Seit er sein Leben mit einem Tier teilt

Bodo Kirchhoff

dtv, ET 11.01.2024

384 Seiten, € 24,00

 

 

 

 

Es ist Ferragosto, Mariä Himmelfahrt, eines der höchsten Feiertage mit Ferienzeit in Italien. Louis Arthur Schongauer, kurz L.A. Schongauer, 74 Jahre alt und ein knochiger, aber immer noch charismatischer älterer Herr, lebt seit dem tödlichen Badeunfall seiner Frau Magda vor fünf Jahren mit seiner Hündin Ascha in einem kleinen Haus inmitten eines Olivenhains oberhalb des Gardasees . Magda wollte kurz vor ihrem Tod das Häuschen verkaufen und Schongauer ist jetzt dankbar, dass er einen ruhigen Rückzugsort für sich hat. In Los Angeles lernte er Magda kennen, die sich im Laufe der Zeit einen hervorragenden Ruf mit ihren Reportagen und Tierfotografien machte. Bevor er seine Frau bei ihren Fotoreisen begleitete, hat er in Hollywood-Filmen als „Supporting German Characters“ in Nebenrollen als Bösewicht und Nazi sein Geld verdient. Schongauer, der Herzkrank ist und vor kurzem einen Stent erhalten hat, muss sich im Laufe der Geschichte mit der Tatsache auseinandersetzen, dass seine geliebte Hündin ihn wohl überleben wird.

Frida, eine junge Frau Mitte Zwanzig und Reisebloggerin, strandet mit ihrem Wohnmobil fehlgeleitet vom Navigationsgerät und mit einem stotternden Motor in seinem Hain und in seiner Einfahrt. Schongauer ist alles andere als erfreut über diese Störung, denn erstens mag er grundsätzlich keine Unruhe in seinem bewusst gewählten einsamen Leben und zweitens erwartet er eine Journalistin, die ein Porträt über ihn schreiben will. Das schmeichelt ihn natürlich, andererseits fragt er sich, wer sich noch an ihn erinnern wird.
Da Fridas Wohnmobil sich partout nicht mehr bewegen will, gibt Schongauer ihr und ihrem Gefährt Asyl und bietet Frida an, sich um jemanden zu kümmern, der sich den Motor anschaut, was aber erst nach Ferragosto und den arbeitsfreien Tagen geschehen wird. Obwohl Schongauer sich schon jetzt mit der jugendlichen Unbekümmertheit der jungen Frida überfordert fühlt, ist er gleichzeit ein wenig froh über diese unerwartete Störung jugendlicher Frische. Frida kümmert sich unaufdringlich aber zugewandt um ihn, versorgt Hündin und Herr mit Einkäufen und hat sofort einen guten Draht zu Ascha, für die beiden Liebe auf den ersten Blick.

Kurze Zeit später erscheint mit Verspätung die frei arbeitende Journalistin Almut Stein, eine gut situierte Mittvierzigerin, etwas zerzaust und abgehetzt mit Aufnahmegerät sowie einem Stapel Papiere voller Fragen für das Lebensporträt. Während sich Almut Frage für Frage in Schongauers Privat-Leben und seine Arbeiten als Schauspieler hineindrängt, fühlt sich dieser zwischen Anziehung und Distanz zu ihr hin- und hergerissen. Im Laufe der gemeinsamen Zeit mit der attraktiven Fragestellerin fühlt er sich immer mehr zu ihr hingezogen, empfindet aber gleichzeitig auch Gefühle für die junge Frida, die ihn auf ihre Weise zu seinem Leben befragt. Als dann noch Fridas Mutter, eine bekannte TV-Moderatorin auf der Bildfläche erscheint, um ihre Tochter zu besuchen, wogegen diese sich ergebnislos zu wehren versucht, muss sich Schongauer mit drei ganz unterschiedlichen Frauen unterschiedlichen Alters auseinandersetzen, was für ihn eine anstrengende Herausforderung wird.

Bodo Kirchhoff erzählt in seiner ganz eigenen Sprache, in einem melancholischen Ton  über das Leben eines 74-jährigen einsamen, ehemaligen Schauspielers mit seiner Hündin Ascha und der mehr oder weniger zufälligen Verbindungen zu drei Frauen, mit denen er zwischen Distanz und Anziehung kämpft. Die Handlung, die sich an nur wenigen Tagen mit einer nur langsamen Dynamik entwickelt, überrascht dennoch mit geschickten Wendungen. Mit farbenprächtigen Bildern beschreibt Bodo Kirchhoff den wunderschönen See mit seinen umschließenden Bergen samt Tierwelt. Da zirpen unüberhörbar, mal lauter, mal leiser die Zirkaden, die Hitze und ein starkes, donnergrollendes Gewitter transportiert er spürbar.

Es scheint derzeit bei älteren Autoren in ihren Storys beliebt zu sein, die Ehefrau bei einem Badeunfall sterben zu lassen, denn auch Paul Auster hat die Frau seines Protagonisten in seinem letzten Buch ebenfalls so gehen lassen. Doch im Gegensatz zu Austers „Baumgartner“ verfällt Kirchhoff nicht einen anhaltenden lamentierenden Jargon. Mit den teils sehr persönlichen, bisweilen schamlosen Fragen der Journalistin an Schongauer, gegen die er sich zwar zu wehren versucht, aber dennoch damit auseinander setzt, vertieft er sich in einen Lebensrückblick, in dem er lang verdrängtes, beschämendes, unausgesprochenes an die Oberfläche holt.

Jede Figur in diesem Roman ist auf ihre Weise auf der Suche nach persönlichem Ankommen, nach Geborgenheit und nach Zugehörigkeit. Als die drei Frauen zusammentreffen und Schongauer für sie kocht, empfand ich diese Gemeinschaft in dem Kreisen umeinander und in ihrer Auseinandersetzung doch recht konstruiert.
Obwohl Schongauer seit dem Tod seiner Frau vor fünf Jahren sein Leben nur noch mit der Hündin Ascha teilt und sie seine innigste Partnerin ist, spürte ich selten eine erkennbare Beziehung zwischen den beiden. Kirchhoff erzählt zwar von einer vertrauensvollen Partnerschaft, doch beschreibt er sie befremdlich distanziert, dafür schrammt er an anderen (wenigen) Stellen knapp am Kitsch vorbei.

Dennoch habe ich den Roman gerne und mit Spannung gelesen, die eigene literarische Sprache Kirchhoffs, die auf jede wörtliche Rede verzichtet, hat mich fasziniert. Bodo Kirchhoff, der selbst am Gardasee lebt und Hundebesitzer ist, breitet in seinem Roman ein Potpurri an Lebensthemen mit Lebensfragen aus, wie z.B. die widersprüchlichen Gefühle im Alter, Beziehungen zwischen Mann und Frau, Tochter und Mutter, Alt und Jung. Bodo Kirchhoff nimmt den Leser/die Leserin mit Schongauer, Almut und Frida auf eine spannende wie tiefgründige Retroperspektive mit, die sich nicht nur auf den 74-jährigen Schongauer bezieht, sondern auf alle Figuren.

Ein passendes Cover rundet das Buch ab.

Sabine Wagner

 

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