Last Night At The Telegraph Club

Malinda Lo

Aus dem amerikanischen Englisch von Beate Schäfer

dtv, 20.04.2023

448 Seiten, € 19,00

ab 14 Jahre

 

 

San Francisco, 1954. Die siebzehn Jahre alte Lily Hu ist in San Francisco geboren und wächst in Chinatown mit ihren beiden jüngeren Brüdern auf. Der Vater ist Arzt in einem chinesischen Krankenhaus in Chinatown, die Mutter arbeitet als Krankenschwester. Als hervorragende Schülerin ist Lily auf der Highschool in einer Clique mit chinesischen Freundinnen eingebunden, zuhause folgt sie dem konservativen Benehmen und strengen Regeln, die ihre Eltern und die chinesische Community ihr vorgeben. Lily interessiert sich leidenschaftlich für die Raumfahrt und würde gerne später beruflich auf diesem Gebiet arbeiten. Doch weder ihre Freundinnen können damit etwas anfangen, noch stößt Lily auf Verständnis ihrer Eltern. Nur von ihrer Tante Judy, die als Mathematikerin beim Jet Propulsion Laboratory angestellt ist, wird Lily ernst genommen und kann sich mit ihr austauschen. Sie ist die einzige, die ihr Mut macht, ihren Berufswunsch in die Realität umzusetzen.
Während ihre Schulfreundinnen sich für Mode und Jungs interessieren, ihre beste Freundin Shirley vorhat, als Kandidatin beim „Miss-Chinatown-Wettbewerb“ mitzumachen und Lily sie als engste Unterstützerin bittet, interessiert sich diese mehr für ein wissenschaftliches Schulprojekt. Bei diesem Projekt lernt sie Kathleen Miller näher kennen. Obwohl sie schon einige Jahre in der gleichen Klasse sind, stellen sie erst durch das wissenschaftliche Projekt fest, dass sie gemeinsame Interessen und berufliche Vorstellungen haben. Kathleen interessiert sich für die Fliegerei und will Pilotin werden und kann daher Lily `s Leidenschaft für die Raumfahrt nachvollziehen. Die beiden jungen Frauen freunden sich an und stellen im Laufe der Zeit fest, dass sie nicht nur die wissenschaftlichen Interessen und ähnlichen Berufswünsche miteinander teilen, sondern auch Gefühle füreinander haben, die über eine Freundschaft weit hinausgehen.

Vor kurzem hat Lily einen Zeitungsausschnitt mit einer Anzeige für den „Telegraph Club“ gefunden, in dem Tommy Andrews als Herrenimitatorin auftritt. Fasziniert vom Foto der Darstellerin versteckt sie die Anzeige vor den Augen ihrer Eltern und Geschwister, aber auch vor ihren Freundinnen. Als Lily in einem kleinen Laden ein Taschenbuch entdeckt, in dem sich zwei Frauen lieben, aber ihre Liebe verstecken müssen, fühlt sich Lily erregt und liest dieses Buch in Etappen versteckt in einer Ecke des Ladens, denn der Kauf dieses Buches verbietet sich für sie.
Durch Kath bekommt Lily die Möglichkeit den „Telegraph Club“ und eine Vorstellung mit Tommy Andrews zu besuchen. Sie taucht in dem Club in eine völlig andere Welt ein, in der Frauen ihre Liebe zueinander offen zeigen können, denn öffentlich droht ihnen die Verfolgung und Verhaftung. Kath macht Lily Mut zu ihren Gefühlen zu stehen, denn auch sie hat sich in Lily verliebt. Trotz Lily`s Versuche, ihre Gefühle zu verdrängen, ist ihre Liebe zu Kath stärker. Dennoch müssen sie sich heimlich treffen, denn sie dürfen ihre Liebe nicht öffentlich bekannt machen, denn Lily weiß, dass ihre Familie das nicht verstehen würde.
Als im „Telegraph Club“ eine Razzia stattfindet, viele Besucherinnen verhaftet werden und der Club geschlossen wird, waren auch Kath und Lily unter den Gästen. Während Kath ebenfalls verhaftet wird, konnte Lily fliehen. Die beiden werden getrennt und Lily`s Eltern erfahren über Dritte, dass ihre Tochter nach der Razzia vor dem Club gesehen wurde.
Lily muss sich entscheiden, ob sie für ihre wahren Gefühle und Liebe zu Kath einstehen will und gleichzeitig die Kraft für die Ablehnung ihrer Eltern und Verstoß aus der Familie hat, oder nach den Wertvorstellungen der damaligen Gesellschaft und chinesischen Kultur zu leben und sich selbst zu belügen.

Malinda Lo ist ein fesselnder und intensiv erzählter Roman gelungen, der einen Rückblick in ein San Francisco gibt, das Mitte der Fünfziger Jahre noch fern von der Stadt ist, die später als Anziehungspunkt für Homosexuelle bekannt wurde. Emphatisch wird das verzweifelte Gefühlschaos von Lily und die heimliche Faszination und Neigung für die Liebe zwischen Frauen beleuchtet, verbunden mit der Angst, sich diesen Gefühlen zu stellen, selbst als diese erwidert werden. Mit zeitlichen Sprüngen, in denen unter anderem das Kennenlernen von Lily`s Eltern erzählt wird, rückt die Autorin immer wieder Zeitblenden ein, in der sie geschickt die wichtigsten Stationen der Romanfiguren mit historischen Begebenheiten verbindet. Die sympathische Figur Lily, die sich im Laufe der Geschichte immer weiter entwickelt, muss sich dem gesellschaftlichen wie politischen Hintergrund und Wertvorstellungen des Amerikas Mitte der Fünfziger Jahre stellen, wie sich ebenfalls in die der chinesischen Community einfügen. Das bedeutet eine schwierige Balance, die zu ständigen Spannungen führt.
Unter dem Hintergrund der Interkulturalität und der damals unter Strafe stehenden Homosexualität hat Malinda Lo einen bewegenden Roman geschrieben, der in einer historisch genauen Sprache (Übersetzung Beate Schäfer) das politisch-gesellschaftliche  und lesbische Leben in Amerika Mitte der Fünfziger Jahre beeindruckend darstellt. Vieles davon darf man sicher heute als nicht selbstverständlich bekannt annehmen.
In einem Nachwort erläutert die Autorin ausführlich Anmerkungen zur Sprache, zu Chinatown und den Chinesen in Amerika, zu lesbischen Leben und Genderfragen zu dieser Zeit.

Ein wunderschönes Cover rundet das Buch mit dem Original-Titel hervorragend ab.

Das Buch ist als Jugendbuch bei dtv erschienen, es ist aber auch für Erwachsene eine absolute Leseempfehlung.

Sabine Wagner

 

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