Haifische kommen nicht an Land

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Karin Bruder

Petter Hammer Verlag, Februar 2015

208 Seiten, € 12,90

ab 10 Jahren

 

 

 

Obwohl durch die täglichen globalen Nachrichten die Welt in unseren Wohnzimmern und in unserem Alltag selbstverständlich präsent ist, können wir uns doch nicht wirklich ein völlig anderes Leben auf weit entfernten Kontinenten vorstellen. Was bedeutet es, Kind zu sein in Swasiland/Afrika oder in Nicaragua?

Joaquín, der Protagonist dieser Geschichte ist zwölf Jahre alt und lebt auf Ometepe, einer Vulkaninsel im Nicaraguasee, dem größten See Mittelamerikas. Sein Vater ist tot und er lebt zusammen mit seiner Mutter, Großmutter und fünf Schwestern in sehr ärmlichen Verhältnissen. Joaquín würde gerne in die Schule gehen, doch die kostet Geld und das fehlt an allen Ecken und Enden, dafür ist Hunger ein ständiger Begleiter. Joaquin nimmt alle möglichen Jobs an, um mit so wenigstens ein wenig Geld zu verdienen und zum Unterhalt der Familie beizutragen. Er arbeitet als Friedhofsgärtner, Kaffeepflücker, Mangoverkäufer. Zeit und Geld für den Schulbesuch bleibt dabei nicht übrig.

Durch eine Unachtsamkeit stolpert der Junge und schlägt sich das Knie blutig auf. Als er sich humpelnd zu Fuß auf den langen Weg nach Hause macht, hält plötzlich ein Jeep mit einem weißen Mann, einem Gringo, und einem hübschen blonden Mädchen neben ihm. Sie nehmen Joaquín mit in ein Krankenhaus, damit sein Knie versorgt werden kann. Auch wenn Joaquín zunächst misstrauisch auf Abstand geht, ist er doch von der Schönheit des Mädchens fasziniert. Sie heißt Rosa, ihr Vater arbeitet als Ethnologe und führt auf der Insel mit den Bewohnern Interviews gegen Bezahlung über ihr Leben und ihre Arbeit. Joaquín sieht hier seine Chance, neben seiner harten anderen Arbeit zusätzliches Geld zu verdienen, denn warum sollen nur Erwachsene etwas zu erzählen haben? Schließlich arbeitet auch er sehr hart und kann einiges erzählen. Rosas Vater ist einverstanden und so geht Joaquín nun überglücklich regelmäßig in sein Hotel zum Frühstücken und zum bezahlten Interview. Er freundet sich mit Rosa an und stellt fest, wie unterschiedlich sie sind. Als Rosa ihn mit einer Handvoll Geldscheinen auf dem Markt großzügig und ohne viel Gedanken zum Essen einlädt, erzählt sie ihm, dass sie ihn von ihrem Taschengeld einlädt, für das sie nicht arbeiten muss und nichts besonderes ist. Joaquín ist fassungslos. Mit dem Geld könnte er seine ganze Familie satt machen. Als er Rosas Vater die Sage über die Entstehung der Insel erzählen soll, hat er nicht den Mut zu gestehen, dass er sie nicht so genau kennt und erfindet fantasiereich etwas hinzu. Genau das wird ihm aber zum Verhängnis, als Antonio, der smarte Sohn des Hotelbesitzers, ihn in beschämender Weise bloßstellt und ihn in seiner Unwissenheit Rosa gegenüber vorführt. Diese stellt sich nicht schützend vor ihren Freund, sondern hakt nach und stellt ihn zweifelnd in Frage. Hinzu kommt, dass sie ihm vorhält, der Nicaraguasee sei sein Tellerrand, über den er nie hinausblicken würde. Tief in seiner Ehre und seinem Stolz verletzt haut Joaquín von Ometepe aufs Festland nach Moyogalpa ab. Dort trifft er auf Viktor. Ein seltsamer Junge, der ziemlich abgerissen aussieht und Joaquín trotzdem den Weg in ein neues Leben zeigt.

In einfühlsamer und doch klarer Sprache beschreibt Karin Bruder eingepackt in einer spannenden Abenteuergeschichte zwei ungleiche Kindheiten und die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen. Sensibel und doch aufmerksam zeigt sie hintergründig, mit wieviel Selbstverständlichkeit wir manche Dinge betrachten und damit gedankenlos umgehen.

Die Autorin will mit dieser Geschichte nicht, dass wir hier Verzicht üben, vielmehr macht sie beeindruckend und für Kinder verständlich klar, wie diese in anderen Ländern, auf anderen Kontinenten hart arbeiten müssen, um einfach nur zu überleben. Bruder beschreibt verständlich und nachvollziehbar, dass Joaquín durchaus seine Ärmlichkeit bewusst ist und das es bessere Lebensumstände gibt. Er kann damit leben, nicht aber mit dem Vorbehalt, er sei dumm. Joaquín ist ein Kind und eigentlich auf Unterstützung angewiesen, stattdessen unterstützt er seine Familie. Trotzdem ist er stolz auf seine Heimat, sein Umfeld und seine Familie. Ohne die moralische Keule zu schwingen, zeigt die Autorin, dass Rosa mit unüberlegter Präsenz von oben herab ihm seinen Stolz und seine Ehre nimmt.

Für uns ist es selbstverständlich, dass wir über den Tellerrand hinausschauen können und vergessen dabei, dass es für Menschen in andern Ländern, auf anderen Kontinenten nicht einmal selbstverständlich ist,  jeden Tag satt zu werden, geschweige denn, zur Schule gehen zu können.

Eine spannende Geschichte zweier völlig unterschiedlichen Kindheiten in unterschiedlichen Kulturen, in der beide Seiten voneinander viel lernen können.

Das Cover ist mit einem Bild der Insel Ometepe von der See aus fotografiert treffend gewählt.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

 

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