Unter Wasser Nacht

Kristina Hauff

hanserblau, Februar 2021

288 Seiten, € 20,00

 

 

 

 

 

Es sollte eigentlich ein Lebenstraum werden. Die seit der Studentenzeit eng befreundeten, mittlerweile verheirateten Paare Sophie und Thies und Inga und Bodo leben in getrennten Häusern gemeinsam auf einem großen Hof in den idyllischen Elbauen im beschaulichen Wendland. Als Studenten haben sie gemeinsam gegen Atmokraft demonstriert, für eine bessere Zukunft gekämpft, sich gegenseitig ausgeholfen, wenn es finanziell knapp wurde.

Das Glück scheint perfekt, als endlich Sophie nach mit dem Wunschkind Aaron schwanger wird und Inga bereits mit Lasse und Jella ihr Familienbild komplettiert hat. Während die beiden Männer morgens den Hof zu ihrer Arbeit verlassen, genießen Sophie und Inga als engste Freundinnen ihre Zweisamkeit und die gemeinsame Zeit mit ihren kleinen Kindern. Während Inga scheinbar mühelos ihre vorbildlichen Kinder erzieht, sieht sich Sophie immer deutlicher an ihre Grenzen gestellt, welchen Einfluss sie auf Aaron nehmen kann. Je älter die Kinder werden, desto klarer wird, wie außergewöhnlich anstrengend und herausfordend Aaron ist. Nicht nur für seine Eltern ist die Erziehung ein Kraftakt, auch im gemeinsamen Spiel mit Lasse und Jella, die nur ein Jahr älter als Aaron ist, ist der Junge eine Herausforderung, denn er sucht jede Möglichkeit des Streitens und versucht, wo immer es geht, seinen Willen durchzusetzen. Für Sophie und Thies ist Aaron ein Wunschkind, aber es ist auch ein mittlerweile 11-jähriger Sohn, an den sie nicht wirklich herankommen, der sie sogar ablehnt und in keinster Weise so ist, wie sie ihn sich gewünscht haben.

Als Aaron nur mit Hose, T-Shirt, Strümpfen und einem Schuh ertrunken in der Elbe gefunden wird, ist die vermeintliche Idylle zerstört. Die Eltern quälen sich mit Selbstvorwürfen, ob ihre geheimen Gedanken nach dem Wunsch, Aaron wäre manchmal nicht da, mit dem Tod bestraft wurde und der Frage, ob es ein Unfall war oder es andere Gründe für den Tod ihres Sohnes gibt? Diese Fragen zerstören das Leben der Eltern für jeden auf eigene Weise, sie zerrütten die Ehe von Thies und Inga und lassen mit Misstrauen, Neid und Unausgesprochenem auch einen Keil zwischen der ehemals sehr engen Freundschaft zwischen Inga und Bodo treiben. Sophie und Thies fühlen sich in ihrer Trauer und Verzweiflung alleine und treiben immer weiter auseinander.

13 Monate nach dem Tod von Aaron kommt die wilde Mittvierzigerin Mara in den Ort und trifft auf der Suche nach einer bestimmten Person auch auf den Hof der beiden Familien und freundet sich mit ihnen an. Mara kommt aus der dänischen Freistadt und autonomen Gemeinde Christiania nahe Kopenhagen und bringt nicht nur frischen Wind in diese beiden Familien, sondern sie stellt ihnen auch Fragen und konfrontiert sie mit ihren Beobachtungen, die alle fassungslos machen und nicht ausgesprochenes offen darlegt.

Mara bringt Verwirrung und Chaos mit. Die beiden Paare müssen sich darüber klar werden, ob und wie eine gemeinsames Zusammenleben weiterhin auf diesem Hof möglich ist: Thies und Sophie ohne Kind, die das Aufwachsen der beiden Kinder von Bodo und Inga und deren harmonisches Familienleben erleben und dabei immer an ihren verstorbenen Sohn erinnert werden. Kann die ehemals so enge Freundschaft eine neue Basis finden?

Dieser facettenreiche, tiefgründige und hoch spannende Roman liest sich wie ein Krimi, ein Genre, in dem Kristina Hauff unter ihrem echten Namen Susanne Kliem bereits erfolgreiche Bücher geschrieben hat. Mit atmospährisch-bilderreichen Beschreibungen lässt sie den Leser, die Leserin in die Elbauen im Wendland eintauchen und den Fluss eine zentrale Rolle in der Geschichte spielen.

Sophie versucht als Chemikerin mit Auswertungen von Wasserqualität im Labor so etwas wie Kontrolle über den Fluss zu bekommen, während ihr Mann Thies grübelnd auf seinem Lieblingsstein sitzt und gedankenverloren in den Fluss starrt. Und wie ein Fluss sich entfaltet und seine Umgebung mit seinen eigenen Gesetzen verändert, so entwickelt sich auch die Handlung faszinierend und nie vorhersehbar.

Behutsam und dennoch intensiv beschreibt die Autorin die Veränderung der einst so engen Freundschaft der beiden Paare, zwischen die kein Blatt passte und dem immer größer werdenden Auseinandertreiben durch Trauer, Verzweiflung, Neid und vielem Unausgesprochenem nach dem Tod von Aaron. Sie seziert die verschiedenen Charaktere mit einer tiefenpsychologischen Klarheit und Schärfe, die dennoch Empathie und Wärme inne hat. Die Abgründe, die sich in Beziehungen zwischen Menschen auftun können, obwohl sie sich ein halbes Leben lang kennen, die Macht von Unausgesprochenen, das sich mit Misstrauen, Neid über ehemals tiefem Vertrauen legt – all das präsentiert Friederike Hauff stimmungsvoll und hochspannend.

Sabine Wagner

 

 

 

 

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