CRASH – Ins falsche Leben

Martyn Bedford

Aus dem Amerikanischen von Katharina Orgaß & Gerald Jung

dtv permium, Juli 2014

340 Seiten, € 12,90

 

 

Alex wacht verschlafen am Morgen auf. Es scheint ein Morgen wie immer zu sein, doch warum nennt ihn seine Mutter genervt „Philip“? Und wieso steht der Wecker nicht an seiner alten Stelle, wieso ist das Fenster nicht da, wo es sonst immer ist und warum schauen seine Vorhänge plötzlich ganz anders aus? Zunächst glaubt Alex noch, bei seinem Freund David, bei dem er den letzten Abend verbracht hat, übernachtet zu haben und deswegen so orientierungslos zu sein. Doch dem ist nicht so, denn es ist nicht Dezember und wenige Tage vor Weihnachten sondern ein strahlend hellerTag im Juni. Fassunglos begreift Alex, dass er im Körper von Philip steckt, jedoch mit seiner Alex-Seele, seinem Alex-Wesen. Völlig hilflos muss Alex sich nun mit seiner neuen Familie auseinander setzen, zu der statt eines jüngeren Bruders jetzt eine ältere Schwester Teri und der Hund Beagle gehört. Sein neues Zuhause ist in einem ganz anderen Landesteil und weder Teri noch ihre Eltern merken etwas von dieser Verwandlung, sie wundern sich nur manchmal über Alex/Philips neue Verhaltensweisen. Alex tastet sich wie ein Blinder an seinen neuen Körper und an das neue Leben, beides ist so ganz anders wie alles bisherige. Die Schule birgt die größte Gefahr, denn Flip, wie alle Philip nennen, scheint ein völlig anderer Charakter wie Alex zu sein: vorlaut, faul, oberflächlich, arrogant – und – er hat mindestens zwei Freundinnen. Letzteres fasziniert Alex zum einen, zum anderen überfordert es ihn komplett. Es beginnt ein gefährlicher Balanceakt, der Alex in unzählige schwierige Situationen bringt und einen täglichen Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Er versucht Kontakt mit seiner Mutter aufzunehmen, in der Hoffnung, dass sie ihren Alex auch im Körper eines anderen Jungen wiedererkennt. Dabei findet er heraus, dass er an dem Abend, als er von seinem Freund David auf dem Rückweg nach Hause war, durch einen Autounfall mit Fahrerflucht seit einem halben Jahr im Wachkoma liegt. Als er im Internet recherchiert und auch um Hilfe sucht, nimmt Rob Kontakt mit ihm auf. Er scheint der erste und einzige Mensch zu sein, der ihn ernst nimmt und versteht. Rob erklärt Alex, dass er ein „psychisch Evakuierter“ ist, das heißt, die Seele ist evakuiert. Was bedeutet, dass dies im Zustand des im Wachkoma liegenden Alex und des willkürlich ausgewählten Flip passiert ist. Alex will nun alles daran setzen, in seinen alten Körper wieder zurückzukehren, auch wenn Rob ihm immer wieder erklärt, dass dies nicht funktionieren wird. Er soll stattdessen für dieses neue Leben dankbar sein und versuchen, mit seinem Wesen weiterzuleben. Alex versucht dies zwar, scheitert aber immer wieder, weil er nur eins für ihn richtig ist: seine Seele in seinem Körper.

Rezension:

Körper- und Seelentausch sind immer wieder gerne Thema in Filmen und Büchern. Mal komödiantisch, mal als Fantasy- oder Science-Fiction-Geschichte verpackt. Martyn Bedford hat für seinen Thriller durchaus Science-Fiction Elemente gewählt, die einen nicht nur faszinieren sondern auch nachdenklich stimmen. Die Protagonisten sind lebendige Charaktere, denen man ihre reichhaltige Gefühlspalette von Hilflosigkeit, Verzweiflung, blinder Wut und Resignation in jeder Situation nachfühlen kann. Doch so rasant und ungeheuer spannend wie Martyn Bedford seinen Thriller aufgebaut hat, ist auch die Frage nach der Verbundenheit von Identität, Seele und Körper. Seine Idee der psychischen Evakuierung ist zwar übersinnlich, trotzdem beschreibt er sie fesselnd, dass sie zum Nachdenken über die Fragen anregt, was unsere Seele ausmacht, wie sie uns prägt und inwiefern sie mit unserer körperlichen Hülle verbunden ist. Diese Sinn-Fragen, verbunden mit Alex` nachvollziehbarer Zerrissenheit durch den Seelen- bzw. Körpertausch, sind die Leidthemen des Buches. Es erscheint wie  Horrorszenarien, wenn die Seele tatsächlich unter bestimmten Umständen in einen Körper „evakuiert“ werden könnte. Was macht uns als Menschen aus, was prägt uns, macht gibt uns unsere einmalige Identität? Wäre es denkbar, mit seiner Seele in einem völlig anderen Körper zu leben, der vorher ein ganz anderer Mensch in einem komplett anderen Leben gewesen ist? Der Körper und Charakter von Flip, in dem Alex nun feststeckt, ist so gegensätzlich zu seinem alten, wie das neue Familienleben, was einen zusätzlichen Reiz dieser Geschichte ausmacht und glaubhaft herausgearbeitet ist. Durch diesen Kontrast wird Alex sensibel für die Dinge, die für ihn wichtig sind und doch bisher mehr selbstverständlich erschienen. Rob ist die Schlüsselfigur für Alex. Der erste und einzige Verbündete, der seinen Albtraum teilt und weiß, wie er sich fühlt. Aber es gibt einen bedeutenden Unterschied, der beide trennt und an dem beinahe die Freundschaft zu scheitern droht. Bis zum Schluss bleibt ist diese Beziehung packend und mit kontroversen Emotionen gefüllt.

Martyn Bedford ist mit dieser science-fiction-übersinnlichen Seelenevakuierungsidee ein packender Thriller gelungen, der zum Nachdenken darüber anregt, wer sind wir und wenn ja, wodurch und in welcher Form.

Das Cover ist mit seinem großen, gecrashten neongelben- und grünen Schriftzug einfach und doch auffällig.

Die Übersetzung von Katharina Orgaß und Gerald Jung liest sich leicht, flüssig und gibt die zerreißende Sinn-Frage packend wieder.

Sabine Hoß

Bewertung:

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