Haymatland – Wie wollen wir zusammenleben?

Dunja Hayali

Ullstein, Oktober 2018

160 Seiten, € 16,00

 

 

 

 

 

Nachdem ich „Haymatland“ (mehrmals) gelesen hatte, habe ich mich gefragt, welche LeserInnen aus welchem Grund dieses Buch lesen (und vielleicht im Anschluss die Lesung besuchen)? „Deutschland ist längst multikulti“ (S. 106 im Buch) – und das ist wunderbar so! Die Menschen, die positiv oder neutral Flüchtlingen und Menschen mit internationaler Herkunftsgeschichte begegnen, seit vielen Jahren mit ihnen leben und zusammenarbeiten, werden sich wahrscheinlich nicht unbedingt angesprochen fühlen und rassistisch eingestellte Menschen werden das Buch aus gegebenen Gründen nicht lesen. Ist es also die persönliche, biographische Geschichte von Dunja Hayali die diesem Buch zugrunde liegt und interessant macht?

Die TV-Moderatorin und Journalistin fragt sich in dem schmalen Büchlein, wo und was Heimat ist und berichtet, dass sie bereits 2007, als sie ihren Job beim ZDF begann, die ersten rassistischen Hetzkommentare und Schmähungen erhielt, die sie als Deutsche diskreditierten. Diese Tatsache ist furchtbar und mit nichts zu entschuldigen und bestätigt leider nur, dass der rechtsnationale Ruck bereits seit vielen Jahren lang Zeit hat, sich zu entwickeln und breit zu machen, ohne dass die Politik und auch wir, die Gesellschaft, dem eindeutig entgegengehalten haben.

Allerdings habe ich mich auch gefragt, warum Dunja Hayali seit mehr als drei Jahren auf ihrer facebook-Seite polarisierende Häppchen politischer Kommentare setzt, zu der sich auf dieser sich wunderbar anbietenden Plattform kleingeistige Menschen auf primitivsten und asozialen Niveau und zum Teil anonym auslassen  – worauf die Journalistin wiederum antwortet. Warum tut sie das und beklagt dann gleichzeitig ausführlich diesen Zustand in diesem Buch?

Ich habe mich weiterhin gefragt, warum man von vielen KollegInnen aus TV-Moderation und Journalismus (wie z.B. Jessica Zahedi, Pinar Atalay, Linda Zervakis usw.), SchauspielerInnen (Sibel Kekilli, Aylin Tezel) und Künstler (Fatih Akin, Bülent Ceylan) und Politiker, die eine internationale Biographie haben und erfolgreiche, bekannte Gesichter in Deutschland sind, bisher nicht gelesen hat, dass sie ebenfalls derart rassistisch angefeindet werden wie Dunja Hayali?

Die Autorin kritisiert unsere Gesellschaft im Umgang mit den Flüchtlingen und polarisiert und verallgemeinert, dabei fragt sie sich „wo die Menschen sind, die konstruktiv ihre Teilhabe an der Gesellschaft wahrnehmen, die Gegensätze anerkennen, aber das Verbindende suchen und fördern und nicht das Trennende? Sie sind da, aber man sieht einfach zu wenig von ihnen.“ (S. 45 im Buch)

Es gibt diese Menschen, die jeden Tag mit Flüchtlingen arbeiten, sich um sie sorgen und dafür sorgen, dass die zumeist jungen Menschen in unserem Land eine Zukunft haben, die Sprache und einen Beruf erlernen. Dass er-lebe ich jeden Tag in meinem Beruf. Nur setzen sich diese Menschen nicht in Szene. Sie machen ihre vielschichtige Arbeit ruhig im Hintergrund und diese scheint offenbar nicht interessant genug für die Medien zu sein, so hervorgehoben zu werden, wie all das Negative und das, was uns trennt. Diese pauschalen und oberflächlichen Feststellungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch. Was die Autorin nur wenig beschreibt, ist die Tatsache, dass die heutigen Flüchtlinge in vielen Bereichen besser aufgefangen und gefördert werden und die Teilhabechancen beruflich wie gesellschaftlich deutlich höher sind als vor 20, 30 und mehr Jahren.

In diesem Kontext scheut sie nicht den Vergleich, wie freundlich und warmherzig ihre Eltern in den fünfziger Jahren in Deutschland als politische Flüchtlinge aufgenommen wurden, mit der heutigen Situation der Aufnahme und unser Miteinander mit Flüchtlingen und Ausländer allgemein, die ebenfalls überwiegend negativ dargestellt wird.

Dezent stellt Dunja Hayali dann doch die Flüchtlingspolitik in Frage und nimmt auch die Politik in die Pflicht, sich nicht nur zu winden, sondern Stellung zu beziehen und auch mal zuzugeben, sich überschätzt zu haben. Dabei verteidigt sie natürlich vehement die faire, sachliche und nicht einseitige Arbeit des deutschen Journalismus.

Auch Dunja Hayali hat die Feststellung des Historikers Klaus Bade „Integration ist keine Einbahnstraße“ auf ihre Fahne geschrieben (S. 49 im Buch, ohne Quellenangabe) –  und zu Integration gehören Reibung und Auseinandersetzung.

Ich glaube, dass wir in Deutschland seit vielen Jahrzehnten Integration leben und für Reibung und Auseinandersetzung offen sind und der überwiegende Teil der „Bio“-Deutschen in unserem Land, (mit dem vom Statistischen Bundesamt 2005 erfundenen Begriff) mit Menschen mit Migrationshintergrund oder auch Migrationsvordergrund (den die Autorin hat) offen und liberal friedlich zusammenleben und arbeiten. Ich glaube dies nicht nur, sondern ich er-lebe das genauso seit  meiner Kindheit bis heute so – und bin damit nicht alleine. Doch genau das findet man in „Haymatland“ nur an ganz seltenen Stellen. Vielmehr hat man hier das Gefühl, dass wir en gros ein empathieloses, egoistisches und nicht über den Tellerrand schauendes Volk sind.

Recht hat Dunja Hayali damit, dass wir auf der Hut sein sollten vor der sich immer rasanter entwickelnden braunen Gesinnung, die sich perfide in viele Köpfe setzt, die noch nie einen Krieg erlebt haben und seit ihrer Geburt wie eine Made im Speck in einer friedlichen Demokratie leben. Und für jede antidemokratische, rassistische, fremdenfeindliche, homophobe und ähnliche Bemerkung sollte es selbstverständlich sein, dass jede/r von uns aufsteht und sich zur Wehr setzt.

In vier Kapiteln und einem Epilog reißt die Journalistin verschiedene Themen an und zeigt immer wieder moralisierend, was wir alles falsch machen. Doch was uns mit Integration und aufeinander Zugehen schon alles in vielen Jahren gelungen ist, liest man nicht.

Was bleibt von diesem Buch?

Das Frau Hayali derart rassistisch seit vielen Jahren angegriffen wird, ist furchtbar und unentschuldbar und für jeden offenen, liberalen Menschenfreund ein Gräuel. Ob man dies dann via facebook  mit entsprechenden Folgen „pflegt“, muss jede/r für sich entscheiden. Man kann daraus ein polarisierendes Buch in einer teilweise mir zu flapsigen Umgangssprache schreiben, die zeigt, wie vieles die Autorin „zum kotzen findet“ und das unser Zusammenleben überwiegend negativ darstellt – lesen muss man das allerdings nicht, um mit seinen Mitmenschen mit internationaler Herkunftsgeschichte besser zusammen zu leben, wenn man auch vorher schon keine Probleme damit hatte.

Übrigens schreibt die Autorin in ihrem Buch auch darüber, wie „spannend sie Auseinandersetzung, Diskussion und Perspektivwechsel findet- weil es für beide Seiten zu erstaunlichen Erkenntnissen führt, dass sie gerne anderen zuhört und nachfragt – und fast immer lösen sich Behauptungen, Wahrnehmungen und Unterstellungen in Luft auf (…)“ (S. 68 im Buch) – was ich persönlich großartig finde – auch wenn das Genannte die Basis journalistischer Arbeit ist. (Dabei löst sich jedoch sicher nicht „fast“ immer Gegensätzliches in Luft auf. Das wäre zu schön, um wahr zu sein und würde dieses Buch überflüssig machen.)

Als ich Mitte Juli diesen Jahres für einen Interview-Termin während der Lesetour mit „Haymatland“ für Mitte November 2019 bei ihrem betreuenden Künstler-Management angefragt habe, wurde mir geantwortet, dass diese Frage an das „für die Presse zur Promo-Tour zuständige Team weitergeleitet wird und das noch leider einen Moment der Geduld bedarf.“  Dieser „Moment der Geduld“ war dann schon Ende September mit einer Absage in Einklang gebracht. Dummerweise hatte ich in meiner ersten Mail von einem „kritischen“ Interview geschrieben… 😉

Sabine Wagner

 

 

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