Altes Land

Altes Land von Doerte Hansen

Dörte Hansen

Knaus, Februar 2015

288 Seiten, € 19,99

ab 16 Jahre

 

 

 

Immer wieder einmal stelle ich auf „Bücher leben!“ gerne einen Roman aus der „Erwachsenen“-Belletristik vor, wenn er mir gefällt und im weitesten Sinne „Familienleben“ beschreibt, denn wo Kinder sind, ist Familie in der Regel nicht fern.

So bin ich auf „Altes Land“, der Journalistin Dörte Hansen gestoßen. Der Roman ist seit Februar auf dem Markt und steht momentan auf Platz Zwei der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Dörte Hansen ist in Husum, Nordfriesland geboren und aufgewachsen, hat viele Jahre als Journalistin in Hamburg (Ottensen) gelebt, bevor sie 2005 ins Alte Land gezogen ist. Weil sie sich über die Flut von Landbüchern ärgerte, die von Stadtmenschen mit arrogantem und oberflächlichen Blick über die „knorrig-kauzigen“ Menschen vom und das Leben auf dem Land schreiben, erzählt Dörte Hansen in ihrem Roman ihre Idee vom Landleben, die sich von der gewollten, romantisch-verklärten Landromanidylle literarisch und inhaltlich großartig abhebt.

Vera strandet als kleines Kind während des zweiten Weltkrieges mit ihrer Mutter, einer Sängerin aus Ostpreußen, auf dem Hof von Ida Eckhoff im Alten Land. Für Ida Eckhoff ist sie nur das Kind von Polacken. Ein langer Kampf zwischen Veras Mutter und der Hofbesitzerin Ida Eckhoff beginnt, den die Mutter gewinnt – allerdings für einen hohen Preis. Sie verlässt eines Tages mit einem neuen, wohlhabenden Mann den Hof, zieht nach Hamburg und lässt Vera bei Karl, dem Sohn von Ida Eckhoff, zurück. Der kümmert sich liebevoll um das kleine Mädchen und sorgt für dafür, dass aus ihr etwas „anständiges“ wird. Obwohl Vera nie warm und heimisch mit dem großen alten Hof wird, bleibt sie dort  und schafft es nicht, ihn und Karl zu verlassen.

Anne, eine junge Frau Anfang Zwanzig, ist die Nichte von Vera und verdient ihr Geld als desillusionierte und frustrierte Flötenlehrerin in einer privaten Musikschule im angesagten Szene-Viertel Hamburg-Ottensen.  Als sie ihren Lebensgefährten, einem erfolgslosen Schriftsteller, inflagranti überrascht, kommt sie mit dem Leben in dem Schicki-Micki-Viertel nicht mehr zurecht und flieht mit ihrem kleinen Sohn Leon zu ihrer Tante aufs Alte Land. Hier hofft sie, Ruhe zu finden und sich neu zu sortieren.                 Mehr als ein halbes Jahrhundert später stehen also wieder zwei Flüchtlinge vor diesem Gut und hoffen auf Schutz und Zuflucht – und diesmal liegt es an Vera, ob sie diesen zu geben vermag.

Zwei völlig verschiedene Frauen unterschiedlicher Generationen einer Familie treffen in diesem großen, immer mehr verfallenden Hof aufeinander. So wie der Hof an allen Ecken und Enden knarrt und knirscht, reiben sich auch die beiden Leben der Frauen aneinander. Beide suchen Heimat, Zuflucht und Schutz.

Das ist der Haupterzählstrang, um den die Autorin raffiniert, klug andere Geschichten und Figuren mit einfließen lässt, die sie meisterhaft letztlich schlüssig miteinander verbindet. Die Suche nach Heimat ist das Kernthema der Familiengeschichte. Die „klassische“ Heimat  „im Schoß der Familie“ funktioniert bei den meisten Figuren nicht, ebenso die Heimatsuche, die mit einem bestimmten Ort verbunden ist. So finden Vera und Anne, Heinrich Lührs, Marlene und auch andere Nebenfiguren ihre Heimat in der Beziehung miteinander bzw. mit dem anderen. Es ist eine ganz eigene Art von Heimat, die nicht schlechter sein muss, als die scheinbar konventionell benannte, denn sie tut den Personen gut.

Es ist eine traurige Familiengeschichte, die durch die, ja, man könnte sagen sachlich-nüchterne und ironische Sprache (die auflachen lässt) eine Balance hält, die mit Feingefühl fesselt.

Ohne zu verletzen oder lächerlich zu machen, beschreibt Dörte Hansen das arrogante und besserwisserische Verhalten der Stadtmenschen, die aufs Land ziehen und in Manufactum-Kleidung in kürzester Zeit den Landeiern sagen, was sie all die Jahre über falsch gemacht haben und wie es richtig geht. Auch das trendige Szeneleben der elitären Hamburg-Ottenser Bildungseltern wird herrlich lakonisch und ohne Übertreibung auf den Punkt gebracht, wunderbar.

Komplex und intensiv ist die Familiengeschichte, in der ein Konflikt über Generationen hinweg weitergetragen wird und ein alter, eindrucksvoller Gutshof, vor dem sich die Bewohner fürchten und sich dennoch nicht von ihm trennen können, im Mittelpunkt steht. Es ist eine Geschichte über das norddeutsche Landleben von einer Norddeutschen, die schon lange auf dem Land lebt, authentisch und ungeschönt. Dörte Hansen schafft es meisterhaft zu erzählen, warum sich ein Mensch zu der Person entwickelt, der er ist. Das Ende bleibt offen und das ist gut so.

Ein beeindruckendes Debüt und literarische Perle der Journalistin Dörte Hansen, die man als Buchautorin im Auge behalten sollte.

 „Kiek man nich hen“ ist bei ihr jedenfalls nicht angesagt, vielmehr: „Kiek mal wedder in!“

Das Cover: Ein Aufstöhnen  vorweg: Ein riesiger Vogel auf einem Ast, ein paar rote Äpfel im Hintergrund – eine Kombination, die vielleicht „Altes Land“ symbolisieren wollen, aber leider optisch dem Inhalt nicht gerecht werden.

Sabine Hoß

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