Nichts – was im Leben wichtig ist

Janne Teller

aus dem Dänischen übersetzt von Sigrid Engeler

Hanser, August 2010

144 Seiten, € 12,90

ab 14 Jahre

Inhalt:

Pierre Anthon hat beschlossen nicht mehr zur Schule zu gehen. Stattdessen sitzt er auf einem Ast in einem Pflaumenbaum und bespuckt seine Kameraden auf ihrem Schulweg mit Kernen und provozierenden Sprüchen. Sie hören täglich Sätze wie: „Das Leben ist die Mühe nicht wert. Es ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun als ob – und eben genau dabei der Beste zu sein.“ Oder „Wenn nichts etwas bedeutet, ist es besser, nichts zu tun, als etwas zu tun.“

Die Kinder sind genervt von Pierre Anthons schlauen Sprüchen und wollen ihm das Gegenteil beweisen, nämlich, dass es sehr wohl Dinge gibt, die eine Bedeutung haben. In einem stillgelegten alten Sägewerk sammeln sie zunächst  verschiedene Gegenstände, die vermeintlich eine Bedeutung haben. Doch das Zusammengetragene bringt eine magere Ausbeute wie eine kopflose Puppe, einem alten Gesangbuch oder Perlmuttkamm. Daher beschließen die Kinder, dass jeder etwas auf dem Berg der Bedeutung abgeben muss, was ihm persönlich sehr wichtig ist. Doch es bestimmt nicht jeder für sich, was für ein Opfer er abgibt sondern es wird für den anderen im rollierenden Verfahren bestimmt. Was zunächst noch harmlos mit Dungeons & Dragons-Bücher, grünen Sandalen beginnt, entwickelt sich zu immer groteskeren Forderungen verbunden mit immer grausamer werdenden Folgen. Als die Unschuld eines Mädchens und die Abtrennung des Zeigefingers von einem leidenschaftlichen Gitarrenspieler eingefordert werden, eskaliert das Vorhaben. Soll mit diesem „Berg der Bedeutung“ der nihilistische Pierre-Anthon tatsächlich vom Gegenteil seiner Sichtweisen überzeugt werden?

Rezension:

Wenn man nicht die Stärke besitzt, die ewigen destruktiven Sprüche eines ehemaligen Klassenkameraden, der aus Schulfrust und Lebensunlust auf einem Ast sitzt, zu ignorieren, muss man ihm eines Besseren belehren. Die Kinder merken jedoch schnell, dass die zunächst gesammelten Objekte nur vermeintlich eine Bedeutung haben. Erst als der eine für den anderen bestimmt, was für ihn wirklich wichtig ist, gerät das Projekt langsam aus der Bahn. Natürlich weiß jeder aus den Beobachtungen einer Klassengemeinschaft  was dem anderen heilig ist. Zunächst scheint es auch recht harmlos mit der Abgabe von geliebten Büchern, Sandalen oder anderen Gegenständen auf den „Berg der Bedeutung“. Doch mit jeder weiteren Benennung wächst der Hass und die Demütigungen auf den Nächsten und die Ausweitungen der Opfer haben dramatische Folgen. Als Gerda gezwungen wird, ihren Hamster abzugeben wird zum ersten Mal eine Grenze überschritten. Die Ausgrabung des Sarges von Elises verstorbenem Bruder hat schon makabere Züge, als jedoch Sofies Unschuld eingefordert wird oder von Rosa, die kein Blut sehen kann, dass sie den Kopf des Hundes Aschenputtel abtrennen soll, bekommt die Geschichte ein sehr grausames, perverses Gesicht, denn je größer das Opfer, desto wichtiger ist seine Bedeutung.

Janne Teller`s Geschichte provoziert mit der Kompromisslosigkeit der 13-jährigen Kinder, die die persönliche Grenze des Nächsten nicht mehr erkennen und deren Handlungsweise in der Gruppendynamik fanatisch wird. Diese erschütternde Parabel über eine Spirale von Entwürdigungen und Gewalt schraubt sich sehr schnell nach oben. Keines der Kinder denkt auch nur im Ansatz darüber nach, ob dass Ganze wirklich noch den Zweck erfüllt oder gar über einen Ausstieg aus diesem makaberen Projekt. Als Jan-Johan bei seinen Eltern „petzt“, nachdem man ihm den rechten Zeigefinger abgeschnitten hat, wird das Unternehmen bekannt und der “Berg der Bedeutung“ sogar als Kunstwerk verkauft, was zum Gipfel der Abartigkeit führt. Als den Kindern langsam bewusst wird, dass sich diese Ansammlung nicht verkaufen lässt, weil er damit seine Bedeutung verliert, zerbrechen alle in einem gewaltsamen Kampf an dieser Erkenntnis. Folgerichtig und konsequent  ist somit das Ende. Als sich Pierre-Anthon endlich von seinem Baum herablässt, um den Kampf und Berg in Augenschein zu nehmen, verhöhnt er die Kinder, ihre persönliche Bedeutung für schnödes Geld verkauft zu haben. Damit macht er einen Fehler und wendet ihnen den Rücken zu, was ihm zum Verhängnis wird.

Wie bereits bei Morton Ruhe mit „Die Welle“ ist auch bei dieser Geschichte der Weg das Ziel. Janne Teller beschreibt in einer knappen, zielgerichteten und klaren Sprache, wie schwer es ist, sich aus einer Gruppendynamik zu befreien und die persönliche Meinung mit Standhaftigkeit und Konsequenz durchzusetzen. „Nichts“ zeigt auf grausame, eindrückliche und zeitgemäße Weise, wie schnell eine vermeintlich überzeugende Idee die persönlichen Rechte und Freiheiten eines einzelnen verletzt. Die perfide, erschütternde Umsetzung  berührt in gleichem Maße wie sie provoziert. Doch das ist genauso gewollt und wird damit kontroverse Diskussionen anregen. Somit hat Jane Teller eine Geschichte geschaffen, die nicht nur für Jugendliche bestimmt ist, auch wir Erwachsene kommen immer wieder an den Punkt, an dem wir überlegen, ob das, was wir machen, eigentlich einen Sinn hat.

Der Roman regt dazu an, dass jeder Leser immer wieder über Sinn und Unsinn, Folgen des eigenen oder auch gemeinsamen Handelns reflektieren sollte, auch wenn dies manchmal sehr schwer ist.

Schon gut vier Wochen vor dem offiziellen Erscheinungsdatum gab es zahlreiche Berichte und Artikel in den Medien über den internationalen Bestseller, der nun auch auf dem deutschen Markt erschienen ist. Das macht mich immer ein wenig skeptisch. Doch dieses Buch hat die Vorschusslorbeeren verdient und es wäre zu wünschen, dass es auch hier zu Lande an vielen Schulen „Nichts“ als Klassenlektüre gelesen wird. Denn das Buch macht klar: Die existentielle Fragestellung nach dem Sinn des Lebens stellen sich Kinder kompromissloser als Erwachsene und liegt nicht in Geld oder Ansehen. Viel wichtiger sind selbstbestimmtes Handeln und die Achtung, der Respekt vor dem Nächsten.

Ein nicht zu vergessendes Lob zum Schluss an die hervorragende, klare Übersetzung aus dem Dänischen von Sigrid C. Engeler sowie für die treffende, unterstreichende Umschlaggestaltung von Stefanie Schelleis.

Sabine Hoß

Bewertung:

Ein Interview mit der Autorin finden Sie hier.

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