Nirgendwo in Berlin

Beate Teresa Hanika

 Fischer Verlag, März 2011

270 Seiten, € 13,95

ab 14 Jahre

 

Inhalt:

Greta, 15 Jahre alt, zieht mit ihrer Mutter vom Land in Bayern nach Berlin. Von heute auf morgen muss sie ihr gewohntes Leben, ihre Freunde, Gewohnheiten hinter sich lassen. Ihre Mutter hat sich von ihrem Vater getrennt und will in Berlin beruflich mit ihrem Traumjob als Journalistin und privat noch einmal ganz von vorne anfangen. Dabei rückt Greta immer mehr in den Hintergrund. Ihr einziger Freund in der neuen, unbekannten Umgebung ist ihr Albino-Boxerhund Buster, den sie heimlich, weil offiziell verboten, in der neuen Wohnung hält. In dem neuen Haus leben unter anderem der skurril-kauzige Hausmeister Osinski und Konrad, der sich nach einem Heimaufenthalt für Schwererziehbare mit seinem Betreuer Mikesch eine kleine Wohnung teilt. Die dreizehnjährige Cindy ist froh, endlich eine fast gleichaltrige Nachbarin im Haus zu haben. Doch Greta ist zunächst skeptisch, sie findet Cindy viel zu jung, unreif und albern. Als Greta bei einem Besuch bei ihr entdeckt, dass Cindy sich in einem Chatroom austauscht, merkt sich Greta ihren Zugang und sucht heimlich mit dem Laptop ihrer Mutter den Eintritt in die Welt der virtuellen Kommunikation. Sie lernt dabei „Pampolina“ kennen, mit der sie sich auf Anhieb versteht und offen ihre Gefühle, Sorgen und Gedanken austauscht. Eines Tages meldet sich Pampolina nicht mehr, Greta fordert sie immer wieder auf, sich zu melden, doch ohne Erfolg. Als ihre Mutter Greta erzählt, dass ein Mädchen aus Berlin verschwunden ist und man sie mit allen Mitteln sucht, glaubt Greta an einen Zusammenhang. Gemeinsam mit Cindy versuchen die beiden herauszufinden, wo Pampolina wohnt und wie sie in Wirklichkeit heißt. Sie glauben an eine Entführung und wollen die Person über die Chatverbindung überführen.

Rezension:

Nach dem hervorragenden und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierten Debüt „Rotkäppchen muss weinen“ folgte der stilistisch etwas ausgefallene und in der Welt der Models und Möchtegerne-Models spielende Roman „Erzähl mir von der Liebe“ (beides Fischer) der jungen Autorin. Wenn ein Debüt so euphorisch gefeiert wird, werden alle nachfolgenden Bücher umso kritischer betrachtet. In diesem Roman bedient sich Beate Teresa Hanika einer Grundlage, die nicht ungewöhnlich ist: Ein junges Mädchen kommt gezwungener Maßen vom Land in die Stadt (oder gerne auch umgekehrt), ist einsam, alleine in einer völlig neuen Umgebung, manchmal auch Lebensweise, die begleitenden Elternteile entfernen sich plötzlich auch immer mehr und entwickeln sich weiter. In dieser Situation lernt Greta die Welt des Chats kennen. Eine Welt ohne Wahrheit, aber mit sehr viel Illusion und Schein. Die Einsamkeit, Verlassenheit ist greifbar beschrieben und Gretas erste Hemmungen, selber in diese virtuelle Welt der Kommunikation einzusteigen sind schnell beiseitegeschoben, denn die Neugier siegt. Dies ist in Gretas Situation nachvollziehbar, obwohl sich ein realer Kontakt mit der zwei Jahren jüngeren Cindy anbietet, den Greta aber zunächst ablehnt. Die Charaktere der Protagonisten, vom kauzigen Hausmeister, dem mysteriösen Konrad, der früher in einem Heim gelebt hat, der sich neu orientierenden und manchmal völlig überforderten Mutter bis zum Currywurst-Verkäufer werden lebendig und nachvollziehbar beschrieben. Nur Mikesch, den Greta auf eine ganz besondere Weise anziehend findet, bleibt farblos im Hintergrund, was sich im weiteren Verlauf der Geschichte nicht als geschickt erweist. Die Geschichte wird aus der Sicht von Greta erzählt, unterbrochen mit Gedanken von dem Unbekannten „Parzival“, wobei schnell klar ist, wer sich hinter diesem Decknamen verbirgt. Die Tatsache, dass das verschwundene Mädchen in Berlin ausgerechnet Gretas Chatfreundin ist, gibt der Geschichte zwar einen besonderen Kitzel, erscheint aber wenig realistisch. Spektakulär, doch auch irgendwie konstruiert, ist die spätere Suche nach dem Entführer und das Szenario auf dem Datschengelände. Das ist schade, denn das brisante Thema des Chattens mit seinen Konsequenzen ist wichtig, aktuell und die Geschichte bemüht sich auch um einen geschickten Aufbau, fällt aber auf dem Höhepunkt durch seine Unglaubwürdigkeit ab. Greta entwickelt sich zwar im Laufe der Geschichte zu einem etwas offeneren, mutigeren Mädchen, die auch zaghaft ihrer ersten wahre Liebe begegnet, doch die persönliche Entwicklung wird nicht fortgesetzt, sondern geht irgendwann lapidar in eine Krimigeschichte über. Was klar wird, ist die unheimliche Präsenz der anonymen Chatter und das man sich gut überlegen sollte, wie weit man sich mit wirklich persönlichen Angelegenheiten völlig unbekannten Menschen anvertraut. Es scheint wohl, dass das eiserne Gesetz unter Chattern, sich niemals mit den unpersönlichen Chat-Kontakten im „echten“ Leben zu treffen, durchaus seinen Sinn hat. Wahrscheinlich könnte man die Enttäuschungen kaum verkraften, wenn sich die realen Persönlichkeiten „outen“ würden. Was mich beim Lesen immer wieder gestört hat, sind die fehlenden Satzzeichen bei der wörtlichen Rede. Dies soll wohl stilistisch das verbale Chat-Ping-Pong hervorheben, den normalen Lesefluss eines Buches hindert es eher.

Insgesamt ein in Teilen spannendes Buch in einer lebendigen Sprache, dass den Spagat eines persönlichen Entwicklungsromans und Krimis nicht wirklich überzeugend verbindet.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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