Mein kleines dummes Herz

Mein kleines dummes Herz KLEIN

Xavier-Laurent Petit

Aus dem Französischen von Bernadette Ott

Dressler, Juli 2014

160 Seiten, € 12,99

ab 8 Jahre

 

 

Seit dreitausendvierhundersiebzehn Tage hört Sisanda auf ihren Herzschlag. Die neunjährige achtet darauf vielmehr, als andere Kinder in ihrem Alter. Sie lebt mit ihrer Mutter Maswala, ihrer Großmutter und ihrem geistig zurück gebliebenen Onkel in Afrika in einer Keja, einer Art Hütte. Sisanda geht sehr gerne zur Schule und liebt jede Art von Zahlenspiele. Seit ihrer Geburt leidet sie an einem Herzfehler und einmal im Jahr fährt sie mit ihrer Mutter sechs Stunden lang über mit Schlaglöchern durchsiebte Lehmpisten zur Kontrolluntersuchung ins Krankenhaus. Den Arzt kennt Sisanda schon seit ihrer Geburt, das heißt, seit neun Jahren, vier Monaten und neun Tagen, plus zwei Tage für die Schaltjahre. Das ist für jemanden wie Sisanda, die jeden Moment damit rechnen muss, dass ihr Herz aufhört zu schlagen, schon eine ganz lange Zeit. Sisanda weiß genau, worauf sie achten und was sie vermeiden muss. Eine Notfallmedizin hat sie immer dabei und ihre beste Freundin weiß auch, was in diesem Fall zu tun ist. Nur eine ein Million Kels teure Operation in einer Spezialklinik im Ausland, könnte sie retten. Doch wie soll Sisandas Familie an so viel Geld kommen? Selbst mit dem Geld, dass ihr Vater, weit weg auf einer Baustelle verdient, hat Sisanda ausgerechnet, müssten sie achtundreißig Jahre, drei Monate und zwanzig Tage sparen.

Durch Zufall findet Maswala auf der Rückfahrt in ihr Dorf einen alten Zeitungsartikel mit einem großen Foto einer Läuferin bei ihrem Zieleinlauf. Als Sisanda ihr den Artikel vorliest, in dem es um den jährlichen Kamjuni-Marathon geht, bei dem es ein Sponsoren-Preisgeld für den Erstplatzierten von 1,5 Millionen Kels gibt, ist für Maswala klar, was sie zu tun hat. Bisher ist sie nur für sich viele Kilometer jeden Tag gelaufen, jetzt hat sie ein festes Ziel: Beim nächsten Kamjuni-Marathon will sie als Erste durch das Ziel laufen. Um das Startgeld bezahlen zu können, verkauft sie nach Rücksprache mit ihrem Mann sogar ihr fettestes Schaf. Maswala trainiert hart und unerbittlich und bekommt sogar ein Paar Laufschuhe geschenkt, an die sie sich aber nicht gewöhnen kann. Das wird ihr zum Verhängnis, denn sie wird eines Tages während ihres Trainings von einem Skorpion gebissen. Kann sie jetzt überhaupt noch an dem Lauf teilnehmen, geschweige denn als Siegerin hervorgehen? Sisandas große Hoffnungen auf den Sieg ihrer Mutter stehen unter keinem guten Stern, denn ihrer Mutter geht es nach dem Biss sehr schlecht.

Obwohl Sisanda durch ihre Krankheit eingeschränkt ist, erzählt sie mit kindlicher Offenheit über ihre Passivität, ohne dadurch ihren Lebensmut zu verlieren. Sie kann und darf zwar nicht wild toben und spielen wie andere Kinder, hat aber als Pendant die Liebe zu Zahlen und dem Rechnen gefunden. Da ihre Tochter sich nicht körperlich bewegen darf, läuft Maswala für sie mit und braucht es für sich selbst als Ausgleich.

Es ist eine ruhige Geschichte, die durch die starke und sympathische Persönlichkeit von Sisanda und ihrer Mutter besticht, wie auch durch die poetische Sprache, die ein kleines Stück Afrika in farbigen Bildern lebendig macht. Aber auch Protagonisten wie die Lehrerin Frau Habari oder die Großmutter sind mehr als nur Randfiguren. Die Geschichte ist ruhig und dennoch spannend und bleibt auch am Schluss realistisch. Dem Autor gelingt es, den Leser in ein für uns unbekanntes und ganz anderes Leben in Afrika mitzunehmen und für ein Problem zu sensibilisieren, dass hierzulande schwerer vorstellbar ist.

Eine spannende, besinnliche und nachdenklich machende Geschichte in poetischer, kindlich-offener Erzählweise, die von Bernadette Ott entsprechend stimmig übersetzt wurde. Schöne Vignetten und ein wunderbar farbenprächtiges Titelbild von Eva Schöffmann-Davidov runden das Buch gelungen ab.

2007 wurde Xavier-Laurent Petit bereits mit „Steppenwind und Adlerflügel – Winterabenteuer in der Mongolei“, Dressler) zum Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.

Dieses Buch würde ich wie „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“ von Kirsten Boie, Oetinger , „Der Junge und der Elefant“ von Rachel Campbell-Johnston, Aladin-Verlag, (Besprechung folgt in Kürze), „Der Tag der Krokodile“ von Michael Williams, Carlsen oder „Zu Hause redet das Gras“ von Katherine Rundell, Carlsen, u.a. samt ihren Übersetzern ebenfalls auf eine ganz neue Nominierungsliste nur für Afrika-Bücher wünschen, die uns ganz unterschiedliche Einblicke aus diesem facettenreichen, authentischen  und wunderbaren Land zeigen.

Sabine Hoß

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