Arab Queen oder Der Geschmack der Freiheit

Güner Yasemin Balci

S. Fischer, Juli 2010

320 Seiten, € 14,95

Ab 14 Jahre

Inhalt:

 Eine achtzehnjährige junge Frau wird wie ihre 16-jährige Schwester in ihrer türkischen Familie unterdrückt und gegängelt. Wie alle in ihrem Alter möchte sie gerne tanzen und ins Kino gehen, sich modebewusst kleiden und mit Freundinnen und Freunden treffen. Doch all das ist nur mit genauer Planung  möglich. Ihre junge Tante Hayat kann sie verstehen und unterstützt sie in ihrem Rahmen, aber auch sie wird von ihrem Bruder und ihren Neffen beobachtet. Mariam versucht ein Doppelleben zu führen, was aber immer öfter an der ständigen Kontrollwut ihrer Familie scheitert.  Selbst bei einem harmlosen Picknick im Park wird ihnen ein Radius bestimmt, in dem sie sich „frei“ bewegen dürfen, aber immer in Sichtweite der Familie. Ungezwungenes, lockeres Beisammensein, bedenkenloses Flirten wie es alle anderen Jugendlichen erleben, sind für die beiden ein Traum. Einen wichtigen Schritt in ein kleines Stück eigenes Leben erhält Mariam, als sie in einem Mädchen-Club arbeiten darf. Natürlich nicht ohne die Zustimmung ihres Vaters, der  vorher mit ihr den Club samt Leiterin kontrolliert hat. Als Mariam sich mit Ercan, einem türkischen jungen Mann trifft, entehrt sie fast ihre Familie und sich selbst. Eine schon lang  beschlossene Heirat mit ihrem Cousin soll nun die familiäre Achtung wiederherstellen. Zum ersten Mal denkt Mariam über einen Ausbruch nach. Doch sie weiß, wenn sie einmal ihre Familie verlässt, gibt es kein Zurück mehr und eine lebenslange Verfolgung von allen Familienmitglieder wäre die Konsequenz

Rezension:

Es ist eine Geschichte, die schockiert, aufwühlt. Die Angst wie auch die brutale Herrschaft des Vaters wird so plastisch beschrieben, dass man in das Leben der 18-jährigen Mariam regelrecht hineingezogen wird. Von Seite zu Seite wird man fassungsloser über das Verhalten der Familie wie auch über die Tatsache, dass die jungen Frauen die Enteignung ihres Lebens einfach hinnehmen. Für uns Deutsche sind diese familiären Konstellationen mit all ihrer Gewalt, Kontrollwut, Unfreiheit und Fremdbestimmung nicht nachvollziehbar. Es gibt sicher in allen Kulturen soziale Schichten, in denen die Gewalt eine deutlichere Sprache spricht als verbale Kommunikation. Aber eine solche Unterdrückung, Angstverbreitung, ja auch das Verbot, dass die jungen Frauen keine Ausbildung machen dürfen, ist unvorstellbar. Güner Yasemin Balci weiß wovon sie schreibt und das macht sie überzeugend. Sie hat im sozialen Brennpunkt Neuköllns in einem Mädchentreff mit Jugendlichen aus türkischen und arabischen Familien gearbeitet. Die Geschichte gibt in einer ruhigen, klaren und unverschnörkelten Sprache einen mitleidlosen Einblick in eine türkische Familie. Gewalttätige Übergriffe innerhalb der Familie werden schonungslos offengelegt,  aber auch Träume und Ängste einfühlsam beschrieben. Es bleibt die Hoffnung, dass es nur ein extremes Beispiel einer bestimmten sozialen Schicht ist. Die Realität ist sicher eine andere.

Das Buch ist (leider) nicht als Jugendbuch bei Fischer-Schatzinsel erschienen sondern bei S. Fischer im Erwachsenen-Segment. Man kann nur wünschen, dass es den Weg zu den betroffenen jungen Türkinnen findet und Mut zur Rebellion macht. Sollte denn wirklich der Verlust einer unterdrückenden, kontrollierenden Familie über den Wunsch nach freiem, selbstbestimmten Leben stehen? Aber der Roman wirft noch viele andere Fragen auf, wie z.B. es möglich ist, dass in einem demokratischen-zivilen Staat wie unserem Menschen in einer Art und Weise unterdrückt werden, dass diese mit ihrem Tod rechnen müssen, würden sie sich dagegen wehren um frei zu leben.

Sabine Hoß

Ein Interview mit der Autorin findet Ihr hier.

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