Zoë

Clay Carmichael

Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann

Hanser, August 2008

256 Seiten, €  13,90

ab 12 Jahre

Inhalt:

Die elf Jahre alte Zoë musste bisher in ihrem Leben immer alleine zurechtkommen. Ihre Mutter ist eine kranke, zerrissene Persönlichkeit, die sich, wenn sie nicht im Krankenhaus ist, mit Alkohol und anderen Drogen berauscht oder mit ständig wechselnden Männern amüsiert. Zoë bleibt sich meist selbst überlassen; sie kennt kein geregeltes Leben, zu der auch der regelmäßige Gang zur Schule gehört. Sie holt sich das notwendige Wissen aus der „Schule des Lebens“, den manchmal zweifelhaften Erlebnissen und Erfahrungen aus ihrem Umfeld. Als Zoës Mutter stirbt, nimmt ihr Halbonkel väterlicherseits sie auf. Onkel Henry war früher ein berühmter und anerkannter Herzchirung, der aber nun seit Jahren nicht mehr praktiziert. Er hat seine große Leidenschaft zur Kunst bzw. der Bildhauerei zu seiner Profession gemacht  und ist auch auf diesem Gebiet berühmt geworden. Onkel Henry ist ein eigenartiger Kauz mit unkonventionellen Ansichten, eine raue Schale mit einem weichen Kern, der zurückgezogen in einem großen Haus am Waldrand lebt. Unterstützt wird er von Fred, der sein Assistent Haushaltshilfe, Mädchen für alles ist und nun auch ein wichtiger Ansprechpartner und Vermittler für Zoë. Denn mit Kindern hat Henry keine Erfahrung und so ist es nicht verwunderlich, dass hier zwei Sturköpfe erst einmal die Grenzen des anderen ausloten. Beide müssen lernen, sich gegenseitig mit Vertrauen zu begegnen, was besonders für Zoë alles andere als einfach ist. Eines Tages entdeckt sie mitten im Wald eine alte Holzhütte. In einer alten Schachtel findet sie kunstvoll geschnitzte kleine Holztiere und ein Foto, auf dessen Rückseite das einzige Wort „Mama“ steht. Wer ist diese Frau auf dem Foto, wem gehören diese wunderbaren Figuren? Viele Fragen, zu denen Zoë Antworten finden will, aber sie merkt schnell, dass sie das alleine nicht schaffen wird.

Rezension:

Im ersten Kapitel führt ein Kater mit seinen Erinnerungen und Gedanken in die Geschichte, was neugierig macht, denn er erzählt das Geschehen um sich herum aus seiner Sichtweise. Der Kater erinnert Zoë an ihr eigenes Dasein: Herrenlos, zweifelnd und vorsichtig. Die Erzählung aus Zoës Sicht, warum und wie sie zu ihrem Onkel Henry gekommen ist, bietet eine raffinierte, abwechselnde Erzählperspektive. Der Kater ist der erste, zu dem das Mädchen so etwas wie Vertrauen fasst, nachdem sie bei Onkel Henry aufgenommen hat. Sie versucht ihn mit verschiedenen Methoden anzulocken und zu streicheln, was ihr aber erst im Laufe der Geschichte gelingt. Genau so lange dauert auch die vertrauensvolle Annäherung zwischen Zoë und ihrem Onkel Henry. Zu oft ist sie in der Vergangenheit von Erwachsenen immer wieder enttäuscht worden. Der Reiz dieses Buches liegt zum Einen in den abwechselnden Erzählperspektiven und zum Anderen in den geschliffenen und warmherzigen Charakteren. Zoë, die immer wieder enttäuscht wurde und dadurch am liebsten ganz alleine durch das Leben gehen würde. Onkel Henry, der anerkannter Herzchirurg ist, mit mehreren gescheiterten Ehen seine ganz eigene Lebenserfahrung vorweist und dem es ziemlich egal ist, was andere Leute von ihm denken. Beide haben durch ihren speziellen Eigensinn ihre Schwierigkeiten, offen und mit Vertrauen aufeinander zuzugehen, was direkt und doch liebevoll beschrieben wird. Im Hintergrund und doch sehr wichtig sind Fred, der Assistent von Henry und seine kranke Frau Bessie. Sie fangen Zoë immer dann auf, wenn Henry an seine Grenzen stößt. Als Zoë im Wald einen alten Wohnwagen und eine verwitterte Hütte entdeckt, entwickelt sich eine zweite Geschichte, die in die Vergangenheit von Henry und Zoë zurückblickt. Mit den Erinnerungen des Katers und der aktuellen Handlung verknüpft sich Vergangenheit und Gegenwart auf eine zauberhafte Weise. Mit dem Entfalten dieser wunderbaren zweiten Erzählebene entwickelt sich auch die Persönlichkeit Zoës von einem störrischen, unnahbaren Mädchen zu einem mutigen, offenen, die langsam das Gefühl von Nähe und Vertrauen zulässt. In diesem ausgeklügelten Handlungsrahmen geht weder der rote Faden verloren, noch verliert sich die Spannung. Die Autorin  lässt in einer klugen und lebendigen Sprache in die Seele ihrer Protagonistin schauen, die nicht das Gefühl hat, in eine positive und hoffnungsvolle Zukunft zu blicken. Durch kleine Zufälle, oder sollte man hier besser sagen Schicksalsfälle, begegnet sie aber zum richtigen Zeitpunkt anderen Menschen, die sie scheinbar ganz nebenbei auffangen und ihren Kurs korrigieren. Immer dann, wenn die Handlung an Kitsch grenzen könnte, dreht sie mit einer sanften Wendung davon ab, was ausgesprochen gelungen ist. Somit endet das Buch mit einem positiven Hoffnungsschimmer, aber nicht gewollt glücklich: „Bittersüß“, wie Zoë es selber perfekt beschreibt.

Auch wenn die Hauptperson weiblich und diese auf dem ansprechenden Cover abgebildet ist, richtet sich der Roman aber nicht überwiegend an Mädchen, sondern spricht von seinem Grundthema genausogut männliche Leser an. Die stimmige Übersetzung sollte an dieser Stelle ebenfalls hervorgehoben werden.

Ein wunderbares Buch über Einsamkeit, Vertrauen und Leidenschaft, das auf intelligente und charmante Weise erzählt, dass man nicht stur alleine durch das Leben gehen sollte.

Sabine Hoß

Bewertung:

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