Leander sieht Maud

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Nadia Marfang

Aus dem Französischen übersetzt von Ingrid Ickler

Knesebeck, August 2014

176 Seiten, € 16,95

ab 14 Jahre

 

April 1976. Maud hat nach einem selbst verschuldeten Autounfall ihr Augenlicht verloren und zieht sich immer mehr zurück. Der 16 Jahre alte Leander ist schon lange von Maud fasziniert, sie dagegen hat ihm bisher nie Beachtung geschenkt. Vorsichtig nähert er sich ihr und lässt sich nicht von Mauds kratzbürstiger, ablehnenden Weise abschrecken. Mit feinfühliger Geduld bemüht sich Leander, sie mit verschiedenen Aktionen aus ihrem abgeschotteten Dasein zu locken. Er geht mit Maud ins Schwimmbad, bringt ihr Tischtennis nach Gehör bei und verkauft sein Mofa für gemeinsame Radausflüge auf einem Tandem. Doch immer wieder muss er mit dem abstoßenden Verhalten von Maud fertig werden. Sie hadert mit ihrem harten Schicksal, ist trotz aller Bemühungen von Leander perspektivlos und hat alle Lebensfreude verloren. Maud unterstellt ihm sogar, dass er ihre hilflose Situation ausnutzt, um bei ihr endlich zu landen. Dennoch gibt es Augenblicke des Waffenstillstands, in denen sie sich ganz nah sind. Als Leander ihr seine Liebe gesteht, ist ihre Antwort, dass sie ihn erst am Ende des Sommers, nach den Sommerferien, wiedersehen will. Leander zerreißt es fast sein Herz, aber er liebt Maud über alles und nimmt die Prüfung an. Die Zeit danach wird für beide nicht einfacher und die wirkliche Prüfung steht beiden noch bevor…

Die im neutralen Stil und im Präsens erzählte Geschichte braucht eine Weile, bis man „drin“ ist und eine Beziehung zu den Protagonisten aufbaut. Sieht man von der teilweise sperrigen und leicht hölzernen Sprache mit kurzen Sätzen (Übersetzung Ingrid Ickler) ab, taucht man im Laufe der Handlung in eine widerspenstige Beziehung ein, die nicht zuletzt wegen der liebevollen Hartnäckigkeit von Leander berührt. Er schafft es mit Hingabe und in seltenen Augenblicken die Mauer, die Maud um sich gezogen hat, ein kleines Stück einzureißen, beispielsweise wenn sie sich gegenseitig mit Farbe ihre persönlichen Eigenschaften und Vorlieben ins Gesicht malen. Maud hat durch ihre Blindheit alle Lebensfreude, Perspektive und Optimismus verloren. Ihre Sehnsucht nach dem erlösenden Tod ist größer als die Demut, die Hilfe anderer und ihr Schicksal anzunehmen. Entsprechend hart und scheinbar gefühllos erwidert sie Leanders stoische und sensible Annäherung. Dieser zerbricht fast an Mauds Verhalten und überlegt sogar, die Besuche einzustellen. So unterschiedlich die beiden Figuren sind und ihre Gefühlswelten divergieren – beide sind nachvollziehbar.

Nadia Marfaing, die sich in vielen sozialen Projekten und u.a. im Kampf gegen den Analphabetismus bei Blinden engagiert, ist mit ihrem ersten Jugendbuch ein starker Adoleszenz-Roman über eine ungewöhnliche Liebe gelungen, auf die man sich einlassen muss, die aber letztlich packt und bewegt. Eine Liebe, von der Maud (und Außenstehende) überzeugt ist, das sie keine Chance hat und irgendwann an falschem Mitleid zerbricht. Doch Leander weiß, dass er Maud ehrlich und tiefer liebt als alles andere. Er hört auf sein Bauchgefühl und kämpft auch dann noch um Maud, als der Verstand sagt, dass es vernünftiger wäre, Abstand zu halten.

Auch wenn der Erzählstil den Leser auf eine merkwürdige Distanz halten, schaffen es die beiden Protagonisten in einer Art Kammerspiel mit ihren streitenden, philosophisch-klugen Dialogen immer wieder die nötige Nähe aufzubauen. Leander und Maud wachsen in einem, für beide aufreibenden, Entwicklungsprozess trotz aller Hindernisse zusammen.

Das Cover ist schlicht und stimmig. Dass der Titel und die Kapitel-Überschriften im Inhalt zusätzlich in Braille-Punktmuster gesetzt ist, dient lediglich als optischer Effekt, da sie nicht wirklich mit Erhöhungen zu ertasten sind.

Sabine Hoß

Bewertung:

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