Interview mit Claudia Schumacher zu ihrem Buch „Liebe ist gewaltig“

Die 1986 in Tübingen geborene Claudia Schumacher verbrachte ihre Jugend im Stuttgarter Speckgürtel. Nach ihrem Studium in Berlin lebte sie sieben Jahre in Zürich, wo sie als Journalistin arbeitete und Redakteurin bei der „NZZ am Sonntag“ war. Heute lebt die Autorin in Hamburg und schreibt unter anderem für „DIE ZEIT“.                               Trotz zahlreicher Presseterminen und Lesungen zu Ihrem Debütroman „Liebe ist gewaltig“ hat die sympathische Journalistin und der Schriftstellerin sich Zeit für ein Mail-Interview genommen, worüber ich mich sehr gefreut habe.

Claudia Schumacher (Foto (c) Roman Raacke)

Es ist sicher nicht die originellste Frage an eine Autorin, aber mich würde trotzdem interessieren, wie Sie auf die Idee gekommen sind, häusliche Gewalt hinter der Fassade einer bürgerlichen Wohlstandsfamilie mit gesellschaftlicher Etikette in einen Roman zu verpacken?

Mich faszinieren Gewalt und Grausamkeit in Familien. Wie können Liebe und Hass so nah beieinander liegen? Wie können Menschen im Umgang mit ihren Kindern brutal werden? Ich wollte das kammerspielartig, in hoher Dichte, am Beispiel einer scheinbar normalen Familie der Mittelschicht erzählen, hinter deren Fassade das Grauen herrscht. Anders als immer noch viele glauben, beschränkt sich häusliche Gewalt nicht auf die sozialen Ränder, nicht auf Schlagwörter wie „Ehrenmord“ oder „Alkoholikervater“, sie durchzieht sämtliche Milieus.

Hatten Sie vor dem Schreibprozess die Entwicklung von Juli und die Geschichte schon am Reißbrett entworfen oder hat sich das erst während des Schreibens entwickelt?

Ich hatte mich schon viele Jahre mit dem Thema befasst und auch schon einmal einen Manuskriptanlauf gewagt. Damals bekam ich aber weder das sehr komplexe Thema noch meine Hauptfigur in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu fassen. Und dann war sie plötzlich da, diese Stimme: Ich bin durch Hamburg geradelt und hatte diese Rotzgöre im Ohr — meine Juli. Also bin ich schnell nach Hause und habe die ersten Seiten geschrieben. An diesen Anfangsmonolog hat sich bis heute kaum etwas geändert.

Was war beim Schreiben und in der Auseinandersetzung mit Juli die größte Herausforderung für Sie?

Gewalt ist ein toxischer Stoff, der einem beim Schreiben auch immer wieder ins eigene Gesicht explodieren kann. Dabei habe ich mich oft gefühlt wie eine Chemielaborantin, die mit gefährlichen Stoffen arbeitet, gezwungenermaßen aber ohne Schutzkleidung ins Labor geht. Ich wollte mich einlassen, mich tief einfühlen.

Wie ist es Ihnen gelungen, sich so intensiv in Julis Welt einzudenken und einzufühlen, so dass der Leser/die Leserin sich von ihr und der Geschichte so in den Bann gezogen fühlt?

Ich habe mir vor dem Schreiben und während des Schreibens tausend Fragen gestellt und nach Antworten gesucht, mit Betroffenen und mit Psychologinnen gesprochen. Das Buch ist auch das Ergebnis einer großen Detailversessenheit, akribischer Recherche und viel harter Arbeit — am Ende wurde es aus 256 Textdokumenten in drei Ordnern geboren. Je mehr man weiß und über eine Sache nachdenkt, desto besser gelingt auch die Einfühlung, glaube ich. Ich bin auch immer wieder für längere Zeiträume weggefahren, aufs Land in die Ruhe, und ich habe mich beim Schreiben stark isoliert. Musikhören und lange Spaziergänge gehörten auch zur Einfühlungsarbeit. Wenn das Gefühl dann da ist, wird das Handy ausgemacht und ich suche mit Ohrstöpseln in der Stille die nötige Versenkung und Selbstvergessenheit zum Schreiben.

Gab es Stellen oder Momente, an bzw. in denen sie mit der Figur Juli gehadert haben und Sie persönlich (vielleicht) ganz anders gehandelt hätten und wenn ja, können Sie ein Beispiel geben?

Mich hat Juli schon sehr für sich eingenommen. Sie ist eine Art trauriger Clown, tänzelt auf einem Drahtseil über dem Abgrund — und merkt es mitunter selbst nicht. Ich bewundere an ihr, dass sie sich trotz ihrer Verletztheit immer wieder kopfüber ins Leben stürzt und nicht müde wird, ihr Glück zu suchen. Figuren entwickeln ja beim Schreiben ein Eigenleben: Juli hat mich in ihrer Knalltütigkeit immer wieder überrascht. Ich habe ihren Weg aber einfach mit viel Liebe und Neugier verfolgt. Als Autorin liegt es mir fern, das Handeln und den Charakter meiner Heldin zu bewerten. Mir war wichtig, dass ihr Handeln stimmig erscheint, aus Julis eigener, innerer Logik heraus.

Glauben Sie, dass sich heute viele junge Frauen in Julis Alter trotz aller feministischer Fortschritte dann doch letztlich der Führung und Richtung des männlichen Partners fügen – so, wie Juli es im Elternhaus erlebt hat?

Da möchte ich keine allgemeinen Aussagen machen — nichtmal für Juli, die sich ja letztlich immer wehrt gegen Bevormundung, auch wenn sie in die ein oder andere Falle rennt. In meinem Roman geht es um die vielen Richtungen, in die man sich verrennen kann, wenn man sich doch eigentlich nur befreien will. Aber das ist eben nicht leicht, wenn man schlechte Prägungen durch die Herkunftsfamilie erhalten hat.

Wird es ein weiteres Buch von Ihnen geben und wollen Sie hier schon ein wenig neugierig darauf machen?

Auf jeden Fall; ich habe bereits vor dem Erscheinen von „Liebe ist gewaltig“ mit den Recherchen für das nächste Buch begonnen. Zu viel möchte ich nicht verraten, aber was mich besonders interessiert, ist die in der Literatur unterrepräsentierte Lebensrealität von Frauen. Ich erzähle Geschichten von Protagonistinnen, die mit sich selbst fremdeln und das Gefühl nicht loswerden, von Grund auf falsch zu sein. Mich fasziniert die Figur des Misfits, insbesondere des weiblichen.

Ihr Debütroman hat zu Recht zahlreiche begeisterte Rezensionen erhalten. Ist dieser Erfolg für ein weiteres Buch, das ja an dem Ersten gemessen wird, für das weitere Schreiben eher erschwerend oder hat das keinen Einfluss auf Sie?

Ich nehme das mit Demut entgegen und freue mich natürlich riesig, dass meinem Debüt so viel Begeisterung und Liebe entgegenschlägt. Davon kann man als Debütantin nur träumen, insofern weiß ich das sehr zu schätzen. Gleichzeitig bin ich ein geerdeter Mensch und versuche, mich als Schriftstellerin vom Urteil anderer frei zu halten. Ich habe beim ersten Buch alles gegeben und werde das auch beim zweiten tun — der Rest liegt nicht in meiner Hand.

Was würden Sie sich wünschen, was die Leser*innen von „Liebe ist gewaltig“ mitnehmen?

Vielleicht ein besseres Verständnis dafür, was Gewalt mit Menschen macht. Mir schreiben auch immer wieder Betroffene, die sich von meinem Buch getröstet fühlen und die das Gefühl haben, ihre eigene Geschichte besser zu verstehen. Oder Menschen, die zwar keine physische Gewalt erlebt haben, aber dysfunktionale Beziehungen in irgendeiner Form. Wenn ich die Rückmeldung erhalte, dass ich anderen mit meinem Buch etwas geben konnte, das für sie selbst von Bedeutung ist, macht mich das besonders glücklich.

Und zum Schluss auch für Sie die drei typischen „Bücher leben!“-Fragen:

Wann schreiben Sie? (morgens, mittags, abends, immer?)

Immer.

Wie schreiben Sie? (Laptop, PC, per Hand?)

Auf dem Laptop, aber mit Tastatur und Monitor.

Wo schreiben Sie? (Arbeitszimmer, Küchentisch, Baumhaus, überall)

Hauptsächlich am Schreibtisch.

 

Interview (c) Sabine Wagner

Die Rezension zu dem Roman „Liebe ist gewaltig“ von Claudia Schumacher ist hier zu lesen.

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