One – Die einzige Chance

One, Elsäßer KLEIN

Tobias Elsäßer

Fischer/Sauerländer, 26. September 2013

400 Seiten, € 16,99

ab 14 Jahre

 

 

 

Samuel Pinaz lebt bei seinem Vater, einem erfolgreichen Mathematiker, in Hongkong und hat gerade das Abitur bestanden. Da er Abstand von seinem Vater und Hongkong braucht, will er eine Zeitlang nach London zu seiner Mutter und vielleicht später dort studieren.  Sein Flug führt ihn zunächst nach Frankfurt, seine Heimat aus der Kindheit, bevor die Familie aus beruflichen Gründen seines Vaters zunächst in die Schweiz und später nach Hongkong zog. Gleichzeitig macht sich der Auftragskiller Kayan auf den Weg, seine letzten Aufträge zu erfüllen, dann will er endlich seinen Traum, ein eigenes Restaurant, verwirklichen. In Frankfurt hat sich Samuel über ein Share-your-Room-Portal mit einer Unbekannten verabredet, bei der einen Schlafplatz gemietet hat. Doch als Samuel aus dem Flughafen tritt, ist er verwirrt. Das ist nicht mehr das Deutschland, das er aus seinen Erinnerungen kennt. Statt saubere Pünktlichkeit herrscht ein heilloses Durcheinander: Es fahren nur wenige Taxis und diese verlangen unglaubliche Beträge für die Fahrstrecken. Die Menschen sind aufgebracht und scheuen nicht vor Gewalt zurück, jeder ist sich selbst der nächste. Deutschland steckt im Chaos einer politischen Revolution. Als Samuels Internetbekannte ihn am Flughafen versetzt, macht er sichl alleine auf den Weg zu der Adresse eines alten Freundes seines Vaters, in der Hoffnung, dort endlich einen Platz  zum Schlafen zu bekommen. Auf dem Weg dorthin gabelt er das etwas heruntergekommene Mädchen Fabienne auf, die mit ihrem Wagen liegen geblieben ist und nimmt sie bis zu nächsten Werkstatt mit. Endlich bei dem alten Freund angekommen, macht er einen grausigen Fund, als er die Tür öffnet: Der Mann liegt brutal ermordet in seiner Wohnung. Samuel flieht Hals über Kopf und sucht erst einmal Schutz in einem Hotel. Als er später mitten in eine Demonstration gerät und niedergeschlagen wird, trifft er erneut auf das Fabienne. Sie nimmt ihn mit zum Hauptquartier einer Protestbewegung, der sie angehört und die das Finanzsystem, Politik, Wirtschaft und das Bildungssystem des zerrissenen Europas mit dem Onlinestrategiespiel One revolutionieren will. Mit diesem Spiel hat die hervorragend organisierte Bewegung ein globales Netz von Spezialisten auf verschiedenen Gebieten verbunden, denen es gelungen ist, ein Computerspiel in die Realität zu übertragen. Samuel hält das zunächst für eine verrückte Idee und nicht wirklich durchführbar, doch er muss einsehen, dass seine Zweifel widerlegt werden.

Eigentlich ist der Dystopie-Hype in der Jugendliteratur mittlerweile durchgehechelt. Einer handvoll Themen ist man in mehr oder weniger ähnelnder Form begegnet und man hat das Gefühl, mittlerweile sämtliche Anti-Utopie-Szenarien erlebt zu haben.

Umso gespannter war ich auf das neue Buch des deutschen Autors, das sich nicht in erster Linie nicht als Dystopie sondern als Thriller präsentiert.

Tobias Elsäßer hat die interessante und raffinierte Idee, das PC- Strategie-Spiel One in das durch Finanz- Wirtschaftskrisen zerrissene  Europa online zu setzen und damit das bisher bestehende System zu Fall zu bringen. Eine Idee, die im ersten Moment verrückt erscheint, aber im Laufe der Geschichte ein mulmiges Gefühl hinterlässt. Denn so übertrieben scheint manches nicht zu sein, allerdings will man sich eine solche Entwicklung nicht wirklich vorstellen. Und genau das hat der Autor in seiner Geschichte natürlich polarisierend aber auch überaus spannend und klug durchdacht aufgebaut.

In drei Teilen ist die Geschichte aufgebaut, die am Anfang mit ziemlich hektischen Sprüngen aus verschiedenen Erzählperspektiven etwas verwirrt, was sich aber nach ca. 50 Seiten beruhigt und sich dann im Wesentlichen auf die Ebenen von Samuel und dem Auftragskiller Kayan beschränkt. Samuel entwickelt sich vom verwöhnten Schnösel reicher Eltern zu einem jungen Mann, der von einem Moment zum anderen in eine völlig andere Welt katapultiert wird. Er erlebt ein Deutschland, das keine Ähnlichkeit mehr mit seinen Kindheitserinnerungen hat und muss sich mit den radikalen Gedanken der Protestbewegung auseinander setzen. Der von den Verlagen stets gewünschte „love-interest“ ist mit der Beziehung zu Fabienne selbstredend gegeben, obwohl ein Verzicht darauf der Spannung keinen Abbruch getan hätte. Tobias Elsäßer hat seine Protagonisten lebendig und mit Tiefe ausgefeilt und sogar Randfiguren wie seine Kinderfrau und Haushälterin Emilia liebevoll dargestellt.

Samuels Vater ist ein in sich gekehrter und unnahbarer Mathematiker, der scheinbar nur für seine Arbeit lebt. Verständlich, dass sich die Frau von ihm getrennt hat und Samuel sehr enttäuscht ist, dass sein Vater Versprechungen nicht einhält und nie für ihn da ist, obwohl er mit ihm zusammenlebt. Doch es gibt eine Erklärung für dieses Verhalten, die sich im Laufe der dynamisch spannenden und temporeichen Handlung entwickelt, die mit einem dramatischen Höhepunkt endet. Obwohl der Schluss konsequent offen bleibt, laufen hier die wichtigsten Stränge zusammen. Der Auftragskiller Kayan ist neben Samuel die zweite Hauptfigur und begleitet als zweite Säule die Geschichte. Er hat seine letzten Auftragsmorde vor sich und will dann endlich seinen Traum von gewaltfreier Unabhängigkeit realisieren. Kayan ist eine sehr gespaltene Persönlichkeit, bei der man zwischen Sympathie und Abneigung schwankt.

„One“ ist ein brisanter, spannend geschriebener, gesellschaftskritischer und dystopisch angehauchter Thriller, der mit dem Gedanken, durch ein online-Strategie-Spiel eine Gesellschaft zu revolutionieren, ein science fiction ähnelndes Szenario präsentiert. Andererseits erscheint diese fiktive Vorstellung irgendwie gar nicht so abwegig zu sein, was ein gruseliges, beunruhigendes Gefühl hinterlässt und nachdenklich macht. Und genau das hat mich während des Lesens überzeugend fasziniert.

Das Cover mit dem neonfarbenen Schriftzug und der hinterlegten Zahlenreihe passt perfekt.

Sabine Hoß

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