Der Leuchtturm unter den Sternen

Annika und Per Thor

Aus dem Schwedischen übersetzt von Brigitta Kicherer

Carlsen, Dezember 2012

224 Seiten, € 12,90

ab 12 Jahre

 

Inhalt:

„The american dream“ – Das war Anfang des 20. Jahrhunderts auch für den Göteborger Vater von der 14 Jahre alten Blenda, dem zehnjährigen Erik und seiner Frau Tora die vermeintliche Rettung aus der Armut, nachdem er seine Arbeit auf der Werft verloren hat. Als seine Familie nach sieben Jahren nichts von ihm gehört hat, geht Tora davon aus, dass er in Amerika sein altes Leben vergessen hat. Blenda dagegen ist davon überzeugt, dass ihr Vater noch lebt und schreibt ihm regelmäßig Briefe, die sie bis zum erhofften Wiedersehen in einem mit Muscheln verzierten Kästchen aufbewahrt, das der Vater ihr einst geschenkt hat. Die Mutter verdient den kargen Lebensunterhalt als Wäscherin und hat ihr Leben eigentlich alleine gut im Griff. Um ihren Kindern aber eine bessere Zukunft zu geben, glaubt sie in dem Leuchtturmwächter Carl Nordsten einen guten Weg aus ihrer Armut gefunden zu haben und zieht mit ihren Kindern zu ihm auf eine kleine, Insel. Doch statt eines sicheren, ruhigen Leben erwartet der selbständigen und selbstbewussten Frau ein Leben voller Unterdrückung mit einem kalten, abweisenden Tyrann. Während sich Erik zunächst noch gut mit Nordsten versteht, herrscht bei Blenda und ihrem neuen Ziehvater auf Anhieb offene Antipathie. Auch Eriks Liebe zu Vögeln stößt bei dem Leuchtturmwärter auf kein Verständnis, was die noch frische Beziehung belastet.  Blenda kann nicht verstehen, dass sich ihre sonst so eigenständige Mutter so gängeln und dominieren lässt, weiß aber auch nicht, wohin sie gehen sollen. Können sie wieder zurück nach Göteborg, obwohl ihre Wohnung längst vermietet ist und Mutters alter Arbeitsplatz mittlerweile jemand anderes hat?

Rezension:

Annika Thor ist in Schweden eine sehr bekannte Autorin und namhafte Film- und Fernsehkritikerin. Ihr deutsches Debüt „Eine Insel im Meer“ wurde 1999 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, ihr Roman „Ich hätte Nein sagen können“, in dem es um Mobbing unter Schülern geht, ist gängige Schullektüre. Ihr neuestes Buch ist die erste Gemeinschaftsarbeit mit ihrem Mann, für ihn auch sein erster Roman.

In ruhiger und klarer Sprache ist dem Duo ein berührender Abriss eines bewegten historischen Zeitabschnitts gelungen, bei dem man aktuelle Parallelen wiederfindet. Die damaligen Lebensumstände, Armut und Not werden ohne Übertreibung nachvollziehbar beschrieben. Neben den verschiedenen Charakteren spielen zwei faszinierende Naturbegebenheiten eine große Rolle: das weite und wilde Meer, das mit bilderreichen Beschreibungen präsentiert wird und die einfühlsam beschriebene Tierliebe von Erik, insbesondere zu Vögeln. Die Protagonisten werden ohne in die epische Breite gehen zu müssen, geschliffen und differenziert aufgebaut. Obwohl es keine große Dramatik in dem Buch gibt, zeigt es sehr feinfühlig die facettenreichen Psychogramme der Figuren, von ängstlich, verletzend, aufbrausend und unberechenbar zu selbstbewusst, entschieden. Obwohl Thora, wenn auch ärmlich aber selbstbewusst und auf eigenen Füßen stehend, ihre beiden Kinder in den letzten sieben Jahren alleine  groß gezogen hat, erlebt sie mit dem neuen Partner plötzlich tyrannische Unterdrückung, Dominanz und Respektlosigkeit. Die junge Blenda hat Carl Nordsten schnell durchschaut und versteht nicht, warum ihre Mutter diesen furchtbaren Mann nicht verlässt. Ihre Gedanken, Freude, Ängste, Sorge und Hoffnungen teilt sie ihrem Vater in kleinen Briefen mit, denn für sie lebt er immer noch und bis sie nicht vom Gegenteil überzeugt wird, will Blenda daran glauben. Von daher wird und kann sie den Leuchtturmwärter niemals Vater nennen und als solchen akzeptieren. Eines Tages werden durch einen Sturm Schiffbrüchige an die Insel geschwemmt. Blenda und Erik nehmen selbstverständlich die Seemänner auf, da sie alleine sind und auf die Rückkehr ihrer Mutter und den Leuchtturmwärter warten, die wegen eines Arztbesuches nach Göteborg mussten. Als die beiden zurück sind, zeigt Carl Nordsten wieder einmal sein wahres Gesicht, das diesmal jedoch zu folgenreichen Konsequenzen führt.

„Der Leuchtturm unter den Sternen“ ist eines der Bücher, das in seiner Gesamtheit aus dem Mainstream der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur herausfällt. Die Handlung lebt nicht von großer Dramatik, dafür überzeugt sie mit einer ruhigen, intensiven Sprache und facettenreichen Figuren, die berührend zeigen, dass Armut kein Grund für Unterdrückung sein muss und es mit Mut (fast) immer einen Weg für ein selbstbestimmtes Leben gibt.

Brigitta Kicherer ist eine hervorragende Übersetzerin schwedischer Jugendliteratur. Auch diesem Buch hat sie den perfekten Tonus und die richtige Stimmung gegeben.

Das Cover wie auch der Titel stehen in vollendeter Harmonie zum Inhalt.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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