Big Sky Country

Callan Wink

Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer

Suhrkamp Verlag, 15.02.2021

378 Seiten, € 23,00

 

 

 

 

Callan Wink, Jahrgang 1984 und Fly Fishing Guide auf dem Yellow Stone River in Montana, gab mit seinem 2016 erschienen Erzählband „Der letzte beste Ort“ sein internationales Debüt.

Es brauchte schon etwas Überwindung, das Buch nicht aus der Hand zu legen, als ich bereits auf den ersten zwanzig Seiten las, wie der zwölfjährige August und Hauptfigur des Romans, Katzenschwänze mit einem Hakenschlüssel abtrennt, sie auf ein Brett nagelt und für jeden Schwanz einen Dollar von seinem Vater versprochen bekommt, da für ihn sich zu viele Katzen auf seiner großen abgelegenen Farm mit Holsteinkühen in Michigan herumtreiben. Auf dieser Farm wächst August auf, wobei seine Mutter alleine nebenan in einem alten Haus wohnt, der Ranch von August Mutter`s Großeltern. Sein Vater lebt mit der 19 Jahre alten Lisa zusammen, mit der er die Farm bewirtschaftet. August besucht seine Mutter häufig, die mit esoterischen Spielereien kettenrauchend Patiencen legt, da sie mit ihrem Leben unglücklich ist, trotzdem kümmert sie sich liebevoll um August.

August ist ein Einzelgänger, mit seinem Vater verliert er wenig Worte und für Lisa empfindet er nur Ablehnung und Eifersucht gegenüber seiner Mutter. Die Mutter will in ihrem Leben weiterkommen. Deshalb nimmt sie ihres und das von August in die Hand und gemeinsam ziehen sie in die Stadt Grand Rapids in Michigan, in der sie ihren Uni-Abschluss nachholt, studiert und ihren Master in Bibliothekswissenschaft macht. Die Ferien verbringt August bei seinem Vater auf der Farm, der ihn für seine Arbeit bezahlt. Mit August schaut die Mutter sich Filme an und durch „In der Mitte entspringt ein Fluss“ verliebt sie sich nicht nur in Brad Pitt, sondern auch in die Landschaft von Montana, dem „big sky country“. Während eine Liebschaft mit Brad Pitt in weiter Ferne ist, schafft sie es aber, eine Stelle in Bozeman, Montana und ein kleines Haus in dem benachbarten kleinen Ort Livingston zu bekommen und zieht mit ihrem Sohn dorthin.

Bei der Verabschiedung von seinem Vater entsteht zum ersten Mal so etwas wie eine einseitige Unterhaltung, in dem der Vater ihm seine besondere Einschätzung gibt, wie er Frauen gegenüber auftreten und was er bei einer guten Rasur beachten soll. August Mutter lebt in Bozeman endlich auf, fühlt sich in ihrem Leben zum ersten Mal glücklich und findet einen Freund und späteren Lebensgefährten.  August dagegen bleibt zunächst weiterhin ein Einzelgänger, bis er in der Footballmannschaft aufgenommen wird. Football entwickelt sich für ihn zu einer Hassliebe, in der er seine nicht aussprechbaren Gefühle mit brachialer Gewalt ausdrücken kann.

Bozeman ist für August der neue Lebensmittelpunkt, hier verbringt er seine Highschool-Zeit,  erlebt er den 11. September 2001, kommt er endlich mit Gleichaltrigen in Berührung und lernt Freunde sowie Gegner kennen, hier hat er mit 17 Jahren den ersten Sex mit einer deutlich älteren Freundin seiner Mutter. Als er nach der Highschool auf ein College wechseln soll, weiß er nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll und gerät mit seiner Mutter nicht nur deswegen in einen großen Streit. Während Kumpels von ihm sich nach dem 11. September 2001 vom Militär anwerben lassen und in Afghanistan ihren frühen Tod finden, verlässt August die Stadt, um zunächst auf einer Bohrinsel zu arbeiten und danach auf einer Ranch am Fuß von Bighorn Mountains den Vorarbeiter zu ersetzen. August arbeitet eine ganze Weile auf dieser Ranch, lernt wiederum über die Zeit hinweg etwas über Beziehungen, da er natürlich neuen Menschen begegnet und weiß irgendwann, dass er studieren will.

Nachdem ich mich überwinden konnte, die in drei Kapiteln aufgebaute Story nach den abgeschnittenen Katzenschwänzen auf den ersten gut zwanzig Seiten nicht aus der Hand zu legen, war ich natürlich auf die Entwicklung der Handlung und der von August gespannt. Callan Winks Erzählung gleicht einem großen, breiten Fluss, der träge dahinfließt, ohne Stromschnellen, ohne Steine und Felsen, die ihn brechen. (Übersetzung Hannes Meyer)

Als neutraler Erzähler reiht er unentwegt Personen und Begebenheiten aneinander, die er zwar geschickt in eine Story verwebt, aber träge und mit keinem Höhe- oder Wendepunkt dahinplätschern lässt. Callan Wink kann zwar erzählen, dass zeigt er in seinen Beschreibungen vom Leben auf der Farm, dem in einer kleinen Stadt in Montana, der faszinierenden Landschaft dieser Region und das Leben eines Einzelgängers. Dennoch hatte ich immer wieder das Gefühl, dass hier ein junger Autor versucht, sich an einem am Reißbrett konstruierten und nicht wirklich ungewöhnlichen Lebenslauf, der wahrscheinlich autobiographischen Züge aufzeigt, abzuarbeiten und damit psychologisch freizuschreiben. Leider verliert Callan Wink sich dabei in unendlichen Nebensächlichkeiten, sei es mit den Begegnungen neuer Menschen in Augusts Leben oder zahlreichen Geschehnissen, die allesamt keine Besonderheit darstellen. Bis zum Schluss gibt es keinen wirklichen Höhepunkt, keine Wendung oder die Erkenntnis, dass ein Mensch von zwölf Jahren bis ins junge Erwachsenenalter eine markante Entwicklung erlebt. Callan Wink ist hier leider kein Storyteller, auch wenn er unzählige Storys um seine Figur August, dessen Lebensweg weder besonders noch lesenswert ist, langatmig in dem vorliegenden Buch aneinanderreiht.

Das Cover, das ins Auge fällt, macht neugierig auf einen amerikanischen „Coming of Age“-Roman in der großartigen Landschaft von Montana. Amerikanisch ist die Story, ohne Zweifel, aber leider verliert sich die Entwicklung eines Kindes bis hin zum Erwachsenen zu trivial.

Sabine Wagner

 

 

 

 

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