Fünf Brüder wie wir

Jean-Philippe Arrou-Vignod

Aus dem Französischen von Bernadette Ott

mit s/w Illustrationen von Marine Ludin

Ravensburger, Januar 2013

192 Seiten, € 12,99

ab 9 Jahre

 

Inhalt:

Cherbourg, Frankreich 1967. Fünf Jungs im Alter zwischen zwei bis zehn Jahre wirbeln das Familienleben ganz schön auf.  Es ist kurz vor Weihnachten und die Jungs haben nur einen einzigen Wunsch: Einen eigenen Fernseher. Als die Mutter den Familienrat zusammentrommelt und geheimnisvolle Bemerkungen macht, glauben die Fünf zunächst, dass ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung geht. Doch sie werden enttäuscht, denn kein Fernseher ist das Hauptgeschenk zu Weihnachten, sondern ein zusätzliches Geschwisterchen. Die Freude darüber ist mehr als gemischt und der Fernseher rückt in unerreichbare Ferne. Doch bevor das Baby im Frühjahr kommt, erlebt die fünfköpfige Männermannschaft plus Vater und einer ordnungsliebenden Mutter noch einige große und kleinere turbulente Katastrophen. In kleinen Geschichten werden von Erlebnissen wie beispielsweise Weihnachten in den Bergen, ein Besuch im Hallenbad und im Pfadfinderlager bis zur Geburt des neuen Geschwisterchens erzählt.

Rezension:

Während in der Szene kontrovers diskutiert wird, ob die Umsetzung des Thienemann Verlags Sinn macht, den Wortschatz des Kinderbuchklassikers „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler zu aktualisieren, ist der Ravensburger Verlag so mutig, das 1999 in Frankreich veröffentlichte Kinderbuch des hierzulande unbekannten Autors Jean-Philippe Arrou-Vignod ins Deutsche zu übersetzen. Ob auch das Sinn macht?

Nun, bei diesem Buch muss man zumindest nicht den Wortschatz glätten, er ist so einfach und flach gesetzt, dass diese Arbeit wegfällt. Der Autor wuchs selbst in einer Familie mit sechs Jungen auf und seine Geschichten sind daher nichts anderes als eigene Kindheitserinnerungen. Dabei sind diese weder besonders originell, es fehlt an wirklichem Witz und Charme, noch haben sie irgend einen tieferen Sinn oder lassen den Vorlesenden mit Kindern ins Gespräch kommen. Vielleicht liegt es an dem langweiligen, stereotypen gleichen Namen der sechs Kinder, der nur mit der Auflistung von Jean-A oder Jean-Eins bis Jean-Fünf/E unterschieden wird, dass keine wirkliche Beziehung zu den blassen Figuren entsteht und selbst der Ich-Erzähler, Jean-B, unnahbar bleibt. Es mag heute sicher für die meisten Kinder schwer vorstellbar sein, wie es ist, in einer Großfamilie aufzuwachsen – ganz unvorstellbar mit sechs Jungs. Dass sechs Kindern nicht an die lange Leine der antiautoritären Erziehung gelassen werden, kann noch jeder nachzuvollziehen. Wenn man aber bereits auf den ersten Seiten liest, dass der Vater seine Erziehung vor allem durch ungestümes und undifferenziertes Verteilen von Ohrfeigen praktiziert und dies in jeder Episode ausgeweitet wird, mag man das Buch eigentlich schon nach drei Kapiteln mit befremdenden Kopfschütteln in die Ecke legen. In der heutigen Zeit, in der Kindesmisshandlung, sexuelle Übergriffe an Kindern täglich präsent sind, kann man doch nicht ernsthaft einem Kind „lustige“ Geschichten vorlesen oder lesen lassen, in denen die Ansage der Erziehung durch Ohrfeigen und Prügel bestimmt ist. So wird beispielsweise ein „Generalstreik“ der Jungs, in dem sie einen Fernseher, die Erhöhung des Taschengelds, mehr Körner für das Meerschweinchen und mehr Geschichten vor dem Einschlafen einfordern, mit der Androhung einer Tracht Prügel und unverzügliches ins Bett geschickt werden beantwortet. Punkt. Obwohl bei einem Besuch in der Konditorei andere Kunden mutig genug sind, den Vater mit seinen umherfliegenden Ohrfeigen offen als „Watschenvater“ zu bezeichnen, ist dieser resistent und selbstgerecht genug, sich darüber hinwegzusetzen. Herzlichen Glückwunsch für diesen tiefsinnigen und ach so lustigen Einblick in das Familienleben des Autors. Das ist auch nicht damit zu entschuldigen, dass die Erlebnisse von 1967 stammen, was sich nach dem zweiten Satz auf der ersten Seite verliert. Die Kindheitserinnerungen der fünf männlichen Wirbelwinde des Autors mögen vielleicht interessant und aufgeschrieben wert sein, um sie an die eigenen Kinder und Enkel weiterzugeben, besonderen Erlebnis- oder einen nachhaltigen Wert für alle anderen jungen Leser haben sie nicht. Dieses Buch erscheint so wie die die Präsentationen der Urlaubs-Dia- und Filmbeiträge von Familienmitgliedern oder Nachbarn aus den siebziger und frühen achtziger Jahren: Man konnte bei Anekdoten oder Erlebnissen nur bedingt mitlachen, weil sie entweder nicht wirklich witzig waren oder man bestimmte Sachen einfach nicht miterlebt und daher nicht nachvollziehen konnte.

Warum man nun ein 14 Jahre altes Kinderbuch als Lizenz mit entsprechenden Übersetzungskosten einkauft, dass weder unterhaltsam, witzig, originell noch irgend einen nachhaltigen Wert hat, mag sicher nur der Verlag erklären können.

Was an Geschichten liebenswert sein soll, in denen in jeder Episode Gewalt an Kindern auf „lustige Weise aufgepeppt“ zu lesen ist, ist eine ebenso unverschämte Bewerbung wie der Vergleich mit den Abenteuern des kleinen Nick.

Zudem sind auch noch einige Fehler im Lektorat zu finden, die ärgerlich sind und vermeidbar gewesen wären.

Auf die weiteren Erlebnisse der Familie, die im Juli 2013 mit „Sechs Brüder wie wir“ fortgesetzt werden, werde ich gut verzichten können.

Das einzig witzige sind die netten schwarz-weiß-Illustrationen Marine Ludin.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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