Rico, Oskar und das Mistverständnis

Andreas Steinhöfel

Mit Bildern von Peter Schössow

Carlsen Verlag, Oktober 2020

336 Seiten, € 16,00

 

 

 

12 Jahre ist es her, als das erste Buch von Rico und Oskar erschienen ist und Andreas Steinhöfel dachte damals nicht daran, dass im Laufe der Jahre fünf Fortsetzungen erscheinen würden. In diesen fünf Bänden vergehen ungefähr 2,5 Jahre, in denen sich Rico merkbar entwickelt, sich aber auch die Freundschaft zwischen den beiden Jungs vertieft.

Rico und Oskar gehören zusammen und ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen Wesen und Fähigkeiten zu einer symbiotischen Einheit. Andreas Steinhöfel ist es meisterhaft gelungen, in diesen fünf Büchern Rico nicht als Doofi hinzustellen, sondern trotz seiner Defizite als selbstbewussten Jungen zu präsentieren, der sich mutig zur Wehr setzt, wenn man ihn degradieren will. Wie sehr sich Rico entwickelt hat, kann man auch in seinen „Kästchen“ lesen, deren Aussagen sich deutlich von denen der ersten Bücher verändert, aber immer ihr Augenzwinkern behalten haben.

In dem fünften und letzten Band soll der geliebte Spielplatz von Rico, Oskar und ihren Freunden verkauft werden und es gibt ein Wiedersehen mit Nuri und Samira, Sarah, Soo Min, und Checker.

Auf dem Weg zum Spielplatz findet Rico Oskar im Treppenhaus auf dem Boden liegend und bringt ihn in Oskars Wohnung, leistet „Erste Hilfe“ und kommt damit zu spät zu seiner Verabredung mit Sarah, in die Rico sich verliebt hat. Als er dann verspätet am Spielplatz eintrifft, bekommt Rico gerade noch mit, wie ein aufgemotzter Typ mit zwei weiteren Leuten das Spielplatzgrundstück ausmisst und eine unfreundliche, ältere Frau den Kindern auf ihre Frage hin erklärt, dass ihr das Grundstück gehört und bald verkauft wird.

Für Rico und seine Freunde ist klar, dass sie alles versuchen werden, um den Spielplatz als ihren Ort zu retten. Obwohl die Mission für Rico und Oskar die gleiche ist, entfernen sich die beiden dabei, ja, sie bekommen sogar einen handfesten Streit. Oskar ist es nämlich nicht entgangen, dass sich Rico in Sarah verliebt hat und möchte ihn nicht teilen. So gehen die beiden auf verschlungenen Pfaden eigene Wege, um, jeder auf seine Weise, die Hintergründe für den Verkauf des Spielplatzes herauszufinden und ihn zu verhindern. Damit tauchen sie in eine umfangreiche Detektivgeschichte ein, denn sie müssen einiges über die unbekannte ältere Dame herausfinden, die den Spielplatz verkaufen will und stoßen dabei auf immer neue Menschen, die mit ihr in Beziehung stehen und die wichtig für das Vorhaben sind.

Andreas Steinhöfel erzählt in diesem Buch zweigleisig eine Geschichte, was außergewöhnlich und herrlich schräg ist. Rico liest auf seiner Reise mit Frau Dahling zwei Bücher von Hedwig Courths-Mahler und ist begeistert von dieser verschnörkelten, altmodisch anmutenden Schreibkunst und beschließt, das gerade erlebte genauso aufzuschreiben. Somit gibt er seiner Geschichte im Stil von „Hedwig Kurzmaler“ den Titel „Oskars kapitale Abenteuer“.

Der Autor erzählt damit eine kleine Geschichte in einer großen Geschichte. Diese Kombination und Erzählweise ist besonders und hebt sich von vielen Kinderbüchern ab. Das Verschwimmen von Kinder- und Erwachsenenbuch erinnert an die Werke von Erich Kästner. Man findet immer wieder liebevoll kleine Anspielungen zu Kästners Kinderbüchern, so heftet beispielsweise der Bühl Rico Geld mit einer Sicherheitsnadel in die Innentasche seiner Jacke. Wie Erich Kästner gelingt es Andreas Steinhöfel mit seinen Figuren, bei denen er auf Helden und Kunstfiguren verzichtet, und seinem Erzählstil den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Bücher haben mit ihren Geschichten und Aussagen einen doppelten Boden, ohne den pädagogischen oder moralischen Finger zu heben.

Der letzte Band von Rico und Oskar ist vielschichtig, diesmal steht der Krimi nicht im Vordergrund, sondern es geht um die persönliche Entwicklung der beiden Jungs, um den Wert von Freundschaft, um Familien-Konstrukte und Zusammenhalt – und letztlich um das spannende Rätsel, das sich hinter der älteren, barschen Frau verbirgt, die den Spielplatz verkaufen will.

Andreas Steinhöfel lässt die beiden Jungs am Ende der Geschichte gemeinsam in den Sonnenuntergang gehen, was überhaupt nicht kitschig anmutet. Wunderbar auch hier unterstreicht die Szene, wie in allen Büchern, die einzigartige Illustration von Peter Schössow. Peter Schössow gehört mit seinen Bildern zu diesen Büchern wie Rico zu Oskar, wie Ying zu Yang.

Auch wenn die Geschichten um diese beiden Jungs mit dem fünften Band nun enden, da Rico (wie Oskar) im Übergang von Kind zum Pubertierenden wechselt, kann der Leser gewiss sein, dass die Freundschaft zwischen den beiden ganz sicher weitergehen wird. Eine der schönsten Stellen in diesem Buch ist die, in der Checker Rico den Unterschied zwischen Freund-Freund und Kumpel-Freund erklärt. Wunderbar, Chapeau!

Schon jetzt freue ich mich auf das nächste Buch von Andreas Steinhöfel, mit doppeltem Boden, ganz besonderen Figuren und Erzählweise. Auch Erich Kästner würde sich freuen…

Sabine Wagner

 

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