Warten auf Wind

Oskar Kroon

Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat

Hummelburg Verlag, Februar 2021

256 Seiten, € 12,99

ab 11 Jahren

 

 

Der 1980 geborene Autor Oskar Kroon arbeitete, bevor er sich zum Bäcker umschulen ließ, als Journalist. Offenbar war aber die Liebe zum Schreiben von Büchern stärker als die zu leckerem Backwerk, denn 2018 erschien sein erstes Kinderbuch in Schweden und  sein jetzt erstmalig ins Deutsche übersetzte Buch „Vänta på vind“ („Warten auf Wind“) erhielt 2019 den „Augustpriset“, den renommiertesten Kinder- und Jugendbuchpreis in Schweden.

Vinga ist eine Einzelgängerin, die mit ihren langen feuerroten Locken und Sommersprossen nirgendwo gesehen wird. In der Schule hat sie das Gefühl, das alles um sie herum passiert und sie kein Teil davon ist und sie auch dann nicht vermisst wird, selbst wenn sie krank zuhause im Bett liegt. Aber auch zuhause wird nur kurz „Hallo“ gesagt, wenn sie heimkommt, bevor man mit anderen Beschäftigungen weitermacht. Nur wenn sie Urlaub auf einer kleinen Insel bei ihrem Opa macht, der zehn Jahre lang kein Festland mehr betreten hat, lebt sie auf. Früher hat sie mit ihren Eltern gemeinsam bei ihm die Ferien verbracht, doch jetzt fährt sie alleine zu ihm. Vinga will, wie ihr Opa auch früher war, Seemann werden, denn sie liebt das Meer über alles. Auf der kleinen Insel kann sie sich in Abenteuern auf dem Meer und in der Liebe zu den Tieren unter Wasser verlieren und sich wegträumen. Und im Gegensatz zu ihren Eltern stellt Opa auch nicht immer so nervige Fragen und sie genießen beide eine stumme und dennoch intensive Unterhaltung.

Opa ist es auch, der Vinga Schatzkarten malt, ihr alles über die Tiere auf dem Land und unter Wasser beibringt und früher, als sie noch klein war, mit Kugelschreiber tolle Tattoos auf den Arm zeichnete, mit denen sich Vinga wie ein echter Seemann fühlte.

Dieses Jahr ist aber alles anders, denn bevor Vinga den Sommer bei ihrem Opa verbringt, haben sich die Eltern getrennt, da der Vater sich in eine andere Frau verliebt hat. Zu der schweren Trennung, unter der ihre Mutter genauso wie Vinga leidet, kommt noch hinzu, dass die neue Freundin ein Baby von ihrem Vater erwartet. Vinga muss sich nicht nur mit der Trennung auseinandersetzen, sondern auch mit der Tatsache, dass sie einen Halbbruder bekommt, was sie erst einmal ablehnt. Da kommen die Ferien bei Opa, weit weg von all den Problemen daheim, gerade richtig. Opa hat auch eine tolle Überraschung für sie: Eine kleine Schnigge, ein kleines Holzboot, das aber von Vinga und ihrem Opa noch seetüchtig gemacht werden muss.

Und plötzlich ist da Rut. Ein Mädchen, das so ganz anders ist, wie Vinga. Ein Mädchen wie ein Engel. Sie trägt ein langes, schwarzes Unterhemd und einen schwarzen Schlapphut, will berühmt werden und hasst das Meer. Trotz aller Unterschiede fühlt sich Vinga von Rut angezogen, fühlt ein prickelndes Kitzeln und Flattern im Bauch und weiß gar nicht, was mit ihr los ist. Erst langsam wird ihr klar, was das für Gefühle sind, die auch noch von Rut mit einem innigen Kuss erwidert werden. Doch bevor sie sich richtig mit Rut anfreunden kann, kommt ein Anruf von ihrer Mutter, dass sie unbedingt nach Hause kommen muss. Gemeinsam mit ihrem Opa setzen sie in einem fürchterlichen Sturm über aufs Festland und muss Rut ohne jede Nachricht auf der Insel lassen. Doch die Ferien sind noch nicht vorbei und so kehrt Vinga mit ihrem Opa zurück und noch einmal zeigt das Leben, dass Freude und Trauer ganz dicht beieinander liegen.

Die Ich-Erzählerin Vinga, die auf jeden aufgesetzten jugendlichen Jargon verzichtet und dennoch authentisch und humorvoll aus ihrem gerade ziemlich anstrengenden Leben erzählt, habe ich auf Anhieb ins Herz geschlossen.                                                                     Oskar Kroon ist es in dieser Geschichte mit kleinen Zeitschleifen mühelos auch für junge Leser gelungen, sich mit kompakten Themen auseinanderzusetzen: Der Trennung von Eltern, der Eifersucht und Ablehnung gegenüber einem neuen Partner/einer neuen Partnerin und der Tatsache, dass man plötzlich ein Halbgeschwisterchen dazubekommt sowie den Tod eines geliebten Menschen.

Dabei hat er den Teenager Vinga mit einer warmherzigen Sensibilität und Tiefe ausgearbeitet, zeigt aber auch bei den anderen Figuren ein wohlausgefeiltes Charisma. Oskar Kroon hat ein ausgezeichnetes Gespür für Gefühle und kleine Details, die zeigen, was einen Teenager verzweifeln lässt und traurig, einsam macht. Das kann ein neuer Lichterbogen sein, das Bemühen der Erwachsenen, sich „normal“ zu verhalten und dabei so ganz anders wie sonst zu sein oder die Tatsache, dass der Papa mit jedem Besuch Stück für Stück und mit jeder Mitnahme eines Buches oder Kleidungsstückes aus der ehemals gemeinsamen Wohnung verschwindet und so Vinga das Gefühl gibt, von ihrem Vater im Stich gelassen zu werden. Doch das schönste in dieser Sommergeschichte, die das Gefühlschaos zwischen Freude, Verzweiflung, Träumerei und Trauer eines Teenagers präsentiert, ist das zu sich selbst Finden von Vinga und ihre Erkenntnis, dass sie sich zum ersten Mal und auch noch in ein Mädchen verliebt hat. Und dass das völlig o.k. und normal ist.

Eine Sommergeschichte, die kompakte und schwierige Themen mit humorvoller, liebevoller Tiefe, aber auch mit einer ungewöhnlichen Leichtigkeit erzählt, die auch im tiefsten Winter zeigt, das es für Liebe verschiedene Wege gibt und dass man sich an alles gewöhnen kann, außer an Steine im Schuh.

Ein wunderbares Kinder- und Jugendbuchdebüt des schwedischen Oskar Kroon und ich frage mich einmal mehr, warum gerade den Schweden es immer wieder diese Balance gelingt, während bei uns diese Themen nicht selten mit einer gewissen Steifigkeit und Schwere und angehefteter moralischer Attitüde geschrieben werden.

Das meerblaue Cover mit dem verwischten „Wind“ passt perfekt.

Sabine Wagner

 

 

 

 

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