Der Letzte von uns

Adélaïde de Clermont-Tonnerre

Aus dem Französischen von Amelie Thoma

Rütten & Loening (Aufbau), Februar 2018

464 Seiten, € 18,00

 

 

 

Wenn ein Roman in der Presse mit Sätzen wie „Ein Stoff, aus dem eine Saga gemacht ist“ (lt. Verlag die Zeitschrift „Elle“) gehypt wird und tatsächlich eine Leseprobe neugierig macht, ist man umso gespannter auf den Inhalt.

„Der Letzte von uns“ spielt in zwei Zeitebenen. In neutraler Erzählform beginnt die Geschichte in Dresden 1945. In den letzten Kriegstagen wird die Stadt im Bombenhagel dem Erdboden gleich gemacht und die schwer verwundete junge Frau Luisa bringt durch Kaiserschnitt ihr Baby zur Welt und kurz bevor sie daraufhin stirbt, gibt sie dem Jungen den Namen Werner Zilch und macht darauf aufmerksam, dass er „der letzte von uns ist“ und man ihre Schwägerin Martha Engerer in Dresden suchen soll.

Die zweite Zeitebene spielt Anfang der siebziger Jahre in New York. Der Ich-Erzähler Werner Zilch ist mittlerweile Mitte Zwanzig und gemeinsam mit seinem besten Freund Marcus betreibt er ein Architekturbüro, dass nach ersten Erfolgen gerade in einer Schieflage hängt. Als kleines Kind wurde er adoptiert und seine Eltern haben ihn mit sehr viel Liebe und Wärme großgezogen. In einem Restaurant trifft der gutaussehende junge Mann eine noch besser aussehende und offenbar aus reichem Haus stammende junge Frau, in die er sich auf den ersten Blick unsterblich verliebt. Mit unkonventionellen aber äußerst wirkungsvollen Maßnahmen gelingt es ihm, die etwas störrisch wirkende Rebecca für sich zu gewinnen und eine in jeder Hinsicht leidenschaftliche Beziehung entwickelt sich zwischen den beiden. Es dauert eine Weile, bis Werner die Eltern von Rebecca kennenlernt. Ihr Vater ist rasend vor Eifersucht und lässt Werner kalt abblitzen. Als Rebeccas Mutter ihn zum ersten Mal gegenübersteht, bricht sie zusammen. Werner hat keine Ahnung, warum die mit Schmuck überladene Frau so reagiert und warum kurz nach diesem Treffen Rebecca wie vom Erdboden verschwindet. Einige Monate später taucht sie wieder traumatisiert bei Werner auf. Es dauert lange, bis sie sich öffnet und die Hintergründe ihres Verschwindens und damit auch ein Stück weit die Geschichte ihrer Mutter sowie den Grund über ihren Zusammenbruch bei Werner Anblicks erzählt. Im späteren Verlauf der Handlung fügen sich die Erzählstränge aus Vergangenheit und Gegenwart zusammen.

Die Grundidee der Geschichte ist interessant. Während die Erzählungen aus der Vergangenheit durchaus spannend und nachvollziehbar aufgebaut sind, kämpft man sich mit Werner als Ich-Erzähler durch die Siebziger Jahre. Es fällt schwer, einen Bezug zu dieser Figur zu bekommen. Werner ist ein dandyhafter Typ, dem die Frauen so zufliegen und er das auch weitlich ausnutzt. Seinem beruflichen Erfolg, den er sich gemeinsam mit seinem besten Freund Marcus von ganz unten erarbeitet hat, ist er sich sehr bewusst und wird nicht nur dadurch im Laufe der Geschichte zunehmend arroganter, egoistischer und damit unausstehlich. Eigenschaften, die den Leser ihn nicht für sich gewinnen lassen.

Seine fast schon krankhafte Liebe zu Rebecca wirkt irgendwann nur noch enervierend. Rebecca ist eine verwöhnte junge Frau aus wohlhabenden Haus, deren Familie durch die grauenhaften Erlebnisse der Mutter mit einem Trauma leben muss. Auch sie ist dadurch belastet und versucht sich und ihre Mutter aus diesem Gefängnis zu befreien. Doch der Weg dorthin und die Auflösung sind konstruiert und wenig nachvollziehbar.

Hinzu kommt die unnahbare Erzählweise von Werner, die eine Atmosphäre zwischen bemühten Schulaufsatz mit Thema „ich schreibe ein Tagebuch“ und Liebesschmonzette ausstrahlt. Seine ständig wiederholenden glühenden Ausrufen von „meine große Liebe“ oder „die Liebe meines Lebens“ an Stellen, die einfach unpassend sind, irritieren und eine immer stetig wachsende Antipathie gegen ihn sind die wenigen Emotionen, die er transportiert. Hinzu kommen die ausufernden und sich ebenfalls wiederholenden Beschreibungen seiner ständig neu akquirierten Bauprojekten.

Im Laufe der Handlung fügen sich die Vergangenheit und Gegenwart der siebziger Jahre zusammen, gelungen ist es aber nicht. Zwar werden die zeitlichen Stränge und Personen verbunden und Fragen beantwortet, doch zu sehr wird auf Kosten völlig überzogener und nicht immer plausibler Effekthascherei, plötzlich wiedergefundenen Personen und völlig absurden, dramatischen Begegnungen ein bizarres „happy end“ konstruiert.

Während der historische Abschnitt durchaus bewegend und fesselnd erzählt wird, bleiben die Personen aus der Ich-erzählenden Perspektive oberflächlich bis unsympathisch und der Funke springt mit einer ermüdenden, emotional blassen Sprache nicht über.

Auf welcher Grundlage die überschwenglichen Rezensionen, wie die eingangsbeschriebene, ihre Begeisterung finden, ist rätselhaft, denn weder handwerklich noch sprachlich ist dieser Roman „ein Stoff, aus dem eine Saga gemacht ist.“

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

 

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