Der Junge und der Elefant

Der Junge und der Elefant KLEIN

Rachel Cambell-Johnston

Aus dem Englischen von Katharina Diestelmeier

Mit Vignetten von Alex Egan

Aladin, September 2014

416 Seiten, € 16,90

ab 11 Jahren

 

Ein weiteres beeindruckendes Buch, das wie einige andere Romane (siehe Besprechung „Mein kleines dummes Herz“) ein lebendiges, anschauliches Bild des facettenreichen Landes Afrika präsentiert. Die Autorin Rachel Cambell-Johnston kann aus einem reichhaltigen Fundus an Erfahrungen aus ihrem unkonventionellen Leben zurückgreifen: Sie hütete während ihres Studiums der Englischen Literatur in Cumbria Schafe um Geld zu verdienen, zwei Sommersemersterferien verbrachte sie in El Salvador und arbeitete dort während des Bürgerkriegs in einem Flüchtlingslager. Zwei Jahre lang lebte sie nach ihrem Studium im Regenwald im Amazonas bei einer Familie von Kautschuksammlern. Zurück in England promovierte sie über moderne und zeitgenössische britische Lyrik und reiste immer wieder nach Afrika, insbesondere nach Kenia, Tansania und Uganda. Viele Erlebnisse und Erfahrungen von diesen Reisen fließen in den vorliegenden Roman mit ein.

Bat, sieben Jahre alt, lebt mit seiner Großmutter in Jambula, einem kleinen Dorf in der ostafrikanischen Savanne. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, er war Wildhüter für Elefanten und ist von Wilderern erschossen worden, seine Mutter ist bei seiner Geburt gestorben. Seine Großmutter hat ihn mit viel Liebe erzogen, auch wenn es für sie oft nicht einfach gewesen ist. Bat ganzer Stolz ist seine kleine Rinderherde, die er mit Liebe und Einfühlungsvermögen zu den Tieren hütet.

Eines Tages beobachtet er, wie Wilderer eine Elefantenkuh brutal töten. Kurze Zeit später findet der Junge ein winziges Elefantenbaby. Bat nimmt das Kleine mit und gibt ihm den Namen „Meya“ und zieht es auf. Unterstützt wird er dabei von Muka, einem gleichaltrigen Mädchen, das seine Großmutter aufgenommen hat, deren Eltern ebenfalls tot sind und ihre Tante bereits mit fünf anderen hungrigen Mäulern überfordert ist. Obwohl Bats Großmutter die beiden Kinder bereits von Anfang an eindringlich darauf hinweist, dass ein Elefant nicht zahm ist und sie das Tier eines Tages ziehen lassen müssen, wird Meya für Bat eine ganz enge und ständige Begleiterin und bald ist sie auch ein Teil in der Dorfgemeinschaft. Fünf Jahre lang bleibt sie bei Bat, dann sieht er ein, dass Meya sich einer Elefantenherde anschließen muss, um zu ihren Artgenossen und Familie zurückzukehren.

Schweren Herzens lässt er sein Ziehkind los, ist sich aber tief in seinem Herzen sicher, dass sie auf immer verbunden bleiben. Bat kehrt wieder zu seiner Arbeit als Hüter seiner Rinderherde zurück, oft begleitet von Muka. Das Dorf lebt mittlerweile in großer Angst, der Bürgerkrieg bedroht auch ihr Leben und ein Überfall durch die Rebellen und den Kindersoldaten ist jederzeit gegeben. Dass die Regierungssoldaten für ausreichenden Schutz sorgen, sehen die meisten Dorfbewohner mit großem Zweifel. Eines Tages werden Bat und Muka von den Rebellen in ein Ausbildungslager für Kindersoldaten entführt. Bat soll ihnen bei der Jagd nach dem kostbaren Elfenbein mit seinem Talent und Wissen im Umgang mit den Elefanten nützlich werden. Für ihn und Muka beginnt eine unendlich lange, quälende Zeit, in denen sie furchtbares erleben. Als die beiden fast alle Hoffnung verloren haben, jemals wieder nach Hause zurückzukehren, passiert etwas unvorstellbares und es zeigt sich, was eine tiefe Freundschaft bedeutet, die auch nach Jahren nichts an Intensität verloren hat.

Rachel Campbell-Johnston beschreibt sehr detailliert die Schönheit der ostafrikanischen Savanne genauso wie das Aufwachsen und Leben eines kleinen Elefantenbabys, bis es zu seiner Familienherde zurückkehrt. Die Dorfbewohner gehen mit großem Respekt mit diesen wunderbaren Tieren um. Sie sind sich bewusst, dass die Elefanten über eine Macht verfügen, die größer ist, als sie sich vorstellen können. „Elefanten vergessen nie, selbst wenn sie verzeihen.“

Mit sehr vielen Metaphern, die in ihrer Häufigkeit leider auch stellenweise nerven, entstehen farbenprächtige Bilder, die einerseits jüngere Leser in dieser Ausführlichkeit langweilen könnten, andererseits taucht man durch die opulenten Naturbeschreibungen mit Leichtigkeit in dieses Land ein. Die Sprache besitzt trotz der überschwänglichen Verbildlichung (Übersetzung Katharina Diestelmeier) eine Faszination, die in den Bann zieht.

Wirf dein Herz voraus, dann lauf ihm nach und fang es wieder ein.“

Das sagte Bats Großmutter und ist Sinnbild dafür, mit welcher Zuneigung für Afrika Rachel Cambpell-Johnston das Leben in einem kleinen ostafrikanischen Dorf in der Savanne beschreibt. Genauso erzählt sie aber auch mit schonungsloser Klarheit von der Bedrohung der Dorfbewohner durch den Bürgerkrieg und die Entführung Tausender von Kindern durch die Rebellenarmee, die mit brutalen, unmenschlichen Methoden zu Kindersoldaten gezwungen und ausgebildet werden, während ihre Familien aus ihren Dörfern vertrieben und ermordert werden. Die Verzweiflung, Angst und Hoffnungslosigkeit der Kinder in diesen furchtbaren Ausbildungslagern wird ungeschönt widergespiegelt. Die Geschichte sensibilisiert darüber hinaus für den Artenschutz der vom Aussterben bedrohten afrikanischen Elefanten.

Und über all dem steht die unglaublich intensive Freundschaft zwischen Bat und der Elefantin Meya, deren Kraft das Schlimmste gemeinsam überstehen lässt und nicht vergeht.

Eine opulente Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht und die metaphorisch die  farbenprächtigen und dunklen Seiten Afrikas beschreibt. Ein wunderbares Cover lädt zum Eintauchen in Land und Geschichte ein.

Sabine Hoß

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