Hard Land

Benedict Wells

Diogenes, Februar 2021

352 Seiten, € 24,o0

 

 

 

 

Nach „Vom Ende der Einsamkeit“, das ich wunderbar fand, ist „Hard Land“ dass zweite Buch, das ich von Benedict Wells gelesen habe.

Die Tatsache, dass es nach der Erscheinung Ende Februar 2021 sofort von den Literaturkritiker*innen in den allgemeinen Feullitons hoch gelobt wurde, hielt mich tatsächlich zunächst davon ab, den Roman zu lesen. Doch nachdem er nun auch von Jugendjury zum Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, bin ich neugierig geworden.

Zum Inhalt werde ich hier nicht mehr detailliert eingehen, da ich diesen als bekannt und nachlesbar voraussetze.

Der 1984 geborene Benedict Wells hat die Geschichte des bald 16-jährigen Samuel Turner ins Jahr 1985 und nach Missouri verortet, was insofern bemerkenswert ist, da Wells diese Zeit nicht als Jugendlicher erlebt und zudem in Bayern verbracht hat. Aber es ist ihm grandios gelungen, die Mittachtziger, in der ich damals 18 Jahre jung war, wiederzubeleben und gleichzeitig die heutigen Jugendlichen dort bildlich hineinzuversetzen. Raffiniert hat er fein im Hintergrund lassend, die faszinierende Figur des kleinen, smarten Marty McFly aus dem damaligen Filmknüller „Zurück in die Zukunft“ auf die Hauptfigur seines Romans, den bald 16 Jahre alt werdenden Samuel Turner übertragen. Darüber hinaus ist der Roman ein Feuerwerk voller Musik der Achtziger Jahre, aus deren Song-Soundtracks oft Textpassagen perfekt in die Handlung einbezogen werden. (Es gibt auf Spotify und YouTube, sowie auf der Website des Autors, einen Hard-Land-Soundtrack Volume 1 und 2 zu hören.)

Auch die Atmosphäre der Landschaft Missouris und das Leben in dem kleinen Kaff Grady mit seinen Bewohnern beschreibt der Autor hervorragend mit plastischen Bildern, wobei es für mich tatsächlich nicht wirklich bedeutend schien, ob der Hintergrund der Geschichte in Missouri spielt oder auch irgendwo in Deutschland geschehen könnte. Vielleicht will dieser räumliche Abstand aber auch gerade das widerspiegeln.

In einem Sommer voller Langeweile findet der Außenseiter Sam einen Job im örtlichen alten Kino. Hier hat er nicht nur eine Aufgabe, sondern findet auch Freunde. In diesem Sommer stirbt aber auch seine schon lange schwerkranke Mutter und gleichzeitig verliebt er sich in die ältere Kirstie, für die er aber wegen seiner Unsicherheit und seines Alters zunächst nur ein Kumpel ist. Die wenigen Wochen, in denen Sam mit Kirstie und ihren Freunden Cameron und Hightower zusammen ist, verändern ihn und entscheidende Erlebnisse lassen ihn über seine bisherigen Grenzen hinauswachsen und erwachsen werden.

Diese Veränderung überträgt Benedict Wells mit feinem Scharfsinn auch auf das Dorf Grady, aus dem der Dichter William Morris stammt und dessen Gedichtband „Hard Land“ die Schüler der letzten High-School-Klasse seit Generationen lesen und darüber eine Prüfung schreiben müssen. Dieser Gedichtband hat eine besondere Bedeutung in diesem Roman, nicht nur wegen des gleichen Titels. Es sollen angeblich 49 kryptische Geheimnisse in dem Dorf Grady stecken und lange sind Sam und seine Freunde der Meinung, dass dies nur ein billiger Werbetrick für diesen Ort sei. Doch wer „Hard Land“ von Benedict Wells mit seinen 49 Kapitel gelesen hat, wird nachhallend beeindruckt und etwas weiser diesen leuchtenden Roman über das Erwachsenwerden aus der Hand legen.

Benedict Wells ist ein außergewöhnlich tiefgründiger Andoleszenzroman in einer melancholisch-leisen Sprache, abseits jeder Sentimentalität, gelungen, der Sams innere Zerrissenheit und Achterbahn der Gefühle zwischen seinem 16. und 17. Geburtstag, aber auch seine deutliche Entwicklung mit den richtigen, ehrlichen Menschen und Freunden an seiner Seite zeigt.

Ich habe schon lange keinen so vielschichtigen, raffiniert komponierten, damit Generationen verbindenen und überzeugenden Coming-of-Age-Roman gelesen, wie diesen. Grandios.

Ebenso trefflich passend zu dem Roman ist das Cover mit einem Ausschnitt aus dem Gemäde „Landing“ von Wilfrid Moizan (2014).

Am Ende des Buches bedankt sich Benedict Wells in einem Abspann, wie nach einem Film, bei ihm wichtigen Menschen. Gut Vorstellbar, dass dieser Roman verfilmt wird. Aber ob ein Film der Tiefe der Figuren und Geschichte, auch hinter dem musikalischen Setting der Mittachtziger, gerecht werden würde, bezweifle ich.

Sabine Wagner

 

 

 

 

 

 

 

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