Noch lange danach

Gudrun Pausewang

Ravensburger, März 2012

128 Seiten, €  9,99

ab 14 Jahre

 

 

Inhalt:

Vida Bornwald ist 16 Jahre alt und geht in die 10. Klasse auf einem Gymnasium in der südwestlichen Ecke Baden Württembergs. Vor 41 Jahren gab es 2020 in Deutschland einen Supergau, zwei Jahre bevor alle Reaktoren in Deutschland ausgeschaltet werden sollten. Jetzt kommen Schüler aus Abiturklassen anderer Länder in Vidas Schule um mit Gleichaltrigen über ihren Alltag, Sorgen und Nöte nach der Katastrophe zu unterhalten. Vida geht es gesundheitlich so gut, dass sie in der Lage ist, die Gruppen durch die Schule führen zu können und ihre vielen Fragen zu beantworten. Sie beantwortet in einem Monolog Fragen, die nicht lesbar sind, sich aber durch die Antworten ergeben. Dass Vida sich dafür zur Verfügung stellt ist nicht selbstverständlich, denn viele ihrer Mitschüler sind sehr krank und der Tod ist ein alltäglicher Begleiter. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ihre Eltern sie auf den Namen Vida getauft haben, der aus dem Spanischen kommt und „Leben“ bedeutet. Vida erzählt der Gruppe aus Chile, dass die Zeit in zwei Rubriken eingeteilt ist: In die Davor und Danach (der Reaktorkatastrophe). Die Zeit danach ist vor allem von Krankheit und Armut geprägt. Und trotzdem geben die Menschen ihre Hoffnung, ihre Zuversicht nach Leben in ihrem Heimatland nicht auf.

Rezension:

Gudrun Pausewangs Anliegen dieses Buch zu schreiben war nicht, um „Ängste zu schüren, sondern als Warnung vor einer großen Gefahr.“ Sie hat als durchaus originelles Stilmittel einen Monolog der einzigen Protagonistin gewählt, die Fragen beantwortet, die nicht lesbar gestellt sind. Das fordert zum die Konzentration und das Mitdenken des Lesers, wirkt aber auch an manchen Stellen ein wenig konstruiert und künstlich. Die Autorin bemüht sich, auf die komplexen Gefahren der Atomkraft mit den Beispielen der Katastrophen 1979 von Three Miles Island bei Harrisburg, Pennsylvania USA, 1986 Tschernobyl und 2011 das furchtbare Reaktorunglück von Fukushima hinzuweisen und fasst sie als mahnende Beispiele zusammen. Dabei legt sie mit dem fiktiven Supergau in Deutschland vor 41 Jahren den Finger in die Wunde und macht durch die sachliche Erzählungen der jungen Frau die Folgen von Krankheit, Armut deutlich. Allerdings kritisiert die Autorin die aktuelle Gesellschaft in einem großen Rundumschlag in einer Art Holzhammermethode, die in Teilen sauer aufstößt, da sie einseitig polarisiert. So bekrittelt Pauswang, „dass jetzt nach der Reaktorkatastrophe die Menschen in Deutschland wieder mehr Bereitschaft zu ehrenamtlicher Tätigkeit  und zum Abgeben, Teilen und zur Spende hätten“, was so einfach nicht stimmt und nicht provokativ sondern schlichtweg überheblich ist. Es gibt durchaus sehr viele Menschen, auch aktuell in unserem Land, die ehrenamtliche Tätigkeiten ausüben, sei es in Schulen, Vereinen und in vielen anderen Bereichen und Institutionen. Ebenfalls sehe ich die Bereitschaft zum Teilen und Spenden nicht besorgniserregend schlecht. Vielmehr scheint der Autorin nicht wirklich bewusst zu sein, dass man auch das finanzielle Polster haben muss, um sich ein Ehrenamt leisten zu können, wie auch Spenden. Dass viele Familien und Menschen in unserem Land mittlerweile  am Existenzminimum leben, scheint Frau Pausewang hier einfach zu ignorieren.

Ein weiterer Punkt, der nicht schlüssig erscheint: Vida erzählt, dass die Menschen in Deutschland nach der Reaktorkatastrophe in Armut leben, Kleidung aus alten, abgetragenen Teilen neu zusammennähen, ein Wollschal aus einem ehemaligen Pullover neu gestrickt wird. Als sie Geburtstag hat, überlegt sie zunächst, sich von ihrem Vater ein neues T-Shirt schenken zu lassen, was sie jedoch verwirft, weil sie befürchtet, „dass vielleicht eine Mickeymaus oder ein blöder Spruch vorne drauf ist, oder dass man es nach der Wäsche bügeln muss oder dass es nicht richtig sitzt“. Wenn man nur zwei T-Shirts besitzt und Kleidung absolute Mangelware ist, wage ich sehr zu bezweifeln, dass man solche Ansprüche stellt, auch wenn man 16 Jahre alt ist und „hip“ sein möchte. Hier wird ziemlich dick aufgetragen und gegenwärtige Ansprüche mit denen in der beschriebenen Situation in keinem realistischem Kontext gebracht. Statt sich auf einen Bereich zu konzentrieren, sei es wirtschaftliche Folgen, Vor- und Nachteile alternativer Energien und die visionäre Entwicklung (das es hier keine Entwicklung aus finanziellen Gründen gibt, ist doch sehr einfach und unüberlegt gehalten), verzettelt sich der weitere Monolog von Vida in einem familiären Beziehungsdrama, dass man auch ohne Reaktorgau tagtäglich erleben kann. Depressionen, Trennung der Eltern und Tod von Geschwisterkindern sind auch ohne Atomunfall in der Gegenwart Probleme und Schicksale, mit denen Familien fertig werden müssen. Dieser Teil verwässert zusätzlich immer mehr das eigentliche Anliegen der Autorin.

Weniger einseitiges Polarisieren und  weniger polemisch-unsachliche Anklage, dafür wichtige Ansätze ins Zentrum gebracht, wie man z.B. in der Gegenwart zügig mit anderen Energien eine entsprechende Alternative bietet, dann wäre die Mahnung oder zumindest ein guter Diskussionsstoff gelungen. So wirkt das Buch wie eine pauschale und selten gerechtfertigte Rundumkritik gesellschaftlicher Umstände, ohne jedoch Lösungsvorschläge anzubieten. Auch wenn die Erzählungen von Vida eigentlich sehr traurig sind, die im Grunde berühren sollten, bleibt doch immer eine kühle Distanz zu der Protagonistin. Vielleicht liegt es an dem Erzählstil oder daran, dass die Thematik irgendwann zu sehr in Allgemeinplätze verrutscht.

Bei aller berechtigter Mahnung  über die Gefahren der Atomenergie, hier hätte ich von der erfahrenen Autorin, die sich mehrfach – und auch erfolgreich – mit der Thematik literarisch auseinander gesetzt hat, eine differenziertere und sachlichere Kritik erwartet.

Auffallend und gelungen ist dagegen das Cover.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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