Hinter der Milchstraße

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Bart Moeyaert

Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler

Hanser, Oktober 2013

160 Seiten, € 14,90

ab 11 Jahre

 

 

Inhalt:

Oskar, sein älterer Bruder Bossie und die Leseratte Geesje treffen sich jeden Tag in, besser gesagt auf ihrem Clubhaus, denn das ist die Steinmauer zwischen der Milchstraße und einer Alteisenfirma.Sie stellen sich jedoch vor, auf bequemen Clubsesseln zu sitzen und kalte Getränke vor sich zu haben und beobachten von ihrem Stammplatz die Straße und was sich auf ihr bewegt. Jeden Tag um 18:00 Uhr kommt eine alte Dame mit ihrem Hund diese Straße entlang. Ohne den richtigen Namen der beiden zu kennen, haben die Drei den Dackel Jeckyll  und die Dame Nancy Sinatra getauft. Als sie eines Tages überlegen, wie alt wohl der Hund und die Frau sein mögen, kommt Bossie auf eine verwegene Wette. Er wettet darum, wer als erster von den beiden stirbt, Nancy oder der Hund. Derjenige der gewinnt, darf einen Tag lang alles bestimmen.  Als die alte Dame und Jeckyll am nächsten Tag nicht wie gewohnt erscheinen, machen sich die Kinder Gedanken. Bossie, Oskar und Geesje wollen herausfinden, was mit den beiden passiert ist. Dabei werden sie mit Gefühlen und Situationen konfrontiert, die sie bisher versucht haben zu verdrängen oder zu verschweigen. Es geht um Freundschaft, Streit, Ängste, Einsamkeit  und das Ausloten der schmalen Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit.

Rezension:

Bart Moeyaert, Jahrgang 1964 und in Brügge geboren, gehört zu den großen europäischen Jugendbuchautoren der Gegenwart. Für seine Bücher erhielt er zahlreiche internationale und nationale Preise. So erhielt er u.a. für seinen Roman „Bloße Hände“ 1998 den Deutschen Jugendliteraturpreis und wurde 2012 zum vierten Mal für den Hans Christian-Andersen-Preis nominiert, der alle zwei Jahre für Kinder- und Jugendliteratur vergeben wird und auch als „kleiner Nobelpreis“ auf diesem Gebiet bezeichnet wird. Der Autor lebt in Antwerpen, unterrichtet dort Creative Writing an der Royal Art School, schreibt Drehbücher und Theaterstücke und übersetzt aus dem Deutschen, Englischen und Französischen.

„Hinter der Milchstraße“ wurde in der Originalausgabe 2012 mit dem Beukenleeuw für das beste niederländische Kinderbuch ausgezeichnet.

Es ist keine leichte Unterhaltungslektüre und auch kein Mainstream, die der vielfach ausgezeichnete belgische Autor schreibt. Er fordert von seinem jungen Leser Konzentration und auch die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen. Erzählstränge werden angefangen, wie beispielsweise die bizarre Wette von Bossie; wer als erster stirbt, Hund oder alte Dame. Das Ergebnis steht nicht im Vordergrund , vielmehr gleitet die Handlung auf der Basis dieser Wette in weitere Ebenen ab, die sich miteineinander verknüpfen. Bart Moeyaert ist ein Meister darin, Gefühle und Beziehungen in einer knappen aber präzisen Sprache gegenüber zu stellen. Aus ganz verschiedenen Perspektiven beschreibt er mit feinfühliger Intensität unterschiedliche Charaktere und verschiedene Ängste, die Gefühle von Einsamkeit und Verlust. Da ist zum Beispiel die Angst von Oskar gegenüber Fremden, die Angst, die er mit seinem Bruder gegenüber seinem strengen Vater teilt oder die Angst der Brüder, ihre Mutter zu verlieren, die schon seit einigen Wochen in Italien ist, um sich darüber klar zu werden, ob sie ihren Mann verlassen soll. Oder Geesje, deren Tante schwer krank ist und jeden Tag mit ihrem Tod gerechnet werden muss. Obwohl die unterschiedlichen Ängste sich summieren, weiß der Autor weiß genau, wie viel er Kindern zumuten kann, ohne sie zu überfordern. Er fordert sie vielmehr heraus, gefangene Erzählstränge weiterzudenken, denn nicht alles löst sich am Ende auf, und zu überlegen, wie man selbst reagieren würde.

Welches Kind hat nicht davon geträumt, Mitglied in einem richtigen „Club“ zu sein, mit allem, was dazu gehört: ein eigenes Clubhaus, Getränke und Süßigkeiten und natürlich jede Menge spannende Abenteuer. Davon träumen auch Bossie, Oskar und Geesje, dabei sind sie aber in der Wirklichkeit Meilen davon entfernt. So verschwimmen hin und wieder die Grenze von Fantasie und Realität, die die Kinder ausbalancieren müssen. Auch das gelingt Moeyaert mit hintergründiger Leichtigkeit.

„De Melkweg“, wie das Buch im Original heißt, ist eine Lektüre, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen anspricht – und zu einem Austausch über Ängste, Einsamkeit und Verlust führen kann.

Mirjam Pressler, die alle Texte des Autors ins Deutsche übertragen hat, hat auch diese Geschichte in einer wunderbar treffenden atmosphärischen Sprache und Stimmung übersetzt.

Ein wunderschönes Cover mit einem Bild in warmen Farben, dass die drei Protagonisten auf der Mauer zeigt, als hätte man sie gerade mit einem Schnappschuss festgehalten (Umschlag: Ben McLaughlin), rundet diese kleine Perle der Kinderliteratur ab.

Sabine Hoß

Bewertung:

 

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