Winterschwester

Alison McGhee

Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann

dtv premium, September 2011

280 Seiten, €  12,90

ab 15 Jahre

 

 

Inhalt:

Clara Winter lebt alleine mit ihrer Mutter in einem kleinen Ort in den Adirondack Mountains im Staat New York und liebt Bücher und Wörter über alles. Weil sie die Jahreszeit Winter so sehr hasst, schreibt sie sich mit kleinem „w“. Das ist nur eine ihrer Besonderheiten, mit der sie ihre Mitmenschen irritiert. Immer wieder befragt sie ihre Mutter nach ihrem Vater und Großvater, die sie beide noch nie kennengelernt hat und nichts über sie weiß. Clara weiß, dass sie eine Zwillingsschwester hatte, die schon sehr früh gestorben ist. Ihre Mutter verweigert jedoch jede Auskunft über diese für sie so wichtigen Familienmitglieder und bricht sofort jede Unterhaltung rigoros ab, sobald Clara das Thema in diese Richtung bringt. Clara lernt für ein Erzählprojekt im Fach Geschichte den alten Mann Georg kennen, der in einem Wohnwagen im Trailerpark lebt. Ganz langsam nähern sich die beiden völlig unterschiedlichen Charaktere und Generationen an. Georg kann nicht lesen und schreiben, während für Clara Bücher und Sprache heilig sind, aber er ist ein Meister der Blechschmiedekunst und weist seine neue Schülerin darin ein, die von seinen Arbeiten und seinem Talent fasziniert ist. Für Clara ist es gar nicht so einfach, den schweigsamen Georg über seinen Lebensweg zu befragen, aber mit ihrer journalistischen Raffinesse öffnet er sich langsam und auch sie erzählt ihm von ihren vielen unbeantworteten Fragen über ihre Familiensituation. Wie wichtig diese Freundschaft für Clara ist, zeigt sich nach einem tragischen Unfall, der nicht nur sie verändert.

Rezension:

Winterschwester beschreibt nicht nur den strengen, bitterkalten und langen Winter in den Adirondacks, sondern ist auch eine ganz eigene Familiengeschichte. Irgend etwas scheint in der Vergangenheit und im Leben von Claras Mutter ganz gewaltig schiefgelaufen zu sein. Störrisch verschließt sich sich vor jeder Auskunft, wenn ihre Tochter Clara sie nach ihrem Vater und Großvater befragt und bestreitet vehement, dass sie eine Zwillingsschwester habe. Da Clara keine Wahrheiten erfährt und die 11-jährige viel Phantasie hat, gepaart mit der innigen Liebe zu Sprache und Büchern, denkt sie sich erfundene Geschichten aus, wie ihr Großvater leben könnte, unter welchen Umständen sie geboren wurde und ihre Zwillingsschwester starb. Das führt soweit, dass Clara so fest an diese Konstrukte glaubt, dass das Wiederfinden in der Realität umso schmerzhafter für sie ist. Die Mutter schenkt ihr eines Tages einige Hühner als erstes „Erwachsenenprojekt“, an der sich Clara beweisen soll. Gleichzeitig erhofft sie sich damit die entsprechende Ablenkung für die immer wiederkehrenden Fragen ihrer Tochter. Das ausgerechnet die Mutter eines Tages diese Hühner vergisst, ist auch ein Bild dafür, wie viel reifer ihre kleine Tochter in manchen Situationen ist. Für ein Erzählprojekt im Geschichtsunterricht interviewt Clara den alten Mann Georg, der in einem Wohnwagen lebt. Mit Ausdauer und raffiniertem Geschick schafft sie es, diesen schweigsamen Mann aufzuknacken. Während Georg nicht lesen und schreiben kann, findet Clara geschickt einen Weg, ihm Worte zu schenken und Einblicke in seinen Lebensweg zu entlocken. Dabei öffnet sie ihm auch ihre eigene problematische Familiensituation mit allen offenen Fragen. Georg unterstützt sie behutsam und dennoch direkt bei der Suche nach ihrem Großvater. Er zeigt ihr nicht nur die Schönheiten einer vergessenen Schmiedekunst sondern vielmehr die Beziehung zwischen verschiedenen Dingen und lehrt sie Zusammenhänge zu erkennen. Ein tragischer Unfall reißt Clara aus ihren erfundenen Geschichten heraus und verändert sie. Doch nicht nur sie entwickelt sich, auch ihre Mutter muss einsehen, dass sie nicht vor der Realität davonlaufen kann und Clara ein Recht auf gewisse Wahrheiten hat.

„Winterschwester“ ist eine sehr ruhige und dennoch spannende Familiengeschichte mit besonderer literarischer Qualität, die berührt, ohne gefühlsduselig zu sein. Sie erzählt von der verzweifelten Suche nach familiären Wurzeln und der Trauer, wenn man sie verloren hat. Der Roman lebt von ruhigen, philosophischen Weltanschauungen und Überlegungen der 11-jährigen Clara und bleibt bis zum Schluss spannend. Die offene und direkte Sprache umspannt einen Bogen von kindlicher Unsicherheit, Ohnmacht, faszinierender Begeisterung, feinfühliger Empathie und klugen Sichweisen und Gedanken, die aber nicht altklug wirken.

Ein Lob auch an die Übersetzerin Birgitt Kollmann für die stimmige Übersetzung und das ebenfalls sehr gut ausgewählte Titelbild.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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