Ein sonderbares Alter

Francesca Segal

Kein & Aber, Mai 2017

Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll

420 Seiten, € 24,00

 

 

 

 

Julia bildet gemeinsam mit ihrer 16 Jahre alten Tochter Gwen, ihrem Lebensgefährten James und seinem 17-järhigen Sohn Nathan eine Patchworkfamilie, während James ältere Tochter in den USA studiert, wo auch ihre Mutter lebt. Julia hat sich nach dem Tod ihres Mannes vor fünf Jahren sehr zurückgezogen und eine enge, harmonische Einheit mit ihrer Tochter gebildet. Da sie mit Mitte Vierzig nicht mehr an eine neue Partnerschaft denkt, legte sie ihren Focus auf ihre Arbeit als Klavierlehrerin – und ihre Tochter. Als der zehn Jahre ältere James bei ihr Klavierunterricht nimmt und mehr mit seiner Talentlosigkeit und Charme überzeugt, beginnt zwischen den beiden zunächst eine Romanze, die sich nach einiger Zeit als eine große neue Liebe für die beiden entwickelt. Als James mit Nathan in das Haus von Julia und Gwen einziehen, ist das für die Jugendlichen ein Schock, während die Erwachsenen sich freuen, endlich zusammen zu sein.

Für Julia ist es besonders schlimm, da sie sehr sensibel ist und den Tod ihres Vaters noch nicht wirklich überwunden hat. So empfindet sie, dass das Eindringen der neuen Familienmitglieder in das Haus ihres Vaters auch viele schöne Erinnerungen überschattet, zudem wird das enge Verhältnis mit ihrer Mutter auseinander gerissen. Nathan sieht den Zusammenzug gelassener, stichelt aber wo er nur kann auf Gwen ein. Für Julia und James keine leichte Situation, denn das Familienleben scheint wie ein Ritt auf dem Pulverfass zu sein, dass jeden Moment hoch gehen kann. Um diese Lage zu entschärfen, lädt James alle auf ein Wochenende in seine Heimat nach Boston ein. Dort will er zeigen, wo er aufgewachsen ist, studiert hat und die neu zusammen gewürfelten Familienmitglieder auf neutralem Boden einander näher bringen. Das hat sogar Erfolg, denn tatsächlich begraben Nathan und Gwen hier das Kriegsbeil. Auslöser hierfür ist eine unerwartete Entschuldigung von Nathan gegenüber Gwen, als sie die Nachricht vom Tod des geliebten aber sehr kranken und alten Hundes erhält und Nathan sich völlig despektierlich dazu äußert. Der Hund war das letzte gebliebene Bindeglied zu ihrem verstorbenen Vater und der Verlust schmerzt daher umso mehr. Als Nathan und Gwen nach seiner Entschuldigung nachts auf dem Hoteldach sitzen und über dies und das miteinander reden, stellen beide insgeheim fest, dass der andere doch gar nicht so doof ist, wie zuerst gedacht. Zwischen den beiden entsteht langsam eine zarte Liebesbeziehung, denn Gwen will auf keinen Fall Sex, da sie noch nicht dazu bereit ist. Zuhause in London angekommen beendet Nathan das Verhältnis mit seiner ohnehin nur noch nervenden Freundin und zwischen Gwen und ihm wird die Beziehung immer enger. Zwar erfreuen sich Julia und James an dem friedlichen Zusammenleben, doch ahnen sie nicht den Grund. Umso fassungsloser reagieren sie, als Julia die beiden in Gwens Zimmer beim Schmusen überrascht, Nathans Hand unter dem Pullover ihrer Tochter…

Das Cover fällt auf und macht neugierig, genauso wie der Klappentext. Francesca Segal hat einen feinen und sicheren Blick, verschiedenste Charaktere detailliert und manche familiäre Situationen mit leichtem Biss zu beschreiben. So rundet sie die Patchworkfamilie um James und Julia mit der Exfrau von James und den etwas schrägen Schwiegereltern ihres verstorbenen Mannes ab. Die Autorin hat eine einfache, humorvolle Schreibweise, der Handlungsverlauf ist allerdings vorhersehbar.

Als Julia das Zimmer von Gwen betritt und den Sohn ihres Lebensgefährten mehr oder weniger auf ihr liegend, mit der Hand unter dem Pullover ihrer Tochter findet, rastet sie völlig aus und steckt damit auch James an. Beide halten die Tatsache, dass aus den beiden sich früher ständig bekriegenden Jugendlichen ein Liebespaar geworden ist für eine absolute Katastrophe. Ja, James und Julia vermuten damit sogar eine Verschwörung der Beiden, ihnen damit den familiären Krieg anzuzetteln und sie auseinander zu bringen. Jetzt wird überlegt, Nathan in ein Internat zu stecken, in die USA zu seiner Mutter auszufliegen und jede andere mehr oder weniger hysterische Idee, um ihn und Gwen auseinander zu bringen.

Dieses völlig unüberlegte und überzogene Verhalten der „Erwachsenen“ setzt sich leider ausführlich fort und sie setzen sich nicht wirklich mit den Kindern an einen Tisch, um gemeinsam mit ihnen über die Situation zu sprechen, geschweige denn, dass sie sich  daran erfreuen, dass die beiden sich ineinander verliebt haben.

Diese Tatsache wird von der Autorin als Basis genommen, daraus ein völlig exzentrisches Drama zu konstruieren, was keines ist, ja, noch nicht einmal ein wirkliches Problem darstellt.

Vielleicht habe ich das Buch nach weit mehr als der Hälfte zu früh aus der Hand gelegt, mag sein. Tatsache ist jedoch, dass mich die Handlung und die überschaubare Entwicklung  nicht mehr überzeugt hat, nicht zuletzt weil aus einer Mücke, über die man sich eigentlich hier freuen sollte, ein riesiger Elefant konstruiert wird, der aus narzisstischen und leider auch einfältigen Eltern besteht.

Schade, trotz der leichten Schreibweise und Übersetzung, dem interessanten und neugierig machenden Thema ist die Umsetzung nicht gelungen. Wenn sich in einer unfreiwillig zusammen gesetzten Patchworkfamilie zwei Jugendliche ineinander verlieben, ist das kein Inzest und auch kein „Drama, Drama“. Somit wirkt als Handlungsrahmen mit völlig hysterisch agierenden Erwachsenen nur lächerlich und nervend, was nichts mit einem sonderbaren Alter zu tun hat sondern mit verschrobenen Denken.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

 

 

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