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Alice Gabathuler

Thienemann, Juli 2013

336 Seiten, € 12,95

ab 14 Jahre

 

 

 

Alice Gabathuler, Jahrgang 1961wurde in der Schweiz geboren, wo sie auch heute noch in Werdenberg, einem kleinen Ort in der Ostschweiz lebt. Bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie als Radiomoderatorin, Werbetexterin und als Englischlehrerin an einer privaten Schule, die sie mit einer englischen Geschäftspartnerin übernahm. Nach 15 Jahren gemeinsamer Leitung übergab Alice Gabathuler ihre Anteile ihrer Geschäftspartnerin, um mehr Zeit für ihre schriftstellerische Arbeit zu haben.

Ihre Bücher zeichnen sich durch brisante Themen aus, mit denen sich Jugendlich oft auseinander setzen müssen. Die Autorin verpackt beispielsweise Psychospiele und Mobbing im Netz („Matchbox Boy“, Thienemann 2012) oder die Schwierigkeit, seine Unschuld zu  beweisen, auch wenn man sich schon so manches geleistet hat („Blackout“, Thienemann 2007/2013) in packende (Psycho-)Thriller. In ihrem neuen Buch geht es um die Macht der Vorurteile, von der sich kaum einer freisprechen kann.

Der 17-jährige Mick lebt auf der Straße. Gerade hat er bei Smiley für eine Zeit Unterschlupf gefunden, da treibt es ihn schon wieder weiter. Als Mick am Straßenrand trampt, wird er von einem vorbeifahrenden Wagen angefahren und der Fahrer kümmert sich sofort um ihn. Weder Mick noch der Unglücksfahrer Jake wollen Polizei und ins Krankenhaus. Deshalb nimmt Jake ihn mit zu sich nach Hause, wo Mick von einem befreundeten Arzt behandelt wird. Mick fühlt sich in dieser Umgebung mehr als unwohl. Er sitzt in einer schicken Villa mit Pool und zwei durch geknallten Frauen fest: Edy, die verwöhnte und dreiste Tochter von Isabelle. Diese hat sich neben der Kunst auch dem Alkohol hingegeben. Als Mick Jake seinen Abschied ankündigt, wird er zu einem letzten Abendessen eingeladen. Am nächsten Morgen wacht Mick, von Medikamenten und Alkohol abgefüllt, verkatert auf. Neben ihm die Leiche von Isabelle. Mick kann sich an nichts mehr erinnern, ist sich aber sicher, Isabelle nicht getötet zu haben. Als er aus der Villa flüchtet, nimmt er Edy als Geisel mit. Seine erste Station ist sein Kumpel Smiley, der nicht lange fragt sondern hilft. Den beiden wird langsam klar, in welcher Situation sich Mick befindet: Die Polizei ist hinter ihm her, aber auch Jake und seine Männer. Mick wird als herumtreibender, krimineller Jugendlicher der Mord in die Schuhe geschoben, jetzt noch die Geiselnahme. Eine Hetzjagd gegen ein perfides Komplott beginnt, die für die beiden Jungs eigentlich chancenlos ist. Doch es gibt eine Initiative, die genau für diese Jugendliche ihre Rechte einfordert. Ein atemberaubende und gefährliche Flucht beginnt…

Der Roman beginnt mit einer nüchternen und für uns schockierenden Nachricht, dass sich am 26. Februar 2012 ein Jugendlicher, der sich in einem Tankstellenshop in Florida Süßgkeiten und eine Dose Eistee gekauft hatte, erschossen wurde, weil er einem Mann verdächtig vorkam, unter anderem, weil er einen Kapuzenpullover trug. Der Mann, der den Jugendlichen erschoss, konnte sich auf das „Stand-your-ground“-Gesetz berufen, dass in manchen US-Bundesstaaten Menschen, die sich bedroht fühlen und sich mit (tödlicher) Gewalt wehren, Straffreiheit gewährt.

Alice Gabathuler lässt ihren Protagonisten Mick als Ich-Erzähler diesen Albtraum in einer düsteren Atmosphäre erzählen. Die Sprache ist nüchtern, klar, manchmal recht ruppig, was ebenso passend wie authentisch ist. Mick trägt eine familiäre Altlast mit sich, die sich erst im Laufe der Geschichte entblättert, was die Autorin raffiniert eingebunden hat. Mick ist ein Jugendlicher, der mit 13 Jahren aus seiner Pflegefamilie geflohen ist und seit vier Jahren auf der Straße lebt. Er ist entsprechend abgeklärt und stumpf und würde am liebsten vergessen, was ihm aber nicht gelingt. Es braucht eine Weile, bis man sich auf ihn eingelassen hat, dann bleibt er jedoch als faszinierender und beeindruckender Charakter in Erinnerung. Man fühlt mit ihm und ist dann auch wieder erschrocken, wie scheinbar kalt er in manchen Situationen reagiert. Doch es ist wirklich nur scheinbar, denn er ist in Wirklichkeit ein sensibler, nachdenklicher  junger Mann. Alice Gabathuler gibt dem Handlungsverlauf ein hohes Tempo und manchmal hat man das Gefühl, dass ein wenig dabei die Fantasie durchgeht, was dann leider kleine logische Ungereimtheiten mit sich führt. Lässt man das aber einen Moment sacken, wird klar, dass es trotz mancher Übertreibung vielleicht doch so sein könnte. Ist es wirklich so unvorstellbar, dass Menschen die Lebenssituation von (jugendlichen) Obdachlosen oder Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, zu ihrem eigenen Vorurteil missbrauchen?

Im Roman gibt es denn Bund für eine tatkräftige Nation (Btn), der sich zur Aufgabe gemacht hat, „strengere Maßnahmen in Bezug auf Jugendkriminalität und eine verschärfte Revision des Strafrecht“ einzufordern. Hier ist es eine fiktive Vereinigung, doch es ist leider vorstellbarn, wie eine solche Gruppe zu einem gewalttätigen Aufeinander prallen zwischen „normalen“ Bürgern und denen, die am Rande stehen, führen kann. Nicht zuletzt durch entsprechendes Anheizen der Presse und Online-Medien.

Obwohl schon recht früh klar ist, wer der Mörder von Isabelle ist, tut das der Spannung keinen Abbruch. Alice Gabathuler lässt zwischen den verschiedenen Spannungshöhepunkten genug Luft, damit der Leser wieder zu Atem kommt und „sacken“ lassen kann.

Der düstere Thriller ist sicher alles andere als leichte Kost. Trotz leichter Übertreibung ist es ein atemberaubender, fesselnder und aufrüttelnder Roman. Die Botschaft der sozialkritischen Geschichte lautet: Macht die Augen auf, glaubt nicht alles, was reißerisch verbreitet wird und bildet ein eigenes Urteil!

Hier hat die Autorin ihren persönlichen Meilenstein gesetzt. Und man möchte der Widmung beipflichten, dass die Welt Menschen braucht, die nicht der gängigen Norm entsprechen!

Das Cover fällt auf und passt genau, toll.

Ein kleiner Kritikpunkt am Schluss, der aber die beeindruckende Qualität des Buches nicht schmälert: Obwohl die Schlagworte des Titels „no_way_out“ aus der Handlung genommen sind, ärgere ich mich persönlich immer, wenn ich sofort ein Pendant zu Filmtitel finde: „No way out“ = „Es gibt kein Zurück“ ist ein amerikanischer Thriller aus dem Jahre 1987, der aber keinerlei Parallele zur Romanhandlung hat. Aber das ist, zugegeben, „bekritteln“ auf hohem Niveau. 😉

Sabine Hoß

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