Was die Welle nahm

Was die Welle nahm KLEIN

Vera Kissel

Dressler, Juli 2014

256 Seiten, € 14,99

ab 13 Jahre

 

 

 

Als Lukas 4 Jahre alt war, ist sein Vater von zu Hause ausgezogen. Seine Mutter und Großeltern haben ihm erklärt, dass er auf Montage sei und beim Bau eines Staudammes hilft. Geblieben sind Lukas nur verschwommene aber sehr liebenswerte Erinnerungen an seinen Vater, denn alle Fragen nach seinem Vater werden von der Mutter und den Großeltern abgeblockt.Als seine Mutter mit ihrem Freund für zwei Wochen in den Sommerferien wegfährt, genießt Lukas die sturmfreie Bude. Er überlegt, wie er an Annika,  in die er sich verliebt hat, rankommt. Annika ist ein Mathegenie, also das genaue Gegenteil von Lukas. Soll er sie um Nachhilfe bitten? Lukas fragt sich, was sein Vater ihm geraten hätte und als er im Bücherregal seiner Mutter das Buch „Geschichte der Mathematik“ findet, hofft er darin eine Inspiration zu finden. Zwischen den Seiten entdeckt er keine Inspiration, wohl aber einen Brief; datiert vom zweiten Weihnachtstag 2005, dem ersten Todestag seines Vaters. Geschrieben hat ihn Kim Dottinger und offensichtlich ist diese Person der Grund, warum sein Vater die Familie damals verlassen und mit Kim Urlaub in Phuket gemacht hat. Offensichtlich ist sein Vater in dem Tsunami umgekommen. Da Kim wie er in Berlin lebt und er dank der Ferien viel Zeit hat, beschließt er sich die Person anzusehen, für die sein Vater ihn im Stich gelassen hat. Als Lukas feststellt, wer Kim Dottinger ist, weiß er nicht mehr, was Wahrheit und Lüge ist. Der Boden wird ihm unter den Füßen weggezogen, er fühlt sich von seiner Mutter und Großeltern zutiefst betrogen und belogen. Das Bild, das er von seinem Vater all die Jahre mit sich getragen hat, zerfällt. Lukas lernt, dass er sich den Tatsachen stellen muss, um die Vergangenheit zu verstehen und mit der Gegenwart zu leben. Auch wenn er das zunächst ablehnt, ist Kim die einzige Person, die ihm ehrlich und offen mehr über seinen Vater und die Gründe erzählen kann, warum er seine Familie verlassen hat.

Die Autorin Vera Kissel, Jahrgang 1959, hat für ihr Jugendbuchdebüt  die Tsunami-Katastrophe von 2004 als Handlungsgrundlage ausgesucht, was gewagt wie ausgefallen ist und durch den Titel und Klappentext in den Vordergrund gerückt wird. Ausgefallen ist auch ihr Schreibstil, mit dem sie den Protagonisten Lukas erzählen lässt.

Es.                                                                                                                                                                    sind.                                                                                                                                                                   immer wieder.                                                                                                                                                   so.                                                                                                                                                        kurze Sätze.                                                                                                                                          Die Lukas` Gedanken.                                                                                                        widergeben.

Das mag als seltener Akzent wirkungsvoll sein und literarisch wertvoll erscheinen, hier wird es regelmäßig als besondere Betonung eingesetzt, was beim Lesen schnell nervt. Die Autorin ist zwar bedacht, durch den 14-jährigen Ich-Erzähler die Gefühls- und Gedankenwelt jugendgerecht zu spiegeln, sprachlich bleibt das eher flach, wenn zur Aussage-Bekräftigung immer wieder Shit, Shit, Shit oder Der oder Die kann mich mal zur Hilfe genommen wird.  Es mag auch daran liegen, dass sich beim Lesen nur schwer eine Beziehung zu Lukas aufbaut, wirklich sympathisch erscheint er nämlich nicht. Ob eine Mutter tatsächlich einen 14-Jährigen für 14 Tage sich alleine überlässt, während sie mit ihrem Freund in Urlaub fährt, mag zwar außerordentlich modern und hipp sein, realistisch ist es nicht unbedingt. Die Tatsache, dass sie ihrem Sohn all die Jahre über nicht die Wahrheit über den Vater erzählt hat, ist sicher ihrer Überforderung und Verdrängung geschuldet. Wirklich schlüssig wird das in der Geschichte allerdings nicht. Kim ist die einzige Figur, zu der man eine Beziehung aufbaut, da sie sich um Natürlichkeit und Offenheit bemüht.

Vera Kissel setzt auf der Grundlage der Tsunami-Katastrophe eine Familiengeschichte auf, die voller Lügen, Verdrängung ist und in der ein pubertierender Jugendliche sich von heute auf morgen von all seinen selbst gebauten Bildern um seinen Vater verabschieden muss. Er bekommt ein völlig neues präsentiert, ein Bild, das alles andere als negativ ist – nur eben nicht so, wie es in Lukas` Vorstellung und in der seiner Mutter und Großeltern passt, wenn man „anders“ liebt.

Die Tsunami-Katastrophe fällt bei der eigentlichen Kerngeschichte überhaupt nicht ins Gewicht, der Vater hätte genauso gut bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sein. Aber wenn man eben so viel brisante Thematik wie die (angedeutete) Tsunami-Katastrophe, eine Liebe, die nicht so sein darf, wie sie war und die ohnehin problembepackte Adoleszenz  zusammenpackt, muss wenigstens das schnell herbeigeführte Ende happy sein. Das löst die Autorin kitschig mit drei eingeritzten Initialien in einer Platane und einem künstlichen  „Patchwork spezial“- Familienessen, das wohlgefällig alle Beteiligten gemeinsam für die Zukunft auf neuen Kurs setzt.

Und.                                                                                                                                                         Für das.                                                                                                                                                  Ich.                                                                                                                                                                    Zur Verdauung.                                                                                                                                  Einen Schnaps.                                                                                                                                        Brauche.                                                                                                                                                            Shit.

Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen. Entweder das Augenmerk auf die Tsunami-Katastrophe und deren Folge in einer Kernhandlung gesetzt oder die eigentliche (wichtige) Thematik intensiver behandelt. So bleiben die angerissenen Themen ohne Tiefe und die Sprache oberflächlich.

Nominiert wurde das Manuskript von der Jury für den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2012.

Das Cover spricht mit einem ruhigen Bild in warmen Farben an, wobei diese Welle allerdings nicht mitreißt.

Sabine Hoß

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