Arthur oder Wie ich lernte, den T-Bird zu fahren

Arthur KLEIN

Sarah N. Harvey

Aus dem Englischen von Ulli und Herbert Günther

dtv Reihe Hanser, Oktober 2013

240 Seiten, € 13,95

ab 14 Jahre

 

 

 

Royce, 16 Jahre, ist gelangweilt und sauer. Weil seine Mutter sich um ihren alten, demenzkranken Vater kümmern will, reist sie einmal quer durch Kanada vom äußersten Osten in den äußersten Westen. Hier angekommen, erkrankt Roy nach Weihnachten am Pfeiffer`schen Drüsenfieber, fällt bis Ostern in der Schule aus und langweilt sich daheim furchtbar. Royce Mutter verdient ihr Geld mit Klavierunterricht und gärtnern, ihr Mann ist an durch einen Verkehrsunfall  gestorben, als Royce zwei Jahre alt war und außer ihrer Schwester gibt es keine weitere Familie.

Seine Mutter hat sich die Pflege ihres Vaters auch etwas leichter vorgestellt. Ihre ältere Schwester lebt in Australien und ist im Verteilen guter Ratschläge per Telefon keine große Hilfe. Royce Großvater Arthur war früher ein weltberühmter Cellospieler, jetzt ist er nur noch ein griesgrämiger alter Kauz, der nur selten vor die Tür geht und alle mit seinen Launen vergrault. Nachdem Arthur etliche Pfleger in die Flucht geschlagen hat, ist seine Tochter verzweifelt. Doch dann fällt ihr ein, dass Royce bis zum Schulanfang noch jede Menge Zeit hat und macht ihm ein Angebot: Er hat  eine Stunde Zeit, zu überlegen, für 450 steuerfreie Dollars pro Woche die Pflege und Unterhaltung seines Großvaters zu übernehmen. Royce sagt zu, denn das Geld scheint relativ leicht verdient. Doch er ahnt nicht, was da auf ihn zukommt.

Er muss sich erst einmal gegen den ewig grantelnden über 90-Jährigen behaupten, dem er erst einmal nichts recht machen kann. Ganz langsam nähern sich die beiden an, auch wenn das Näherkommen mit Ecken und Kanten verbunden ist. Als Arthur seinem Enkel den über fünfzig Jahre alten und tadellos erhaltenen Thunderbird präsentiert und ihm auch noch zutraut, ihn zu fahren, ist das für beide ein Vorstoß in eine neue Welt. Gemeinsam machen sie Ausflüge, die unvergesslich bleiben, auch wenn sie den alten Herrn oft bis an den Rand der Erschöpfung bringen.

Als Arthur den ersten Schlaganfall erleidet, beginnt eine lange Zeit mit Hoffnungen, Niederschlägen und Verzweiflung. Denn es folgen weitere Schlaganfälle, von denen sich der Großvater nicht mehr erholt und ihn immer gravierender und unwiderruflich verfallen lassen. Royce merkt, wie schnell er sich an den bis dahin unbekannten Arthur gewöhnt hat und wie schwer es ihm fällt, seinen Zustand zu akzeptieren. So ist es auch er, dem Arthur seinen letzten Wunsch ausspricht, endlich sterben zu dürfen…

Sensibel und einfühlsam beschreibt die Kanadierin Sarah N. Harvey in lockerer Erzählweise aus der Sicht des jugendlichen Royce, die aber nie jugendlich anbiedernd wirkt, das zögernde Annähern zu seinem Großvater Arthur. Über diesem Mann hängt in der Familie der Pathos der Unnahbarkeit. Als weltberühmter Cellist stand für ihn seine Familie bzw. seine Töchter immer nur an zweiter oder dritter Stelle, so haben es jedenfalls seine Kinder in Erinnerung. Erst Royce gelingt es, dem widerspenstigen, kauzigen alten Herrn die Stirn zu zeigen, indem er ihm ganz unverblümt sagt, was er von seinem Benehmen hält. Das bricht das Eis zwischen den beiden und man taucht in eine berührende Zeit langsamer und intensiver Annäherung der beiden unterschiedlichen Generationen ein. Royce lässt Arthur den nötigen persönlichen Freiraum, setzt aber auch konsequent Grenzen. Auf der anderen Seite bringt Arthur ihm Vertrauen entgegen und ermutigt ihn zum Fahren des Thunderbirds. Das wird ein großes Geheimnis zwischen den beiden, denn eigentlich darf Royce mit seiner vorläufigen Fahrerlaubnis nur in Begleitung eines berechtigten Autofahrers ans Steuer, und seine Mutter hat Arthur wohlweislich den Führerschein abgenommen…

Es sind die natürlichen und authentischen Figuren, die den Roman so lebendig machen. Royce, der am Anfang davon träumt, mit dem „erpflegten“ Geld samt Thunderbird in seine alte Heimat Neuschottland zurückzukehren, aber dann ganz langsam seinen bis dahin fremden und alles andere als einfachen Großvater ins Herz schließt. Seine Mutter, die überfordert ist und durch Royce ihren Vater von einer unbekannten Seite kennen lernt. Arthur, der einfach ein Typ männlicher Primadonna ist, der einem mächtig auf die Nerven geht und dann wieder mit einem unglaublichen Charme fasziniert.

Sarah N. Harvey weiß behutsam, den schwierigen Gefühlszustand der Angehörigen zu beschreiben, als der demenzkranke Arthur nach mehreren Schlaganfällen zu einer körperlichen Hülle zerfällt und nur noch von Apparaten am Leben erhalten wird. Geriatrie, Pflegeheim, Sterbehilfe sind Stationen, mit denen der Leser im Handlungsverlauf konfrontiert wird. Das macht die Autorin aber so emphatisch, dass man nicht davon überrollt wird sondern die Möglichkeit bekommt, darüber nachzudenken und sich in Ruhe damit auseinander zu setzen. Man spürt, dass die Autorin von eigenen Erfahrungen schreibt. Inspiriert wurde sie zu dem Buch durch die Erfahrungen aus der Zeit, als sie sich um ihren alten Vater gekümmert hat.

Es ist ein außergewöhnlicher, einfühlsamer Familienroman in großartiger Erzählweise über die Pflege von demenzkranken Angehörigen, der von Vertrauen und Grenzen, Freundschaft und Liebe erzählt aber auch den wichtigen Respekt vor dem letzten Willen eines jeden aufmerksam macht.

Das Übersetzer-Duo Ulli und Herbert Günther hat einfühlsam den richtigen Ton getroffen.

Das türkise Cover ist farblich Geschmackssache, der T-Bird (?) passt jedoch perfekt wie das „Roman“-Nummernschild.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

 

 

 

 

 

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