David Safier
Rowohlt Kindler, ET 13.05.2025
336 Seiten, € 24,00
David Safier, Jahrgang 1966 und in Bremen lebend, ist ein Schriftsteller, der sehr erfolgreich heitere, leichte Romane wie die „Miss Merkel“-Reihe, „Mieses Karma“ oder „Jesus liebt mich“ geschrieben hat, aber auch mit ernsten, historischen Themen überzeugt, so mit dem Buch „28 Tage lang“ über den Aufstand im Warschauer Ghetto oder mit dem Roman „Solange wir leben“, in dem er von der Lebensgeschichte seiner Eltern erzählt.
In seinem aktuellen Roman verbindet er das im Januar 1942 im Warschauer Ghetto auf der professionellen Bühne mit 900 Plätzen des Femina-Theaters uraufgeführte Theaterstück „Die Liebe sucht ein Zimmer“ von Jerzy Jurandot mit dem parallel laufenden, realen Leben der aufführenden Schauspieler. Diese Tragikomödie „ist das einzige von Juden in der Shoa geschriebene Theaterstück, das überliefert ist und seit 1942 nicht mehr aufgeführt wurde.“ (Zitat Seite 327) David Safier konnte sich die Rechte des Theaterstücks sichern und es entstand zunächst ein Hörspiel für Radio Bremen, das für den ARD-Hörspielpreis nominiert wurde.
„Die Liebe sucht ein Zimmer“ spiegelt die Wohnungsnot und das entbehrungsreiche Leben im Warschauer Ghetto auf tragisch-komödiantische Weise wieder: Auf der Bühne müssen sich zwei Paare eine Wohnung teilen und verlieben sich überkreuzt, was zu entsprechenden Verwicklungen und komisch-schrägen Situationen und Szenen führt.
Abseits der Bühne und in der Realität bekommt Sara, die in den Schauspielerkollegen Edmund verliebt ist, von Michal, dem Intendanten des Theaters und früheren kurzzeitigen Liebhaber das Angebot, mit ihm direkt nach dem Ende der Aufführung aus dem Ghetto auf einen Bauernhof in seinem Heimatdorf zu fliehen, da er die SS-Wachen an der Mauer bestochen hat. Sara ist hin und hergerissen, denn sie liebt Edmund und würde lieber mit ihm fliehen, andererseits ist das Angebot die einzige Möglichkeit, aus dem Ghetto und dem drohenden Tod zu entfliehen.
Während sie mit Edmund und anderen Schauspielern auf der Bühne steht, muss sie innerhalb der Aufführungszeit eine über-lebenswichtige Entscheidung treffen: Will und wird sie Edmund und seine kleine Schwester im Ghetto lassen und mit Michal, den sie nicht liebt, fliehen? Diese Zerrissenheit über die Entscheidung unter der Abwägung von Moral, Liebe, Egoismus, Verrat lässt Sara an diesem Abend beinahe verzweifeln, während sie mit Edmund und anderen Schauspieler*innen gleichzeitig heitere Szenen auf der Bühne spielen muss.
Obwohl das Theaterstück auf der Bühne wie auch die parallel geführte Geschichte der Schauspieler eine dramatische Wucht in sich tragen, einerseits durch die historisch belegten, furchtbaren Umstände im Warschauer Ghetto, die durch das Stück gespiegelt werden, andererseits durch die Zerrissenheit über Moral und Liebe in einer Überlebensfrage, konnte ich diesem Buch leider nur mit einer seltsamen Distanz folgen, die mich aufgrund der Themen irritiert hat.
David Safier verbindet das Geschehen auf der Bühne mit Originalpassagen aus dem Theaterstück mit dem parallel laufenden realen Leben der Schauspieler hinter der Bühne. Das gelingt ihm insgesamt gut, auch wenn es mir manchmal wie ein etwas sperriges Baukastensystem vorkam. Die Angst der jüdischen Bewohner des Ghettos vor dem bevorstehenden Tod werden in dem Stück bewegend in einer Szene mit einem Albtraum dargestellt, „in der eine Lokomotive von hinten auf sie zukommt „als ob der Zug sie verschlucken wollte“ (Zitat Seite 144) Gleichzeitig erlebt man die bedrückende Verzweiflung und Zerrissenheit der Schauspielerin Sara über ihre Entscheidung der Flucht mit Michal mit moralischen, ethischen Fragen. Die bedrückende Atmosphäre bei den realen Leben der Schauspieler wie auch die tragisch-komischen Szenen auf der Bühne, die dem Publikum trotz der Verzweiflung in ihrem Ghetto-Leben wenige heitere Momente schenken, ist spür- und nachvollziehbar. Dennoch hat mich die Erzählweise nicht wirklich im Innersten berührt, was ich aufgrund der beschriebenen und furchtbar historischen Tatsachen bemerkenswert finde. Ich weiß nicht, ob es an der Erzählperspektive liegt oder an dem Baukastensystem „Geschichte in einer Geschichte“ oder an der Tatsache, dass ich bis zum Schluss keine Beziehung zu der Figur Sara aufbauen konnte. Auch wenn dieser Roman für mich nicht annähernd so überzeugen konnte wie „28 Tage lang“, ist und bleibt es aber ein wichtiges Buch zur Erinnerung an die grausame Shoa und einem Stück Zeitgeschichte, die sich nicht wiederholen darf.
Sabine Wagner