Paul das Hauskind

Peter Härtling
Beltz & Gelberg, September 2010
184 Seiten, € 12,95
ab 11 Jahre

Inhalt:

Paul, 12 Jahre alt, wohnt in einem 10-Parteinhaus in Frankfurt. Seine Mutter lebt  in New York, sein Vater, der eigentlich mit Paul zusammen wohnt, arbeitet in der Werbebranche und hetzt von Termin zu Termin. Zwar plagt ihn hin und wieder das schlechte Gewissen, doch eigentlich kümmert er sich kaum um Paul. Das übernehmen im Wechsel die Mitbewohner des Hauses. Von einer Partei zur nächsten wird Paul hin und hergeschoben, mal mehr, mal weniger willkommen. Oma Käthe, Helena und ihre Eltern, Engin Üdal sind unter anderem seine Teilzeiteltern. Sein einziger Halt ist Dr. Adam Schwarzhaupt, ein etwas eigensinniger, schrulliger Rechtsanwalt im Ruhestand. Ihn fragt Paul um Rat, als die Deutschlehrerin bei einem verhauenen Diktat um die Unterschrift der Eltern bittet und nur zögernd öffnet er ihm sein Herz. Paul ist sauer, verzweifelt, fühlt sich verraten und als unerwünschtes Kind von seinen Eltern im Stich gelassen. Die ganze Situation wird noch dramatischer, als der Vater ihm eröffnet,  dass er sich scheiden lassen will. Als er sich  wegen seiner Depressionen behandeln lassen muss, wird er noch unerreichbarer für Paul, für den wenigstens eine feste Bezugsperson seiner Eltern so wichtig wäre. Wo soll Paul jetzt hin, wo gehört er hin?

Rezension:

Paul Härtling hat sich mutig an ein brisantes Thema herangetraut: Die Verwahrlosung unserer Kinder in der sogenannten Wohlstandsgesellschaft.

Das ist leider ein Zustand, der aktuell ist und durch tägliche Beispiele in den Medien bestätigt wird. Paul ist ein Kind, das keine feste Bezugsperson hat. Beide Elternteile sind mit sich und vor allem mit ihrer beruflichen Karriere beschäftigt. Die Mutter ist auf einem anderen Erdteil völlig unerreichbar und auch am Leben ihres Kindes deutlich desinteressiert, der Vater ist immer unterwegs, wird durch die ständige Überbelastung und die geplante Scheidung von seiner Frau krank und begibt sich wegen seiner Depressionen in Behandlung. Paul wird wie ein Korken auf dem Wasser von einer Mietpartei zur anderen geschoben. Er wird nicht gefragt, ob ihm das gefällt und merkwürdigerweise machen auch alle Nachbarn diesen ständigen Herbergswechsel ohne Gegenwehr und Murren mit. Nur Oma Käthe versucht einmal mit dem Vater darüber zu reden. Als Leser wird man von einem erschütternden Moment zum nächsten geschleudert und würde am liebsten aufschreien, wie so etwas möglich sein kann. Keiner der Parteien greift ein, selbst Pauls einziger Bezugspunkt Dr. Adam bleibt oberflächlich als Kontrapunkt. Zwar spürt man Pauls Wut, Verzweiflung und Einsamkeit, alle anderen Protagonisten bleiben jedoch in ihrer Darstellung recht blass. Peter Härtling hat ein realistisches Problem deutlich überzogen dargestellt, ohne aber der Geschichte einen wichtigen roten Faden zu geben. So nebenbei wird noch ein Fahrraddieb gesucht und auch gefunden, was so nebensächlich wie unnötig erscheint. Das Ende der Geschichte bleibt offen, was ebenso unverständlich wie wenig hilfreich ist, gerade für Kinder. Man bleibt mit einem Berg unverständlicher Situationen, Verzweiflung und der Tatsache, dass Eltern tatsächlich ihr Kind im Stich lassen zurück, ohne den geringsten Ansatz, wie es für Paul und seinen Eltern weitergehen könnte. Das macht es fast unmöglich, dieses Buch Kindern zu empfehlen. Auch sprachlich erscheint die Geschichte oft sehr umständlich. So behäbig, wie Adam Schwarzhaupt einem 12-jährigen die Rechtslage der Kinder bei einer Scheidung erklärt, ist nicht Alters- und Zeitentsprechend. Leider wissen darüber viele Kinder heute genauestens Bescheid. Den plötzlichen Einfall von einer „Peremprem oder Plemplemplem-Sprache“ wirkt nur kindisch und nicht kindlich. Auch wenn Peter Härtling ein „Altmeister“ der Kinderliteratur ist und viele wirklich wertvolle Bücher verfasst hat, hier hat er am Thema und an der Zielgruppe leider vorbei geschrieben. Trotzdem wird dieses Buch für viele Diskussionen und Gespräche wegen seiner aktuellen, kritischen Problematik und der Umsetzung sorgen.

Sabine Hoß

Bewertung:

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