Die total irre Geschichte mit der Gitarre meines Vaters und allem, was danach kam – obwohl sie mir keiner auch nur ansatzweise glauben wird

Die total irre Geschichte mit der Gitarre meines VatersKLEIN

Jordan Sonnenblick

Aus dem Englischen von Gerda Bean

Carlsen, Mai 2015

284 Seiten, € 15,99

ab 14 Jahren

 

 

Jordan Sonnenblick ist kein unbekannter Name in der deutschen Jugendliteratur, 2009 war er auf der Nominierungsliste zum Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis mit „Wie ich zum besten Schlagzeuger der Welt wurde und warum“ (Carlsen). Es folgten 2011 und 2012 die Bücher „Wie ich das Überleben überlebte – und Mathe kapierte“ (2011) und 2012 „Buddha Boy“ (alle Carlsen).

Fast alle Bücher zeichnen sich durch einen langen und ausgefallenen Titel aus, komplexe und schwierige Themen in einem ganz eigenen ironisch-tiefgründigen Erzählstil sowie einer hervorragenden Übersetzung durch Gerda Bean.

So überrascht es nicht, dass sein neues Werk den fast nicht einzuprägenden verrückten Titel trägt „Die total irre Geschichte mit der Gitarre meines Vaters und allem, was danach kam – obwohl sie mir keiner auch nur ansatzweise glauben wird.“

Rich, 15 Jahre alt, kämpft mit der Engstirnigkeit und übergroßen Strenge seiner  nicht mehr jungen Eltern, auch wenn Teenager sowieso ihre Eltern in dieser Zeit uralt einschätzen. Doch seine Mutter und sein Vater David haben ihn tatsächlich recht spät bekommen und Rich hat immer wieder Streit wegen der strengen Erziehung und der eingeengten Freiheit durch seinen Vater. Seine Mutter ist ihm dabei nicht wirklich eine Stütze, denn auch sie kommt nicht wirklich gegen die Dominanz des Vaters an. Die Gründe seines pessimistischen, ja depressiven Verhaltens scheint in der Vergangenheit und in der Jugend des Vaters zu liegen.

Sein Bruder Michael ist mit 18 Jahren an einer Überdosis Rauschgift gestorben, kurz nach dem Woodstock-Festival. Diesen Verlust hat David bis heute nicht verarbeitet, denn seine ohnehin schlechte Laune wird kurz vor dem jährlichen Todestag seines Bruders unausstehlicher und er vergräbt sich für Tage in seinem Arbeitszimmer im Keller.           Michael muss ein hervorragender Musiker gewesen sein, denn er und David spielten damals in einer Band. Viel weiß Richard nicht über das Leben seines Vaters und der Beziehung zu seinem Bruder, denn alle Fragen und Gespräche, die in diese Richtung laufen, werden sofort abgeblockt. Auch Richard ist ein begeisterter Gitarrenspieler und lässt sich von seiner Freundin Courtney überreden, bei einer Protestaktion zur musikalischen Unterstützung beizutragen. Da die Veranstaltung sich für die Legalisierung von Marihuana zu medizinischen Zwecken einsetzt und Richard dummerweise dabei von seinen Eltern inflagranti ertappt wird, ist es nicht verwunderlich, dass er Hausarrest erhält. Zudem nähert sich der Todestag seines Onkel Michael, über den seit 45 Jahren ein Mantel des Schweigens hängt. Richard entdeckt in dem Arbeitszimmer seines Vaters, das er verbotenerweise betritt, zu seiner großen Überraschung einen elektronischen Verstärker und zu seiner Fassungslosigkeit die Original-Gitarre von Jimi Hendrix mit einer mysteriösen Botschaft. Sein Vater überrascht ihn bei seiner Entdeckung und bevor er ihm die Gitarre aus den Händen reißen kann, spielt Richard den typischen Jimi Hendrix-Dominant-Sept-Akkord mit übermäßiger None auf E – und katapultiert sich damit ins Jahr 1969 auf eine Zufahrtstraße zum Woodstockfestival.

Richard knallt nackt auf die Kühlerfigur eines Cadillac, deren Logo sich als Mahnmal tief auf  seiner Hüfte abmalt und trifft auf eine Gruppe junger Leute, die auf dem Weg nach Woodstock sind. Langsam wird Richard klar, dass diese Gruppe aus seinem Vater im Alter von 15 Jahren, seinem Onkel Michael mit 18 Jahren und dessen Freundin besteht. Nachdem Richard die größte Verwirrung sortiert hat, taucht er in ein buntes, verrückt-psychedlisches Leben während des historischen Musikfestivals ein. Dabei lernt er seinen Vater von einer ganz anderen und neuen Seite kennen und begegnet seinem Onkel, kurz bevor er sterben wird – und lernt Musiker hautnah kennen, die heute legendär sind.

Richard hofft, aus dem Wissen seiner Gegenwart die Vergangenheit in andere Bahnen lenken und damit die Zukunft verändern zu können. Doch auch mit dem Verstehen, dass dass das nicht funktionieren wird, ist diese Zeitreise in der Gegenwart für die Beziehung zu seinem Vater ein Quantensprung, denn er lernt die Familiengeschichte kennen und seinen Vater und sein Verhalten somit besser zu verstehen.

Erst einmal scheint eine Zeitreise ein nicht besonders ausgefallener Hintergrund für ein neues Buch eines Autors zu sein. Irgendwie scheint man alles seit „Zurück in die Zukunft“ schon einmal gesehen, gelesen zu haben. Doch was Jordan Sonnenblick aus dieser Zeitreise zum Woodstockfestival macht, ist in Teilen tatsächlich einzigartig und herrlich verrückt.

In seinem ganz eigenen ironisch-leichtem und trotzdem tiefgründigen Humor beschreibt Sonnenblick so bilderreich die gechillte, friedliche und auch abgedrehte Atmosphäre dieses gigantischen politischen Musikfestivals (das in diesem Umfang nicht ansatzweise geplant und sich in kürzester Zeit verselbstständigt hatte), dass man beim Lesen tatsächlich manchmal das Gefühl hat, auf einer der verdreckten Decken in berauschtem Zustand auf dem Wiesengelände zu liegen. Die Musik und die Musiker dieser Zeit, allen voran natürlich Jimi Hendrix, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Auch wenn man sie nicht kennt oder keine wirkliche Beziehung zu ihnen hat, tut das dieser Geschichte keinen Abbruch oder hemmt das Lesevernügen.

Der damalige fast selbstverständliche Drogenkonsum wird weder geschönt noch zur Nachahmung empfohlen. Geschickt spricht der Autor mit dem Drogentod von Richards Onkel Michael eine für sich sprechende eindeutige Warnung aus, Marihuana und andere Drogen nicht als Hilfsmittel zur Entspannung oder als vermeintlicher Problemlöser zu gebrauchen.

In einem runden, schlüssigen Bogen entwickelt sich der problematische Familienhintergrund von Richards Vater und seinem Bruder, bei dem auch Michaels Freundin Willow bis in die Gegenwart eine wichtige Rolle im Leben der Familie spielt.

Die Zeitsprünge beschränken sich auf den Anfang und den Schluss des Romans und dankenswert wie konsequent  verzichtet der Autor darauf, die Gegenwart durch Veränderungen in der Vergangenheit beeinflussen zu wollen.

Meine Generation ist zur Zeit von Woodstock entstanden und dieser Roman ist ein verrückt-ernster Lesepaß,  der diese ambivalente Zeit zwischen psychedelischer Glückseligkeit und der Präsenz des Vietnam-Krieges mit der ständigen Angst vor dem Einzug zum Kriegsdienst lebendig wiederbelebt.

Ein besonderes Buch, das mit einem ganz besonderen Humor hinter der Kulisse des Woodstockfestivals die angespannte politische Lage und eine schwierige Familiengeschichte klug durchdacht und raffiniert verbindet.

Gerda Bean hat auch dieses Buch perfekt im Ton übersetzt.

Das Cover ist wie die Geschichte: Total verrückt, bunt und trotzdem mit der Jimi Hendrix-Gitarre in der Mitte in seiner Aussage eindeutig und klar.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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