Mein Gott, Wanda

Ulrike Herwig

Marion-von-Schröder Verlag, Juli 2012

272 Seiten, € 14,99

„all age“

 

 

 

Inhalt:

Wie im letzten Jahr um diese Zeit nehme ich mir auch in diesem die Freiheit, diesen bedrückenden, nassen Sommer mit einer wunderbar heiteren „all age“ Lektüre aufzuhübschen. Letztes Jahr hat uns die Autorin Ulrike Herwig mit „Tante Martha im Gepäck“ nach Schottland mitgenommen, diesen Sommer bleiben wir mit Wanda zuhause. Wanda, Anfang sechzig und geschieden hat gerade ihren geliebten Teeladen verkauft, was sie aber nicht davon abhält, dem neuen Besitzer auf die Nerven zu gehen. Eigentlich hat sie sich auf ihr Rentnerdasein gefreut, um endlich einmal all die Dinge zu machen, für die sie vorher keine Zeit hatte. Jetzt hat sie jede Menge Zeit, aber irgendwie fühlt sie sich plötzlich unansehnlich, alt und lustlos. Mit ihrer Freundin Biggi versucht sie mit Hilfe eines Salsa-Kurs lateinamerikanisches Temperament überspringen zu lassen, doch außer Blasen an den Füßen gibt es keine Veränderung. Ihre andere Freundin Marianne kann ihr auch keine wertvollen Tipps geben; sie ist Hausfrau par exellence und für sie gibt es nichts schöneres als ständig zu putzen, backen oder kochen und um ihren Gerd herumzuwuseln. Als Wandas langjähriger Lieblingskunde und Freund sie zu einer Reise nach Australien einlädt, kommt wieder Wallung in ihr Leben. Während Wanda sich schon gedanklich auf das prickelnde Abenteuer einlässt, erhält sie einen schnellen Dämpfer: Ihr Sohn Stefan liegt, dank eines Snowboardunfalls, mit einer prächtigen Knochenverletzung an Fuß und Bein in einem Krankenhaus in Kempten. Derzeit nicht transportfähig bangt Stefan um sein Fitnessstudio „Herkules“, das sowieso kurz vor dem finanziellen Aus steht. Wanda ringt kurz zwischen Australien und Muckibude, doch Mutterliebe ist stärker. Und wenn man jahrelang einen Teeladen erfolgreich geführt hat, kann ein Fitnessstudio kein Buch mit sieben Siegeln sein, glaubt Wanda. Doch beim ersten Augenschein des Studios ist sie erschlagen vom Geruch, den Typen, die dort hinkommen, den optischen Eindruck der Räume. Als sie auch noch die katastrophale finanzielle Lage überblickt, entschließt sich Wanda, für ihren Sohn den Laden wieder auf Vordermann zu bringen, auch wenn die Konkurrenz nicht schläft. Ihre manchmal furchtbar anstrengenden aber immer zuverlässigen Freundinnen Biggi und Marianne unterstützen sie dabei in jeder Hinsicht. Wer sagt denn, dass man ab 60 nicht mehr in ein Fitnessstudio gehen kann, ohne von den jungen Leuten ausgelacht zu werden? Doch was wird Sohn Stefan sagen, wenn er nach Krankenhausaufenthalt und Reha sein Herkules im neuen Gewand findet?

Ulrike Herwig beweist wieder einmal, dass sie neben erfolgreichen Kinder- und Jugendbücher auch das Genre der Henliteratur hervorragend beherrscht und sie sich mit ihrem Namen bei bekannten Kolleginnen wie Dora Heldt, Kerstin Gier, Susanne Fröhlich oder Hera Lindt  einreihen darf. Die Autorin besitzt eine bestechend genaue Beobachtungsgabe von Charakteren und Typen, die wir alle kennen. Ohne flache Übertreibung oder die jeweiligen Marotten und Eigentümlichkeiten lächerlich zu machen, beschreibt sie die Not und Nötchen der älteren, weiblichen – und auch männlichen Protagonisten. Mit einem herrlich erfrischenden Humor und ironischen Zwischentönen, der den Bogen von leise, bestätigendem Lächeln bis hin zu lautem Auflachen spannt, kann sie mühelos auf billige Klischees verzichten. Wanda ist eine rüstige Jungrentnerin mit den Unsicherheiten, Zweifeln, Hoffnungen und Erwartungen, die jeder neue Lebensabschnitt mit sich bringt. Dreh- und Angelpunkt der Story ist die Verzauberung der muffigen Muckibude ihres Sohnes zu einem ausgefallenen Treffpunkt sportlich Interessierter jeden Alters. Hier zeigt Wanda, welche Kräfte in ihr und ihren Freundinnen stecken. So spritzig-dynamisch wie Wanda agiert ist auch der Schreibstil der Autorin. Natürlich darf eine kleine Liebesgeschichte nicht fehlen und anders wie bei „Tante Martha“ erscheint diese nicht so zuckersüß, dafür realistischer mit einigen Höhen und Tiefen. Die Geschichte räumt mit Vorurteilen auf, dass mit dem Rentnerdasein auch jeder Bezug zum Leben „da draußen“ abhandenkommt oder nicht offen für eine neue Liebe sein kann. Das sind die kleinen, feinen und ernsthaften Töne aber ohne jeden moralischen Fingerzeig, die in heiterem Schreibstil die Angst vor dem Älter werden nehmen. Damit hebt sich Ulrike Herwig von anderen Autorinnen in diesem Genre wohltuend ab. Dieses „Henlit“- Buch zeigt im wahrsten Sinne des Wortes, dass die Frau ab 60 (und auch gerne schon früher 😉 ) durchaus noch mit aller Kraft und in natürlicher Schönheit  leuchten können.

Die Story trifft den aktuellen und begrüßenswerten Trend, die „heiße Zeit“ der Wechseljahre und das Älterwerden mit klugem Humor und entspannter Gelassenheit nicht verschämt unter den Tisch zu kehren, sondern offen und gelassen salonfähig zu machen.

Das Cover – tja, ein Hund, genauer gesagt ein Dackel kommt tatsächlich in der Geschichte vor. Wenn auch nicht am Steuer eines Autos und mit Brille behaftet sondern eher in einer hintergründigen Nebenrolle. Das Cover lässt, wie bei „Martha im Gepäck“ wieder keinerlei Schlüsse auf die eigentliche Geschichte ziehen. Als Blickfang oder Hingucker wird es hoffentlich nicht nur Hundeliebhaber anziehen. Auf jeden Fall garantiert „Mein Gott, Wanda“ ein paar vergnügte, leichte Stunden.

Sabine Hoß

Bewertung:

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