und wie, aus welcher Perspektive, ich eine Geschichte schreiben will. Bevor ich das Ende einer Geschichte nicht exakt kenne, kann ich sie auch nicht beginnen. Ganz wichtig ist die intensive Führung der einzelnen Figuren, vorher deren Entwicklung. Nicht zu vergessen die umfangreiche Recherchearbeit – ich muss genau wissen, wovon ich schreibe. Ganz zum Schluss kommt dann erst das eigentliche Schreiben.

Die Verlagsszene agiert zaudernd und klagt über verhaltende Einkäufe vom Buchhandel. Der Satz, „dass man im Umbruch sei und nicht so recht wisse, wohin die Entwicklung geht“, hört man seit Jahren.

Wie sehen Sie aus der Sicht als Schriftstellerin dieses gebremste Verhalten, was Innovation und Mut zu Entwicklungen und Veränderungen angeht?

Claudia Schreiber:

Bei vielen Erscheinungen spüre ich eine „RTL 2-iterarisierung“ des Sujets. Das ging mit den Feuchtgebieten los, über Shades of Grey und ähnliches – es wird gekauft! Ich frage mich, ob das auch wirklich gelesen wird?

Als der Buchdruck erfunden wurde, hat das die Welt verändert. Die mediale neue Revolution wird die Welt auch ändern, tut sie bereits, sicher auch die Bücherwelt. Ich bin gespannt, wie das weitergeht. Geschichten sterben nicht, das werden auch Menschen der nächsten Generationen mögen und verlangen, gute und schlechte.

„Emmas Glück“ wurde erfolgreich für das Kino verfilmt. „Süß wie Schattenmorellen“ wird gerade für eine Verfilmung vorbereitet.

Wann wird der Film wo zu sehen sein?

Sind Sie am Drehbuch und an der Auswahl der Schauspieler beteiligt?

Claudia Schreiber:

Wir hoffen, dass wir 2014 mit den Dreharbeiten beginnen können und der Film 2015 im Kino Premiere hat.

Wie bei „Emmas Glück“ schreibe ich mit am Drehbuch, bei der Auswahl der Schauspieler bin ich nicht beteiligt, das ist Sache des Produzenten und Regisseurs. Aber es gibt schon die Zusage einer ganz tollen Schauspielerin für die wichtige Rolle der Mutter, über die ich mich freue.

Haben Sie schon Ideen, Pläne für weitere Bücher?

(Erwachsenen-Literatur, Kinder-/Jugendbuch?)

Claudia Schreiber:

Ich schreibe gerade an einer Fortsetzung von meinem Kinderbuch Sultan und Kotzbrocken, der zweite Teil wird wieder beim Hanser Verlag im Herbst 2014 erscheinen. Wird sehr lustig – ich lache oft über meine eigenen lustigen Einfälle – mit wem sollte ich auch sonst lachen, ist ja keiner da. Schriftsteller sind immer allein. Ein so süßes Bilderbuch für Mädchen ist in Arbeit, wir diskutieren gerade, wer es illustrieren könnte. Das erscheint bei Hanser 2015. Und an einem großen Buchprojekt sitze ich auch. Das wird toll! 😉

Claudia Schreiber las am 12. August 2013 im Rahmen der "Leselust im Quadrum" aus "Sultan und der Kotzbrocken" und "Süß wie Schattenmorellen" (Foto (c) Sabine Hoß)

Claudia Schreiber las am 12. August 2013 im Rahmen der „Leselust im Quadrum“ (Foto (c) Sabine Hoß)

Die letzten berühmten drei Bücher leben!-Fragen:

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer)

Claudia Schreiber:

Früh morgens besonders gut, ab 14:00 Uhr werde ich müde. Nachmittags geht nur Recherche und Bürokram.

Wie schreiben Sie? (Laptop, per Hand, PC)

Claudia Schreiber:

Meistens Laptop oder PC. Wenn ich unterwegs bin per Hand. Ich mache mir viele Notizen und habe immer etwas zu schreiben dabei.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Claudia Schreiber:

Arbeitszimmer. Redigieren geht auch im Zug.

Vielen Dank für das wunderbar offene und sympathische Gespräch!

Sabine Hoß

 

 

 

 

 

 

 

 

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