Du musst die Wahrheit sagen

Mats Wahl

Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch

Hanser, Februar 2011

240 Seiten, €  13,90

ab 13 Jahre

Inhalt:

Tom ist zum wiederholten Male umgezogen. Diesmal ist sein neues Heim das Haus seiner verstorbenen Großmutter, in das er mit seiner Mutter und seinen beiden Halbgeschwistern einzieht. Mit seinem Halbbruder Morgan versteht sich Tom überhaupt nicht, täglich werden verbale und auch handgreifliche Gemeinheiten ausgetauscht und vor allem Morgan geht keiner Provokation aus dem Wege, die bis zur brutalen Gewalt geht. Tom ist ein empfindsamer, einsamer Einzelgänger und versucht, sich gegen die hinterhältigen Attacken seines Halbbruders zu wehren. Die Halbschwester Annie fühlt sich Tom näher als ihrem rüpelhaften Bruder und bemüht sich, den Streithähnen aus dem Weg zu gehen. Die Mutter ist eine oberflächliche Frau, die es nicht lange an einem Ort aushält und immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen ist – und nach neuen Männerbekanntschaften. Sie hat es aufgegeben, beschwichtigend auf die beiden Brüder einzugehen und jeder der vier geht seine eigenen Wege.  Berührungspunkte gibt es kaum und das Interesse um das Wohlbefinden ihrer Kinder bleibt bei der Mutter nur oberflächlich. Als Tom seinen Nachbarn Berger kennenlernt, einen alten, kauzigen und verschrobenen Herrn, begegnet er zum ersten Mal echtem Interesse an seiner Person, was ihn zunächst ein wenig irritiert. Doch dieses Interesse ist nicht ganz uneigennützig und hat einen Grund: Berger eröffnet Tom, dass er der Vater seiner Mutter ist. Da er ahnt, dass er nicht mehr lange leben wird, bittet er Tom als Mittelsmann den Kontakt zu seiner Tochter herzustellen. Damit ist Tom völlig überfordert, er hat keine Ahnung, ob und wie er das seiner Mutter beibringen soll.

Rezension:

Mats Wahl ist für seinen kompromisslosen und nüchternen Blick auf eine egoistisch eingestellte Gesellschaft bekannt. Er verpackt sie in einer ausdrucksstarken und direkten Sprache und -meist- in spannenden Geschichten. In seinem neuen Roman hangelt man sich allerdings von Seite zu Seite mit weitschweifigen Beschreibungen von Nebensächlichkeiten und unzähligen Wiederholungen von Kleinigkeiten. Immer wieder liest man, wie Tom sich Toastbrote wahlweise mit Käse oder Himbeermarmelade belegt und dazu Tee trinkt, dass man alleine vom Lesen für die nächsten Wochen gesättigt ist. Ebenso hat man das Gefühl Blasen und Schwielen an den Händen zu bekommen, so oft mäht man mit dem Hauptprotagonisten Rasen oder schneidet die Hecken. Sicher, der Autor gibt seinen Protagonisten kein Schwarz-Weiß-Muster, was gut und realistisch ist. Allerdings hat leider kein Charakter in dieser Geschichte eine besondere Tiefe, sie bleiben in einem blassen Dunst. In der Buchbeschreibung liest man von den schmierigen Annäherungsversuchen von Dick, der neue Freund der Mutter, zu ihrer Tochter Annie, die sich zu einer brisanten Situation entwickelt. Doch bis es zu diesem „Höhepunkt“ endlich ganz am Ende des Buches kommt, werden immer wieder neue Personen eingebunden und Themenansätze angesprochen. Der Bogen reicht hier von rassistischen und neofaschistischen Ansätzen, der offenen Gewalt an Schulen, überforderten Lehrern bis zur demoralisierenden Tatsache, dass die Wahrheit, wenn überhaupt, nur heimlich und verdeckt ausgesprochen wird. Es gibt wenige Szenen, die wirklich herausragen, wie beispielsweise, als der Schuldirektor nach einem wiederholten Gespräch mit Tom immer noch nicht seinen Namen kennt und ihn mit „Du! Hallo!“ anredet. Man hat das Gefühl, dass Mats Wahl hier viele problematische Themen miteinander verknüpfen wollte, doch keines hat er wirklich Tiefe und Kontur gegeben. Das lässt natürlich viel Raum, um zwischen den Zeilen zu lesen, man kann sich aber auch dabei verlieren. Eigentlich will der Autor in seinem Roman darauf aufmerksam machen, dass jeder in dieser Familie nur mit sich und seiner eigenen Welt beschäftigt ist und somit keinem Familienmitglied die angeblichen eindeutigen, verfänglichen Berührungen von Dick gegenüber Annie auffallen, die dann letztendlich zur Katastrophe führen. Selbst wenn der Leser durch den Klappentext für dieses Thema sensibilisiert ist, fallen die Hinweise kaum auf. Zu oft wird man von einer neuen Situation, einem neuen Thema wieder abgelenkt. Das Ende bleibt offen, gibt damit auch eine Art Hoffnung, dass sich bei Tom etwas zum Guten hin verändern kann. Mats Wahl wird im Klappentext zitiert: „Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, hoffnungsvolle Geschichten zu schreiben. Ich sehe es als meine Aufgabe, gute Geschichten zu schreiben. Und das ist nicht dasselbe.“ Die Hoffnungslosigkeit hat er in dieser Familie sehr gut herausgearbeitet, ebenso die Tatsache, dass man sich mit Oberflächlichkeiten gerne auseinandersetzt, solange nicht die wirklichen persönlichen Gefühle und Probleme berührt werden. Hoffnungsvolle Geschichten müssen nicht gleichzeitig gute Geschichten sein, das stimmt. Aber auch gebrochene Geschichten sollten spannend und nachvollziehbar sein. Die Umsetzung der Grundidee mit der Verschachtelung von zahlreichen nur im Ansatz angedeuteten Problemen und flüchtigen Charakteren hat mich bei diesem Buch nicht überzeugt.

Sabine Hoß

Bewertung:

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