Going Zero

Anthony McCarten

Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié

Diogenes,  26. April 2023

464 Seiten, € 25,00

 

 

 

Cy Baxter ist Inhaber des großen Social Media Konzerns „Worldshare“ in den USA. Seine Lebensgefährtin Erika hat die Untergesellschaft „Fusion“ gegründet, die sämtliche erreichbaren Daten von Personen in den USA sammelt, diese auswertet und daraus ein exaktes Profil eines Menschen erstellen kann.

Mit der NSA respektive der amerikanischen Regierung wettet Cy Baxter, dass er zehn Menschen, davon fünf Profis aus dem Umfeld der Geheim- und Sicherheitsdienste und fünf Laien, innerhalb von 30 Tagen mit seinen Überwachungs-Programmen aufspüren wird. Jeder, der nicht gefunden wird, erhält drei Millionen Dollar Belohnung. Werden jedoch alle zehn Personen im Rahmen des Betatest von „Fusion“ gefunden, erhält das Unternehmen von der Regierung den 90 Millarden schweren Auftrag, künftig die Geheimdienste mit ihren Programmen zu unterstützen, um zukünftige Gewalttäter vor ihren Terrorakten ausfindig zu machen und auszuschalten.

Während dieser 30 Tage stehen sich die NSA und Cy Baxter mit seiner Gefährtin Erika als Rivalen feindselig gegenüber, denn jeder glaubt an den eigenen Erfolg bzw. an das Scheitern des anderen. Während in den ersten zehn Tagen die ersten neun Probanden mit schrägen bis herrlich einfallslosen Verstecken schnell gefunden werden, gibt es auch Kaitlyn, eine unauffällige Bibliothekarin, die Cy Baxter total unterschätzt und die ihn mit immer neuen Haken und Wendungen an der Nase herumführt. In der Mitte des Buches entwickelt sich die zweite Handlungsebene mit Intrigen der militärischen Geheimdienste im nahen Osten, die von der amerikanischen Regierung verdeckt werden. Inwiefern die Bibliothekarin Kaitlyn damit in Zusammenhang steht, wird im Laufe der Geschichte immer deutlicher und stellt Cy Baxter mit „Worldshare“ und „Fusion“ vor einer harten Zerreißprobe.

Dem vielseitigen Autor von Büchern und Drehbüchern Antony McCarten ist ein von der ersten bis zur letzten Seite blutfreier und dennoch hochspannender politischer und gesellschaftskritischer Thriller gelungen. Er zeigt, wie wenig wir Einfluss darauf haben, wie gläsern und überwacht wir bereits sind bzw. wir in Zukunft sicher noch werden. Ein Projekt wie „Fusion“ wirkt auf den ersten Blick vielleicht noch unrealistisch, doch man ahnt, dass vieles schon in der Wirklichkeit umgesetzt wird. Gesichtserkennung, Ortungssysteme, die heute schon alltagstauglich genutzt werden, wie auch noch der unrealistische Fernseher mit heimlich eingebauter Kamera, sind nur ein kleiner Teil der Werkzeuge, die „Fusion“ zur Datensammlung der Menschen einsetzt. So wird ein Proband nur daran erkannt und gefasst, weil er an einer Tankstelle vor seinem Lieblingsbier und seinen Lieblingskeksen zögert und zum vermeintlichen Verschleiern andere Sorten kauft, was ihn enttarnt. Denn: „Menschen ändern ihren Gewohnheiten nicht.“

Zu der Protagonistin Kaitlyn baut man im Laufe der Story eine immer enger werdende Verbindung auf, sie nimmt den Leser mit Tempo und immer wieder neuen Wendungen auf eine atemlose und fesselnde Jagd mit.

Antony McCarten ist eine nachdenklich machende Verbindung von realen und eingesetzten Überwachungssystemen und dem Ausblick von zukünftigen gelungen. Immer mehr Überwachung bedeutet immer weniger persönliche Freiheit und einen Einschnitt in ein demokratisches Leben. Den Missbrauch von gesammelten Daten erleben wir bereits heute immer wieder.

Eigentlich wurde das Programm „Fusion“ entwickelt, um Gewalttäter vor ihrer Tat zu entlarven und auszuschalten, da Erikas Bruder einige Jahre zuvor einem Attentat zum Opfer fiel. Man würde gerne von einem Science-Fiction-Thriller reden, doch dem Autor hat wahrscheinlich in seinem Schreibprozess die Realität eingeholt – was sehr beängstigend ist.

Mit Kaitlyn bleibt die Hoffnung, doch ein raffiniertes Versteck vor der totalen Überwachung zu finden.

Sabine Wagner

 

Dieser Beitrag wurde unter 5 Bücher, Autoren, Autoren L - O, Bestenliste veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentare sind geschlossen.