Ia Genberg
Aus dem Schwedischen übersetzt von Stefan Pluschkat
Rowohlt Verlag, 15.08.2023
144 Seiten, € 22,00
Das Buch handelt von vier verschiedenen Beziehungen, die das Leben der Ich-Erzählerin ein Stück weit begleitet, beeinflusst sowie geprägt haben und die am Ende alle aus verschiedenen Gründen beendet wurden.
Die erste Geschichte setzt sich mit der Liebesbeziehung mit Johanna auseinander. Als die Ich-Erzählerin während einer fiebrigen Erkrankung nach langer Zeit wieder das Buch „Stadt aus Glas“ von Paul Auster liest, wird sie durch die Widmung von Johanna an die Zeit ihrer Beziehung während ihres gemeinsamen Studiums erinnert. Während sie das Buch in den Bann zieht, wird auch die intensive wie anstrengende Beziehung zu Johanna erneut lebendig. Eine Beziehung, die sie dominiert und klein gemacht hat und in der sie erst spät die Ambivalenz ihrer Geliebten und ihre Fähigkeit, eine Kälte als Werkzeug zu benutzen, erkannt hat.
Die zweite Beziehung, ebenfalls während des Studiums, ist mit Niki. Eine junge Frau, die in einer chaotischen, verdreckten, unordentlichen Einzimmerwohnung haust, in der die Ich-Erzählerin mit einer Matratze und Rucksack einzieht. Die beiden Frauen lieben Bücher über alles, teilen aber keine Liebesbeziehung sondern sie verbindet eine Freundschaft. Die Freundschaft hängt nur noch an einem seidenen Faden, als Niki von heute auf morgen mit einem Blechner und Schwarzbrenner nach Dublin abhaut. Die Ich-Erzählerin atmet auf, denn jetzt kann sie die kleine Wohnung auf Vordermann bringen und „in Ruhe“ dort leben. Als Nikis Vater sie bittet, seine Tochter zu suchen, da sie den Kontakt zu den Eltern abgebrochen hat und ihre Mutter im Sterben liegt, zögert die Erzählerin zunächst, macht sich dann aber doch auf die Suche. Sie findet Niki, doch das Wiedersehen endet in einer lautstarken Auseinandersetzung in einem Treppenhaus, die die Freundschaft und Beziehung zu ihrer Freundin für die Erzählerin in eine völlig neue Perspektive rückt.
Alejandro ist die einzige Beziehung zu einem Mann, dem die Erzählerin verfallen ist. Er ist ein begnadeter Tänzer, der lediglich mit einem Tamburin in der Hand die Band „Zombie Woof“ mit seinen hingebungsvollen Bewegungen komplett macht. Doch nach leidenschaftlicher Liebe, Begehren sucht die junge Frau auch nach Vertrauen und Sicherheit, die sie bei Alejandro nicht wirklich findet, es aber lange dauert, sich das einzugestehen.
Brigitte ist die Mutter der Erzählerin und die letzte Beziehung, die die sie kritisch beäugt. Eine Frau, die psychisch krank ist und sich an der Seite ihres Mannes und ihrer beiden Kinder in ihrer eigenen („Unter“-)Welt durch das Leben laviert. Ein Familienleben, das für alle belastend und Drahtseilakt ist.
So unterschiedlich diese vier Beziehungen aus lang vergangener Zeit sind, an die sich die Ich-Erzählerin in einem autofiktionalen Ton erinnert, so psychologisch dicht und mit messerscharfer Klarheit werden sie sprachlich auseinandergenommen. Mit einem ganz eigenen melancholischen Stil (Übersetzung Stefan Pluschkat), bei dem jedes Wort präzise und mit Sorgfalt gewählt ist, beleuchtet die Schriftstellerin auf kompakte Weise die Liebesbeziehungen und Freundschaften und geht gleichermaßen schonungslos selbstkritisch mit sich um. Es sind gerade „die Details“ in den Beziehungen, mit denen sich die Autorin mit vielen klugen und nachdenklich machenden Gedanken philosophisch auseinandersetzt.
Die Liebe zur Literatur zieht sich wie ein roter Faden durch alle Beziehungen, denn unterschiedliche Autoren und Autorinnen mit ihren Werken sind Bestandteil aller Beziehungen, „ein Detail“, das alle verbindet.
Außergewöhnlich ist die Tatsache, wie selbstverständlich die Autorin die Bisexualität der Ich-Erzählerin in ihren Beziehungsgeschichten darstellt, ohne sie in den Vordergrund zu rücken.
Da alle vier skurrile Beziehungs-Personen am Ende nicht mehr im Leben der Erzählerin sind, ist es auch ein Buch über Verlust. Aber es gibt auch Sally, die als konstante Figur die Erzählerin durch alle Beziehungen begleitet und bei ihr bleibt.
Außergewöhnliche bisexuelle Beziehungsporträts werden in einem klugen, messerscharfen Ton (selbst-)kritisch betrachtet, wobei die queere Sexualität beeindruckend unprätentiös bleibt, was ich großartig finde.
Ian Genberg, Jahrgang 1967, lebt in Stockholm und arbeitet als Journalistin, Autorin und Krankenschwester. Sie wurde für dieses Buch, ihr vierter Roman, mit dem bedeutenden schwedischen Literaturpreis „Augustpriset“ sowie dem „Aftonbladet-Literaturpreis“ ausgezeichnet.
Sabine Wagner