Nur die Wahrheit rettet – Der Missbrauch in der katholischen Kirche und das System Ratzinger

Doris Reisinger und Christoph Röhl

Piper Verlag, 01.03.2021

352 Seiten, € 22,70

 

 

 

 

„Nur die Wahrheit rettet“ erschien bereits 2021, doch seine Brisanz ist nach wie vor aktuell.

Die Autorin Doris Reisinger war acht Jahre lang Mitglied einer fundamentalistischen katholischen Gruppe, die mit Ratzinger eng vertraut war. Heute arbeitet sie als Philosophin und Theologin, forscht zu sexuellen und spirituellen Missbrauch in der Kirche und schreibt zu diesen Themen erfolgreiche Bücher.

Christoph Röhl ist preisgekrönter britisch-deutscher Filmregisseur, der durch seinen Spielfilm „Die Auswerählten“ (2014) über den Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule bekannt wurde. Sein Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens“ (2019), der sich kritisch mit Joseph Ratzingers Wirkung auseinandersetzt, löste eine große mediale Diskussion aus.

Neben bekannten Tatsachen, wie u.a. der lang verdrängte Skandal um den Gründer der radikalen katholischen „Kongregation der Legionäre Christi“, Marcial Maciel Degollado, oder andere extreme katholische Gemeinschaften mit ihren eigenen Regelwerken wie „Opus Dei“, setzt sich das Buch mit den Arbeiten von Josef Ratzinger als Bischof von München und Freising (1977-1982), während seiner Amtszeit als Präfekt der Glaubenskongretation (1982-2005) und als Papst Benedikt XVI (2005- 2013) auseinander.

Sicher, das Buch polarisiert und regt zur Diskussion an, aber wenn man sich die heutige Missbrauchskrise anschaut, kommt man in der Auseinandersetzung nicht daran vorbei. Es ist, wie der Autor/die Autorin betonen, „keine biografische Erzählung und kein Pamphlet, es ist weder eine Apologie noch erhebt es einen wissenschaftlichen Anspruch.“ (Zitat aus dem Buch)

Das Buch stellt an einzelnen Fällen dar, welche Rolle und Bedeutung Josef Ratzinger in seinen unterschiedlichen Ämtern zum Versagen in der Missbrauchskrise hatte und wie er mit der Verantwortung hinsichtlich Verfolgung und Aufarbeitung von ihm bekannten wie belegten Missbrauchsfällen umging.  Mit zahlreichen Interviews von engen Weggefährten und Vertrauten Ratzingers und gewissenhaften Recherchen zeigen Reisinger und Röhl verschiedene angezeigte, belegte Fälle von sexuellen Missbrauch auf, die Josef Ratzinger als Bischof von München/Freising, (u.a. der Fall des Essener Priesters Hullermann), als Behördenchef der Glaubenskongretation wie auch als späterer Papst mit stoischen Verdrängen, Aussitzen oder Nichtanerkennen hinnahm. Es werden viele Fakten und Tatsachen dargestellt, denen man sich nicht entziehen kann.

Die Autoren betrachten dabei den Menschen Josef Ratzinger in seiner persönlichen Denkweise, dem die Aufarbeitung der „göttlichen, liturgischen Missbräuche, Delikte gegen den Glauben und die Sakramente“ sowie den Schutz des immer geringer werdenden Priesternachwuches wichtiger war als eine zügige, konsequente Verfolgung, Aufarbeitung und Bestrafung der ihm bekannten Fälle von sexuellen oder anderen Missbrauch.

Der amerikanischen Theologen Tom Doyle schließt das Buch mit den folgenden Worten ab:

„Die Krise wird so lange andauern, „wie das System besteht, das diese Krise erzeugt. Dieses monarchische kirchliche System, in dem der Leib Christi aus einem Monarchen besteht, umgeben von dieser kleinen Aristokratie, die um jeden Preis bewahrt werden muss. Solange dieser Glaube besteht, solange er aktiv ist, werden wir immer noch das Problem der Misshandlung von Menschen durch den Klerus und die Hierarchie haben, ob sexuell oder anderweitig.“ (Zitat aus dem Buch)

Wie man in diesem Buch liest, wollte Ratzinger viel lieber als Lehrer und Professor der Theologie wissenschaftlich arbeiten und war nicht jemand, der auf seiner Karriereleiter den Papststatus anstrebte. Umso erschütternder, dass er als Papst in dem „verschlungenen Machtapparat der Kurie“ (Zitat aus dem Buch) mit seiner vollen Jurisdiktionsgewalt über alle Bischöfe, Stellvertreter und Gläubige keine Verantwortung für den vielfältigen grausamen Missbrauch in unterschiedlichster Weise übernommen hat – bis heute.

Sabine Wagner

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