Iglhaut

Katharina Adler

Rowohlt Verlag, 12.04.2022

288 Seiten, € 23,00

 

 

 

 

Reichen eine etwas knorrig-knarzende Single-Mittvierzigerin, die alleine in einem Münchener Hinterhof eine kleine Schreinerei betreibt und ihre bunte Hausgemeinschaft aus, sich zwischen 286 Seiten in einem unterhaltsamen Roman zu präsentieren?

Katharina Adler hat es mit ihrer Protagonistin Iglhaut, besagte Schreinerin, geschafft, sie als roten Faden durch ihre Geschichte zu leiten. Iglhaut ist eine recht ambivalente Frau Mitte Vierzig, die zwischen Schroffheit, Freundlichkeit, unverblümter Direktheit aber auch Empathie hin- und herwechselt und offenbar in ihrem Leben das ein oder andere Mal nicht den Mut für klare Entscheidungen hatte. Iglhaut betreibt als One-Woman-Show eine kleine Schreinerei, will eigentlich nur ihre Ruhe und verstrickt sich mit ihrem Ex, der mittlerweile verheiratet und Familienvater ist, in eine Affäre. Als unliebsame Begleiterscheinungen quält sie sich parallel mit chronischen Geldsorgen und heftigen Schmerzen durch einen abgebrochenen Zahn, eine Folge schlechter Zahnqualität und zu seltenen Zahnarztbesuchen. Aus den folgenden nötigen Besuchen beim Zahnarzt entwickelt sich mit diesem ein neues amouröses Abenteuer.

Iglhauts Eltern sind geschieden und ihr Vater gibt ihr aus Liebeskummer erst über die Trennung von seiner Frau, dann über unglücklich verlaufende Datingversuche, nicht nur Körbeweise selbst gekochtes Essen, sondern auch zahlreiche ungefragte Ratschläge. Zu ihrer esoterisch angehauchten, dominant-exentrischen Mutter hat Iglhaut ebenfalls ein leicht angespanntes Verhältnis, was auch ihre Nierenspende an sie leichter gemacht hat.

In diesem Dreieck mischt sich die schräge, bunte Hausgemeinschaft, wie man sie entweder in einem großen Mehrfamilienhaus in einer Großstadt antreffen kann oder ähnliches in einer Nachbarschaft wiedererkennt. Da ist der leicht verlotterte Uli, der beim Kreuzworträtsel-Preisausschreiben eine Reise nach Ägypten gewonnen hat, aber lieber das Küchengerät haben wollte und die Reise an Iglhaut abtritt. Da ist Frau Ivanovic mit schrägen Ideen und die Iglhaut darum bittet, dass die auftraggebende Nonne den Wohnungswunsch ihres Neffen mit in ihre Gebete einschließt oder das Ehepaar Zenker mit kleinen Kindern, die weniger Lärm machen als der ständig laut wütende und die Mutter hörbar brutal angehende Vater. Nachbarin und so etwas wie eine Freundin ist die alleinerziehende Valeria Santos, die sich und ihre Teenager-Tochter mit unterschiedlichen Jobs über Wasser hält und in einer 1 1/2-Zimmer-Wohnung lebt. Und da ist unter anderem auch die Schriftstellerin Tildi Rolff, die sehr zurückgezogen in der Dachgeschosswohnung lebt und wie ein Schatten durch die Gemeinschaft huscht.

Katharina Adler lässt mal aus der Betrachtung von Iglhaut, mal aus dem Blickwinkel der Schriftstellerin  Tildi Rolff, die mit einer Schreibblockade kämpft, ihre Innensicht und die Sicht auf die Hausbewohner erzählen, in dessen Verlauf auch zeitliche Perspektiven sich abwechseln. Daraus entsteht ein unterhaltsames Bild eines kleinen großstädtischen Kosmos eines Mietkomplexes mit einer überschaubaren Zahl von Mietparteien. Mit der Schriftstellerin Tildi Rolff baut Katharina Adler eine humorvolle ironische Selbstbetrachtung, die Iglhaut ist eine zurückgezogene, melancholische Frau, die mit lakonischem Witz ihr bisheriges Leben überdenkt und weiß, dass sie sich in manchen Dingen oft genug selbst im Wege ist, dafür bei Sachen von anderen einen klaren, klugen Blick hat. Bei Iglhaut findet man Alltagsprobleme, die jeder irgendwie kennt, sie ist aber auch offensiv und zeigt Zivilcourage, wo andere wegschauen. Obwohl die oft knarzige Iglhaut im Laufe der Geschichte immer gesprächiger und offener wird und den Leser/die Leserin durchaus in ihre Seele und Herz schauen lässt, blieb sie mir bis zum Schluss auf Abstand. Sie war und wurde mir nicht wirklich sympathisch, aber auch nicht wirklich unsympathisch, sie blieb so ambivalent wie ihre Launen. So empfand ich diese traurig-heitere Geschichte insgesamt kurzweilig, gerade so, wie eine so bunt und teils chaotische Hausgemeinschaft von sich erzählen kann und dennoch blieb ein gewisser Abstand, gerade so, wie er für mich die vielen individuellen Probleme unserer Zeit nötig war. Obwohl die Autorin die Figur der Iglhaut, und auch andere, gut herausgearbeitet und sich bemüht hat, trotz aller Zankereien einen zugeneigten Zusammenhalt der Mietergemeinschaft zu präsentieren, fehlte mir am Ende etwas, dass diese Geschichte in mir nachhallen ließ. Als ich das Buch aus der Hand legte war es so, als ob ein Nachbar, mit dem man sich hin und wieder nett aber oberflächlich unterhalten hat, auszieht; man weiß nicht warum und wohin und es stört auch nicht, denn das Leben geht weiter.

Das Cover ist ausgefallen und absolut treffend.

Sabine Wagner

 

 

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