Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Susann Pásztor

Kiepenheuer & Witsch, Taschenbuch (ET 16.08.2018)

288 Seiten, € 12,00

 

 

 

 

Romane über den Tod und das Sterben befinden sich oft auf dem schmalen Grat zwischen distanzierter Sachlichkeit und trauriger Sentimentalität. Anders das vorliegende Buch von Susann Pásztor, die mit einer feinen stilsicheren Sprache und hervorragend ausgearbeiteten Figuren diese Themen in dem vorliegenden Roman präsentiert.

Karla Jenner-Garçia, 60 Jahre alt, erhält die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs mit einer Lebenserwartung von einem halben Jahr. Die alleinstehende Frau, die im Leben keine Begleitung wollte, entscheidet sich für die letzen Monate für einen Sterbebegleiter.
Fred Wiener, Mitte Vierzig und alleinerziehender Vater des 13-jährigen Phil hat soeben seine Ausbildung als Sterbebegleiter abgeschlossen und Karla ist seine erste eigene Begleitung. Unterschiedlichere Charaktere und Lebensentwürfe als diese beiden könnten nicht aufeinander treffen. Während Karla eine distanzierte, ihr Leben lang unabhängige und eigensinnige Frau mit einem schlagfertigen Humor ist, kämpft Fred Wiener mit Unsicherheiten, mangelndem Selbstbewusstsein und der Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens. Er hat kaum Freunde, sein Job als technischer Angestellter und die Aufgaben als alleinerziehender Vater sind seine beiden Lebenssäulen, die ihm auf Dauer zu wenig wurden und hat sich daher als Sterbebegleiter ausbilden lassen. Die erste Begegnung mit der spröden Karla führt mit seiner unsicheren Art fast zum Abbruch des Kontaktes, was Fred zunächst dennoch nicht entmutigt weiterzumachen.

Freds 13-jähriger Sohn Phil leidet unter seiner zu kleinen Größe für sein Alter und liebt Lyrik. Der introvertierte Teenager schreibt Gedichte und ist, wie sein Vater, ein Außenseiter in seiner Klasse. Phil würde gerne sein Taschengeld aufbessern und bespricht dies auch mit seinem Vater, hat aber noch keine konrekte Idee für die Umsetzung.

Als Karla in einem zweiten Gespräch Fred bittet, herauszufinden, wer für sie die unzähligen Fotos archiviert, die sie als Fotografin von der amerikanischen Rockgruppe „Grateful Dead“ und von vielen anderen weltbekannten Rockstars gemacht hat, da ihr diese Aufgabe mittlerweile zu anstrengend ist, bringt Fred seinen Sohn ins Spiel. Nach einem kurzen Kennenlernen ist Karla einverstanden und Phil kommt nun regelmäßig für die gut bezahlten Scan-Arbeiten. Auch wenn er dabei Karla nicht oft sieht und mit ihr spricht, lernen die beiden sich behutsam immer näher kennen und gegenseitig schätzen.
Bei Karlas Besuchen lernt Fred den Hausmeister Klaffke und die junge Frau Rona kennen, die ebenfalls in Karlas Mietshaus wohnen. Während Klaffke nichts von Karlas Erkrankung ahnte, kümmert sich Rona ein wenig um sie, wenn sie nicht in der Kneipe „Wohnzimmer“ kellnert, wo sie auch Karla kennengelernt hat. Die beiden entwickeln sich im Laufe der Geschichte zu einer wichtigen Verbindung zwischen Fred, Phil und Karla.

Als Fred Wiener in guter Absicht aber völlig übergriffig eine Aktion durchführt, bricht Karla den Kontakt mit ihm ab und kündigt ihm als Sterbebegleiter, während Phil weiterhin bei ihr die Arbeiten fortsetzt.
Diese Tatsache lässt Fred verzweifeln, wollte er doch nur Gutes tun und sieht sich als Versager in der Sterbebegleitung. Mit dieser Aktion vertieft sich auch die sprachlose Distanz zu Phil, der ihm vorwirft, dass er eigentlich seine Arbeit übernimmt. Selbst im Kreis der Sterbebegleiter-Supervision gehen die Meinungen über seine Tat auseinander.
Ein Zufall und der ihm zugewandte Hausmeister Klaffke gibt Fred Wiener eine zweite Chance. Fred nähert sich Karla immer näher an, während sie ihm gegenüber zugänglicher und offener wird. Da Karla in ihrem Leben immer unabhängig, eigensinnig und selbstbestimmt war, ist es für sie eine schwere und große Herausforderung, sich kurz vor ihrem Tod in eine Begleitung zu geben und dennoch eigenverantwortlich zu bleiben. Fred Wiener lernt mit dieser ersten Sterbebegleitung seine Ideen zurückzusetzen und sich auf Karla einzulassen, was ihn sowie seinen Sohn Phil auf ganz eigene Weise stärker, selbstbewusster werden lässt und beide enger miteinander verbindet.

Susann Pásztor zeigt mit starken Figuren, humorvollen, skurrilen und auch traurigen Szenen, die aber auf aufgesetzte Sentimentalität verzichten, wie nah Sterben und Tod am Leben sind. Man spürt bei ihrer unprätentiösen und dennoch emphatischen  Sprache, dass sie selber langjährige Erfahrung in der Sterbebegleitung hat. Gleichzeitig ist der Autorin auch eine starke Vater-Sohn-Geschichte gelungen.

Ich maße mir nicht an, zu sagen, dass dieser Roman, der traurig ist, aber bei dem ich während des Lesens durchaus geschmunzelt und bisweilen gelacht habe, die Angst vor dem Tod und dem Sterben nimmt. Dennoch gibt die berührende, kitschfreie Geschichte die tröstende Hoffnung, mit ein wenig Zeit und notwendigen Voraussetzungen die Möglichkeit zu haben, dem Tod und Sterbeprozess mit warmherziger Begleitung selbstbestimmt entgegenzusehen.
Das „Bild“ des geöffneten Fensters verbindet auf eine feine, leise Weise den Abschied vom Leben zum Tod in diesem großartigen Buch.

Der Roman wurde mit gleichnamigen Titel und hervorragenden Schauspielern 2022 verfilmt, das in Teilen völlig verfremdete Drehbuch kommt allerdings nicht ansatzweise an den Roman heran, wird an Stellen kitschig-sentimental, wo der Roman eine wohltuende Balance zeigt und hat mich enttäuscht.

Sabine Wagner

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